30 Jahre Entwicklung von Arzneimitteln gegen HIV. Foto: CC0 (Stencil)
30 Jahre Entwicklung von Arzneimitteln gegen HIV. Foto: CC0 (Stencil)

30 Jahre Entwicklung von Arzneimitteln gegen HIV

Die Geschichte der Medikamente gegen das Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS) ist eine Geschichte von Lichtblicken und Rückschlägen. Die Pharmaunternehmen forschen weiter intensiv, um der Heilung gegen HIV näher zu kommen.

Es gibt sechs verschiedene Klassen von Medikamenten. Jede Klasse wirkt anders. Rund 30 Medikamente basieren auf 25 verschiedenen Wirkstoffen. Die meisten von ihnen enthalten einen Wirkstoff, es gibt aber auch Zweier- oder Dreierkombinationen in einer Tablette.

1981: AIDS wird am 1. Dezember 1981 als eigenständige Krankheit anerkannt.

1983: Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier entdecken im Institut Pasteur in Paris das HI-Virus Typ 1. Auch der US-Forscher Roberto Gallo von den National Institutes of Health (NIH) beansprucht die Entdeckung für sich.

1985, Februar: In den USA weist der japanische Virologe Hioraki Mitsuy (NIH), die Wirksamkeit von Azidothymidin (AZT) – auch Zidovudin (ZDV) genannt – gegen das HI-Virus (HIV) nach. Ein eigentlich fehlgeschlagenes synthetisches Krebsmittel ist AZT, ein nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NRTI). Er hemmt die Aktivität eines Schlüsselenzyms und unterbindet somit die Vervielfältigung des Virus.
Juli: An den NIH und dem Medical Centre der Duke University beginnt mit 35 Patienten die Phase-I-Studie für AZT.

1986: Luc Montagnier entdeckt bei einem westafrikanischen Patienten den HIV-Typ 2.
Dezember: Der britische Konzern Burroughs-Wellcome (jetzt GSK)  stellt den Zulassungsantrag für AZT bei der US-Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA).

1987, März: Die FDA erteilt am 20. März einem AZT-Medikament die Zulassung zur HIV-Behandlung – aufgrund der besonderen Umstände ohne vorherige Phase-III-Studie oder Großstudie. Die Behandlungskosten für das Medikament liegen pro Patient bei jährlich 10.000 US-Dollar.

1989: Ein neues antiretrovirales Medikament mit ddl (Didanosine) darf noch vor der Zulassung in den USA vertrieben werden.
Amerikanische Studien bestätigen eine vorbeugende Wirkung von AZT. In Europa wird die Concorde-Studie mit 1700 HIV-Infizierten aus ethischen Gründen unterbrochen. Da ein Teil der Probanden ein Placebo einnahm, hielten es die Ärzte für nicht mehr vertretbar, ihnen den Schutz von AZT vorzuenthalten. Damit sank die Aussagekraft der Studie.

1990: Die FDA erlaubt ebenfalls, dass die antiretrovirale Substanz ddC bereits vor der Zulassung verschrieben werden darf.

1993, April: Das Ende der Monotherapie zeichnet sich ab, als die europäische Concorde-Studie keinen zusätzlichen Nutzen von AZT feststellt. Die Krankheit verläuft bei den AZT-Behandelten und den Unbehandelten nahezu gleich schnell.
Juni: Der Erfinder des Polio-Impfstoffs, der US-Virologe Jonas E. Salk, stellt eine Immuntherapie gegen Aids vor. Sie bleibt am Ende ohne Wirkung. Die Schwierigkeit der Impfstoffentwicklung liegt darin, dass sich das Virus durch die vielen Mutationen nicht mit Antikörpern neutralisieren lässt.

1995: Studien zeigen, dass die kombinierte Behandlung mit zwei Wirkstoffen besser ist als eine Monotherapie. Eine Zweier-Kombination von AZT mit ddl oder ddC wird als antiretrovirale Therapie zum Standard im Kampf gegen das Virus.
Die FDA lässt mit Saquinavir den ersten Proteasehemmer zu. Die Zulassung in Europa erfolgt im Oktober 1996. Patienten müssen sehr hohe Dosen über den Tag verteilt alle acht Stunden einnehmen.

