Dr. Thomas Meyer kritisiert die starre Methodik der Nutzenbewertung. Er glaubt  dass der G-BA damit vielen Patienten zurzeit den Zugang zu den individuell besten Therapien verwehrt. Foto: privat
Dr. Thomas Meyer kritisiert die starre Methodik der Nutzenbewertung. Er glaubt dass der G-BA damit vielen Patienten zurzeit den Zugang zu den individuell besten Therapien verwehrt. Foto: privat

AMNOG-Verfahren benötigt individuellere Bewertung bei Anti-Epileptika

Speziell neue Epilepsiepräparate haben es im AMNOG-Verfahren schwer. Starre Anforderungen an die einzureichenden Studien haben dazu geführt, dass neuen Medikamenten kein Zusatznutzen attestiert werden konnte. Das Resultat: Die Hersteller sahen sich gezwungen, offensichtlich wirksame Präparate vom deutschen Markt zu nehmen. Pharma Fakten sprach hierzu mit Dr. Thomas Mayer, Epileptologe am Sächsischen Epilepsiezentrum in Radeberg und Erster Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft für Epileptologie.

Warum haben es Epilepsiepräparate im AMNOG-Verfahren so schwer?

Dr. Thomas Mayer: Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss im Rahmen der frühen Nutzenbewertung vorgesehene „zweckmäßige Vergleichstherapie“ klingt in der Theorie zwar sinnvoll, vernachlässigt aber die praktischen Besonderheiten der Epilepsietherapie. Diese ist höchst individuell. Ein Medikament kann bei einem Patienten gut wirken, bei einem anderen Patienten aber keine Verbesserung hervorrufen. Ist ein Patient einmal zufriedenstellend eingestellt, so besteht keine Veranlassung, auf ein anderes Medikament zu wechseln. Für Studien mit neuen Medikamenten kommen also in aller Regel nur jene Patienten in Frage, für die bisher keine wirksame Therapie existiert. Vergleichsstudien erübrigen sich dann. Zeigen diese Patienten bei Behandlung mit dem neuen Medikament eine Verbesserung des Zustands, so liegt in diesem individuellen Fall offensichtlich ein Zusatznutzen vor. In kaum einem anderen Bereich erkennen Arzt und Patient den Effekt einer Therapie in der Praxis so schnell wie in der Epilepsie – der Patient bekommt keine Anfälle mehr.

Einen solchen praktischen Ansatz zum Nachweis des Zusatznutzens akzeptiert der Gemeinasame Bundesausschus (G-BA) nicht?

Dr. Mayer: Nein, das hat der G-BA nicht zuletzt in den Fällen von Trobalt und Fycompa klargestellt. Bei den beiden Produkten wurde der Zusatznutzen aus methodischen Gründen – es lagen keine Vergleichs-, sondern nur Placebo-kontrollierte Studien vor – als „nicht belegt“ angesehen. Als Resultat konnten die Hersteller keine Preise verhandeln, die ihre Kosten gedeckt hätten. Die Produkte wurden schließlich vom deutschen Markt genommen – obwohl sie in der Praxis bei zahlreichen bisher nicht-therapierbaren Patienten gute Ergebnisse geliefert haben.

Was müsste sich Ihrer Ansicht nach am AMNOG-Verfahren ändern?

Dr. Mayer: Der G-BA und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das die Durchführung der Nutzenbewertungen in der Regel übernimmt, müssen sich von ihrem starren methodischen Korsett befreien. Man sollte akzeptieren, dass ein Zusatznutzen bei ZNS-aktiven Medikamenten sehr schwer objektiv zu messen ist. Der Zusatznutzen, den eine neues Medikament gegenüber einer Vergleichstherapie hat, ist eben oft ein individueller. So kann beispielsweise das Behandlungsergebnis gleich sein, die Verträglichkeit aber umso besser. Ein standardmäßig vorgesehenes Studiendesign zur Messung eines Zusatznutzens ist bei diesen Substanzen in der Praxis kaum vorstellbar.

Können Sie das an einem Beispiel veranschaulichen?

Dr. Mayer: Ja, exemplarisch für den Epilepsiebereich wurde einmal eine Vergleichsstudie des Wirkstoffs Levetiracetam mit einem anderen Standard-Antiepileptikum durchgeführt. Das Ergebnis: Im Rahmen der Studie hatte er keinen messbaren Zusatznutzen – beide Substanzen waren gleich gut wirksam. In der Praxis sieht es jedoch etwas anders aus. Wenn man solche Medikamente ein Leben lang nehmen muss, dann hat Wirkstoff ein viel besseres pharmakoligisches Profil, das heißt keine Wechselwirkungen mit anderen Substanzen und keine Hinweise, dass Osteoporose oder Cholesterinerhöhung induziert werden. Für den behandelten Patienten ist das natürlich ein riesiger Zusatznutzen. Es kommt demnach nicht von ungefähr, dass Präparate mit Levetiracetam – auch ohne belegten Zusatznutzen – seit Jahren in der Praxis etabliert sind.

Was bedeutet die Bewertungspraxis des G-BA für die Patienten?

Dr. Mayer: Kurz gesagt, verwehrt der G-BA vielen Patienten zurzeit den Zugang zu den individuell besten Therapien. Das ist ein fast zynisches Vorgehen: Für Epilepsiepatienten ist die Erkrankung schließlich ein schweres Leiden, das sie stark im Alltagsleben einschränkt und nicht selten zu Sozialphobien führt. Stellen Sie sich nun vor, dass einer der knapp 200.000 Patienten, für die es derzeit noch keine zufriedenstellende Behandlung gibt – das ist immerhin fast ein Drittel aller Epilepsiepatienten – gut auf ein neues Medikament anspricht. Dass dieser Patient dann feststellen muss, dass ein solches Medikament in Deutschland nicht mehr vertrieben werden kann, da kein Beweis für einen Zusatznutzen vorliegt, darf nicht sein.

Wie steht es heute allgemein um die Versorgung im Epilepsiebereich?

Dr. Mayer: Wie bereits angedeutet, können etwa zwei Drittel der Patienten gut mit den verfügbaren Therapieoptionen eingestellt werden. Es geht vor allem um das letzte Drittel, für das jedes neue Medikament wichtig ist. Selbst wenn es nur bei 1.000 der bisher therapieresistenten Patienten Abhilfe schafft, so ermöglicht es zumindest diesen die Hoffnung auf einen geregelten Alltag und ein mehr oder weniger normales Leben. Einen solchen Zusatznutzen zu vernachlässigen, wäre fahrlässig.

Foto: privat

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