Wer verfasst die ärztlichen Leitlinien?
Prof. Dr. Hans-Christoph Diener: Die Leitlinien werden ehrenamtlich erstellt. Nur erforderliche Gutachten werden vergütet. Der Aufwand ist beträchtlich: So dauert es zweieinhalb bis drei Jahre mit vielen hundert Stunden der Beteiligten bis zur Fertigstellung einer Leitlinie. Der geht eine aufwendige systematische Literaturrecherche voraus, die von unbelasteten, also von Interessenkonflikten freien Ärzten und Epidemiologen geleistet wird. Ferner sind mehrere Prüfungsschritte zwischengeschaltet. Da wir evidenzbasiert arbeiten und die Texte im informellen Konsens entwickeln, braucht es manchmal bis zu zwölf Abstimmungsrunden für eine Empfehlung.
Wie werden die anfallenden Kosten finanziert?
Prof. Diener: Die Kosten tragen wir ausschließlich mit Mitteln der DGN, etwa durch unsere Mitgliedsbeiträge. Die Finanzierung der Leitlinien ist völlig unabhängig von externen Geldgebern wie etwa der Industrie.
Ihre Fachgesellschaft hat zwar Richtlinien dazu verabschiedet, aber wie gehen Sie mit Interessenkonflikten um und sorgen für die nötige Unabhängigkeit von ökonomischen Einflüssen? Schließlich halten viele Mediziner Vorträge auch bei Veranstaltungen der Industrie.
Prof. Diener: Zunächst einmal halten wir uns an die umfangreichen Empfehlungen der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften/Anmerkung der Red.), die diese zu dem Thema veröffentlicht hat. Darauf gründen auch die genannten Handlungsrichtlinien der DGN. Diese sehen unter anderem die Pflicht für alle Beteiligten vor, die an Leitlinien mitarbeiten, ihre Interessenkonflikte offenzulegen. Erstautoren etwa müssen davon völlig frei sein, die anderen Mitglieder des Autorenteams erhalten eine Beurteilung. Sollte ein Interessenkonflikt vorliegen, enthalten sie sich bei Abstimmungen zu bestimmten Fragestellungen.
Warum dürfen Autoren, die mit der Pharmaindustrie arbeiten, überhaupt bei Leitlinien mitarbeiten?
Prof. Diener: Ganz ohne Kontakte zur Pharmaindustrie wird es in der medizinischen Forschung und der Entwicklung neuer Therapien nicht gehen. Klinische Kooperationspartner der Industrie haben in die pharmazeutische Entwicklung den besten Einblick, was für die Beurteilung eines Medikaments oder einer Methode äußerst wichtig ist. Ich glaube, es kommt auf eine gesunde Mischung von Vertretern aus drei Gruppen an: erstens gute und unabhängige Methodiker, zweitens Kliniker, die keine Beziehung zur Industrie unterhalten und drittens Kliniker, die an Medikamentenstudien teilgenommen haben und über eine große praktische Erfahrung verfügen.
Zur Person: Prof. Dr. Hans-Christoph Diener ist Herausgeber der Leitlinien der DGN-Fachgesellschaft und Vorsitzender der DGN-Leitlinienkommission. Am Universitätsklinikum Essen leitet er als Direktor die Klinik für Neurologie.
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