1996: Die Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) gilt als Durchbruch. Sie setzt nun auf eine Kombinationstherapie aus mindestens drei antiretroviralen Medikamenten (ARV) aus zwei Wirkstoffklassen. Damit werden die Folgen einer unkontrollierten HIV-Infektion unterbunden. Als Wirkstoffe von HAART werden in erster Linie Reverse-, Transkriptase-, Proteinase-, Entry-Inhibitoren, die den Eintritt in die Wirtszelle verhindern sollen, sowie Fusionsinhibitoren verwendet. Über den Zeitpunkt der Therapie gehen die Meinungen auseinander. Einige Experten rechnen bei frühzeitigem Therapiebeginn mit einer normalen Lebenserwartung.

Allerdings waren die Nebenwirkungen damals noch sehr hoch, sodass andere sich für eine spätere Einnahme aussprachen. Therapietreue, die sogenannte Compliance, spielt eine wichtige Rolle.
März: Die Proteasehemmer Indinavir und Ritonavir erhalten die Zulassung in den USA und Europa. Während Indinavir in hohen Dosen verabreicht wurde, konnte die Dosis bei Ritonavir durch einen höheren Plasmaspiegel des Wirkstoffs gesenkt werden. Durch Kreuzresistenzen richtet sich das Virus auch gegen die anderen Proteasehemmer.  Ritonavir wird mittlerweile in niedriger Dosierung als Booster genutzt, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente zu erhöhen.
September: Mit Nevirapin wird der erste Vertreter der Nicht-nukleosidale Reverse Transkriptase-Hemmer (NNRTI) in den USA zugelassen (Europa: 1997). NNRTIs entwickeln sich zu einem wichtigen Baustein der Kombinationstherapien.

1997, März: Der Proteasehemmer Nelfinavir kommt in den USA auf den Markt (Europa: 1998).
Juni: Der NNRTI Delavirdin darf in den USA verschrieben werden, erhält aber keine Zulassung  in Europa.

1998, Juni: Die FDA erlaubt die erste Phase-III-Studie mit HIV-Impfstoffen, die am Menschen getestet werden.
Oktober: Das NNRTI Efavirenz darf in den USA eingesetzt werden (Europa: 1999).

1999, Februar: Auf der Retroviruskonferenz in Chicago wird am Ruf von Proteasehemmern als wirksamste Substanzklasse der antiretroviralen Medikamente gekratzt. Dreifachkombinationen von drei NRTIs oder zwei NRTIs und einem NNRTI erzielen in vergleichenden Studien bessere Ergebnisse als die Wirkung von zwei NRTIs und einem Proteasehemmer.

2000, November: FDA-Zulassung für eine Dreier-Kombinations-Pille mit den Wirkstoffen AZT, 3TC und Abacavir. Einen Monat später darf sie auch in Europa eingesetzt werden.

2002, Februar: Der nukleotidische Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NtRTI) Tenofovir wird von der EU-Medikamentenbehörde EMEA für alle Mitgliedstaaten zugelassen.

2003, März: Der erste Fusionshemmer mit dem Wirkstoff Enfurvirtid erhält die Zulassung. Er verhindert das Verschmelzen der Zellmembran mit dem Virus.
Juni: Der Proteasehemmer Atazanavir darf in den USA eingesetzt werden.
Juli: Die FDA erlaubt den NRTI Emtricitabine.

2004, Dezember: Die STEP-Studie mit einem neuen HIV-Impfstoffkonzept wird aufgelegt. Es geht darum, die T-Zell-Antwort zu stimulieren, was einem Durchbruch in der Suche nach effektiven HIV-Impfstoffen gleichkäme. Die Studie sollte Neuinfektionen verhindern und/oder die Viruslast, bei denjenigen reduzieren, die sich während der Studie neu mit HIV infizierten.

2005: Beginn der ersten klinischen Studien an Integrase-Inhibitoren. Integrase gehört neben reverser Transkriptase und Protease zu den HIV-Schlüsselenzymen. Es baut virale DNA-Stränge in die Chromosomen der Wirtszelle ein.

