Lebendimpfstoffe bieten Schutz gegen Krankheiten wie Mumps  Masern  Röteln oder Windpocken. In Deutschland spielen sie jedoch kaum noch eine Rolle. Foto: CC0 (Stencil)
Lebendimpfstoffe bieten Schutz gegen Krankheiten wie Mumps Masern Röteln oder Windpocken. In Deutschland spielen sie jedoch kaum noch eine Rolle. Foto: CC0 (Stencil)

Was Lebendimpfstoffe bewirken können

Lebendimpfstoffe können einen breiten Schutz vor Krankheiten wie Mumps, Masern, Röteln und Windpocken erzeugen. Sie spielen im Körper die Krankheit in einer leichten Version durch. Bis 1998 wurden die Vakzine als Schluckimpfung in Deutschland im Kampf gegen Poliomyelitis eingesetzt, mittlerweile wird dafür allerdings nur noch Impfstoff mit abgetöteten Erregern verabreicht. Lebendimpfstoffe sind jedoch in anderen Bereichen weiterhin notwendig.

Die orale Polio-Vakzine (OPV), auch als Schluckimpfung bekannt, ist grundsätzlich eine Erfolgsgeschichte. Die Polio-Erkrankung wurde dank ihrer Hilfe seit 1988 weltweit um 99 Prozent reduziert. Doch diese Impfung birgt minimale Risiken. So kann es zu Vakzine-assoziierten paralytischen Poliomyelitis-Erkrankungen (VAPP) kommen. Die Häufigkeit dieser Lähmungen liegt bei ein bis zwei Fällen pro eine Million Erstimpfungen. Bei der OPV können Viren außerdem aufgrund von Ausscheidungen über den Stuhl in die Umwelt gelangen. Dies war nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ursache für zwei Ansteckungen mit Polio in der Ukraine vor einigen Wochen und einem Todesfall in Laos.

Dieses Risiko besteht laut der Ständigen Impfkommission (STIKO) nicht bei dem Einsatz von inaktivierter Polio-Vakzine (IPV). Diese empfiehlt das Experten-Gremium am Robert-Koch-Institut daher seit 1998 in Deutschland. Dabei handelt es sich im Gegensatz zu OPV um einen Totimpfstoff. Dieser enthält unter anderem abgetötete Erreger. Sie können sich nicht vermehren und somit keine Krankheiten mehr auslösen. „Die Sicherheit dieser Impfstoffe geht meist zu Lasten der Effizienz“, sagt Dr. Kai Schulze, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Vakzinologie und Angewandte Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

Lebendimpfstoffe setzen Immunsystem in Alarmbereitschaft

Lebendimpfstoffe gelten in der Regel als effizienter. Sie haben den Vorteil, dass sie das Immunsystem besser in Alarmbereitschaft versetzen. Im Gegensatz zu Tot- oder Subunit-Impfstoffen, die nur noch bestimmte Antigene eines Erregers enthalten, können sie wesentlich besser den Infektionsprozess von Viren und intrazellulären Bakterien simulieren. Dies stimuliert die Immunabwehr im Körper. Während Tot- oder Subunit-Impfstoffe vorwiegend die Produktion von spezifischen Antikörpern auslösen, können Lebendimpfstoffe Immunzellen aktivieren, die in der Lage sind, infizierte Körperzellen und damit die Krankheitserreger abzutöten.

„Ein Nachteil bei Lebendimpfstoffen besteht darin, dass es zu stärkeren Nebenwirkungen kommen kann, da die lebenden Krankheitserreger trotz Einschränkungen in ihrer Pathogenität immer noch ,Schaden’ anrichten können“, erklärt Schulze. In manchen Fällen kann durch Mutation die ursprüngliche Virulenz wieder hergestellt werden.

Lebendimpfstoffe nicht für Risikogruppen

Für Risikogruppen ist die Gefahr durch eine nicht ausreichende Abschwächung der Virulenz des Krankheitserregers größer. Bei Grunderkrankungen wie einer Immunschwäche ist eine Impfung mit dem Lebend-Influenza-Impfstoff laut STIKO kontraindiziert — aufgrund von Erkrankungen oder infolge einer immunsuppressiven Therapie. Auch bei bestimmten Krankheiten wie schwerem Asthma wird vor der Anwendung gewarnt.

Die Gefahr der Ansteckung wird durch die Art der Impfung bestimmt. „Die meisten unserer Impfstoffe werden per Spritze injiziert. Sie verhindern zwar wunderbar die jeweilige Krankheit, aber meist nicht, dass der Krankheitserreger zunächst noch in uns eindringen kann“, sagt Schulze. Man entwickelt zwar selbst keine Krankheitssymptome, der Erreger verschwindet nach einiger Zeit aus dem Körper, aber bis dahin kann man das Umfeld theoretisch noch anstecken.

Impfstoffe, die über die Schleimhäute gegeben werden, wie zum Beispiel der Grippeimpfstoff für Kinder und Jugendliche, können einen Impfschutz bereits an der Eintrittspforte der Krankheitserreger hervorrufen und damit die Infektion verhindern. Eine Übertragung wird verhindert. Der effektivste Schutz ist, wenn sich möglichst alle impfen lassen. „Diese Herdenimmunität würde auch solchen Menschen nützen, die aufgrund von Vorerkrankungen nicht geimpft werden können“, so Schulze.

Lebendimpfstoffe weiterhin dringend benötigt

Menschen, die an einer Immunschwäche leiden, sollten vor der Impfung mit einem Lebendimpfstoff den behandelnden Arzt konsultieren. Ähnliches gilt für Schwangere. Impfungen mit einem Lebendimpfstoff, wie zum Beispiel gegen Röteln, Masern-Mumps-Röteln (MMR) oder Varizellen, sollten während der Schwangerschaft vermieden werden. Eine versehentliche Impfung mit MMR-, Röteln- oder Varizellen-Impfstoff in oder kurz vor einer Schwangerschaft führt jedoch nach nationalen und internationalen Empfehlungen nicht zu einem Schwangerschaftsabbruch. „Der Grund für die Empfehlung der Ständigen Impfkommission liegt darin, dass die in der Frühschwangerschaft häufigen, spontanen Schwangerschaftsabbrüche fälschlicherweise mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden“, sagt Schulze. Dies kann im Einzelfall für die Betroffenen zu einer besonderen psychischen Belastung werden.

In einer Studie, die im August 2014 im Science-Magazin veröffentlicht wurde, wird zur Polio-Prophylaxe in der Dritten Welt eine Kombinationsimpfung von zwei Dosen OPV und einer Dosis IPV empfohlen. Schulze hält diese Kombination für sinnvoll, wenn dadurch ein besserer Impfschutz erzielt und gleichzeitig das Risiko für Nebenwirkungen reduziert werden könne. Allerdings fehle es in betroffenen Ländern wie Nigeria oder Pakistan oft an ausreichender ärztlicher Versorgung und an finanziellen Mitteln. Die Lebendimpfstoffe werden nach wie vor dringend benötigt. „Das Problem sind weniger die Impfstoffe selbst, sondern vielmehr die Herausforderung diese möglichst jedem zugänglich zu machen“, betont Schulze.

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