2006,  Juni: Der Proteasehemmer Darunavir darf in den USA angewendet werden.
Juli: Die FDA lässt eine Dreier-Kombination aus Efavirenz,  Emtricitabine und Tenofovir in einem Medikament zu. Das Mittel muss nur einmal am Tag eingenommen werden. Die monatlichen Kosten für das Medikament liegen bei 1150 US-Dollar.

2007, August: Der erste CCR5-Hemmer mit dem Wirkstoff Maraviroc wird in den USA und in Europa (September) zugelassen. Er hemmt Viren, die über den Ko-Rezeptor CCR5 in die Körperzellen eindringen.
Oktober: Der Integrasehemmer Raltegravir nimmt in den USA den „fast track“, die beschleunigte Zulassung, und darf auch in Europa (Dezember) auf den Markt gebracht werden. Er ist der erste Vertreter einen neuen Medikamentenklasse.
Erneuter Dämpfer bei der Suche nach einem HIV-Impfstoff: Die STEP-Studie wird gestoppt, da sich die Geimpften häufiger als die einer Kontrollgruppe infizieren – trotz der Bildung von Antikörpern.

2008, Dezember: Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier erhalten den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung des HI-Virus.

2009: Erneut Hoffnung für die Impfstoff-Forschung: Amerikanische Wissenschaftler entdecken Breitband-Antikörper bei einem HIV-Infizierten.
Oktober: Eine große weltweite HIV-Impfstoffstudie von US-Army und örtlichen Behörden in Thailand soll eine Senkung des Ansteckungsrisikos um 30 Prozent erreicht haben. Doch die positiven Daten halten einer zweiten Analyse nicht stand.

2012, Juli: Die FDA genehmigt ein Medikament zur AIDS-Prävention. Es besteht aus den Nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTIs) Emtrictabin und Tenofovirdisoproxil und gilt als Meilenstein. Das Mittel ist für Erwachsene gedacht, die ein hohes Ansteckungsrisiko besitzen. Fachleute sprechen in diesem Fall von Präexpositionsprophylaxe (PrEP).

2013, April: Erneuter Rückschlag bei der Impfstoff-Forschung: In den USA stoppt die Regierung die Erprobung des HIV-Impfstoffs HVTN 505.

2015, April: Studie der Rockefeller University in New York zeigt erstmals einen therapeutischen Erfolg mit geklonten Antikörpern bei einer HIV-Impfung. Die Zahl der Viren im Blut sinkt schnell deutlich ab.
Ein Pharmaunternehmen beantragt bei der FDA die Zulassung eines Kombipräparats mit den Wirkstoffen Emtricitabin und Tenofovir Alafenamid (TAF).
Juli: Amerikanische Forscher finden heraus, dass der Wirkstoff PEP005, der gegen Hautkrebs eingesetzt wird, die HI-Viren aus den Reservoiren lockt.
Oktober: HIV-Mitentdecker Dr. Roberto Gallo testet am Institute für Human Virology an der Universität Maryland Verträglichkeit eines HIV-Impfstoffs am Menschen.
November: FDA-Zulassung für eine Einzeltablette mit vier Wirkstoffen (TAF, Emtricitabine, den Integrasehemmer Elvitegravir sowie den Wirkverstärker Cobicistat).

Blick in die Zukunft der HIV-Behandlung:

Schutzimpfungen gegen HIV bleiben das große Ziel der Forschung. Die geht jedoch auch in Richtung funktionelle Heilung. Nicht Tabletten, sondern das Immunsystem selbst soll die Viren kontrollieren. Forschungen in Sachen Gentherapie – wie zum Beispiel an der Charité in Berlin mit Blutstammzellen laufen bereits.

Bis 2019: Für die HIV-Therapie sind laut Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) fünf weitere HIV-Medikamente in der Entwicklung, die unter anderem noch zwei weitere Wirkprinzipien einführen sollen: die Attachment- und die Reifungs-Inhibition. Mit jedem neuen Wirkprinzip vergrößern sich die Chancen, dass HI-Viren bei den Patienten dauerhaft in ihrer Vermehrung blockiert werden können. Eines der Medikamente wird zusätzlich auf seine Eignung zur HIV-Vorbeugung erprobt.

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