Der Streit um die Erstattungspreise

Die Krankenkassen erneuern die Diskussion immer wieder: eine rückwirkende Anpassung der Erstattungspreise für Arzneimittel ab dem ersten Verkaufstag. Doch welche Auswirkungen hätte dies konkret? Welcher Sprengstoff in dieser Forderung steckt und weshalb sie nicht fallengelassen wird, dazu hat Pharma Fakten den GKV-Spitzenverband, die pharmazeutische Industrie und einen Jurist gefragt.

 

Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) hat die Ermittlung von Erstattungspreisen für Medikamente klar geregelt. Alle neuen Arzneimittel stehen den Patienten ab Markteinführung zur Verfügung und werden erstattet. Die Unternehmen können im ersten Jahr den Preis selbst festsetzen. Am dem 13. Monat greift ein mit dem GKV-Spitzenverband verhandelter oder von einer Schiedsstelle festgelegter Preis.

 

Doch den Kassen geht diese Regulierung des Arzneimittelmarktes nicht weit genug. Sie fordern: Vom ersten Jahr an soll der ausgehandelte Erstattungsbetrag gelten – und dies rückwirkend. „Somit bleibt der unmittelbare Zugang der Patienten zu innovativen Therapieoptionen sichergestellt“, sagt Florian Lanz, Pressesprecher des GKV-SV. Gleichzeitig gelte von Anfang an ein Preis, der sich am Zusatznutzen für die Patienten orientiere.

Arzneimittelhersteller befürchtet negative Auswirkungen für Patienten

Die Pharmaunternehmen haben starke Zweifel, ob ein rückwirkender Erstattungspreis für Unternehmen überhaupt machbar ist. Marco Annas, Leiter Gesundheitspolitik Bayer in Deutschland, betont gegenüber Pharma Fakten: „Dem pharmazeutischen Unternehmer drohen für die Dauer des AMNOG-Verfahrens kaum kalkulierbare finanzielle Rückforderungen der Krankenkassen.“ Außerdem stehe es den Krankenkassen frei, bereits für die ersten zwölf Monate nach Marktzutritt eines neuen Arzneimittels kostensteuernde Maßnahmen mit den Arzneimittelherstellern zu vereinbaren, „was im Übrigen längst praktiziert wird“.

Für aussichtslos hält der Rechtsanwalt und Arzt Prof. Dr. Christian Dierks die GKV-Forderung. Er befürchtet Folgen bei der Versorgung von Patienten mit innovativen Arzneimitteln. „Wahrscheinlich wären die Unternehmen dann sehr zurückhaltend mit der Markteinführung in Deutschland“, erklärte Prof. Dierks. „Das heißt, die Produkte würden in Deutschland – wenn überhaupt – erst dann eingeführt, wenn sie in anderen Ländern sehr positiv bewertet wurden und die Chancen in Deutschland auch gut sind.“ Dass es dazu kommt, hält er für „wenig wahrscheinlich“.

Annas teilt diese Befürchtungen negativer Konsequenzen für die Patienten: „Wenn für ein neues Arzneimittel in Deutschland der Preis, den Krankenkassen zahlen, erst nach einem Jahr feststeht, wird die Einführung von Innovationen auf dem deutschen Markt behindert und der sofortige Zugang zu Innovationen für Patienten massiv gestört.“ Es gebe keinen Grund, diese tragende Säule der Arzneimittelversorgung einzureißen, ergänzt Annas. „Das hat übrigens der Gesetzgeber bisher auch so gesehen. Dafür reicht ein kurzer Blick in die Gesetzesbegründung des AMNOG.“

Forderung der GKV wurden politische Absagen erteilt

Weshalb hält der GKV-SV trotz dieser Befürchtungen an der Forderung fest? Lanz sagt: „Die Festsetzung der Erstattungsbeträge erst ab dem 13. Monat biete für die pharmazeutischen Unternehmer den Anreiz, im ersten Jahr überhöhte Preise realisieren zu wollen, so der Pressesprecher. „Dass dies strategisch ausgenutzt werden kann, belegen bereits einzelne Fälle, in denen provokante Preisbildungsentscheidungen unabhängig vom Vorliegen eines Zusatznutzens getroffen und öffentlich diskutiert wurden.“

Bei allem Verständnis für die Position der Kassen hat die Politik der Forderung bislang eine Absage erteilt. Die wirtschaftlichen Risiken für die Unternehmen, die auch Forschung und Entwicklung gefährden, sowie zu erwartende Rechtsstreitigkeiten über die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung und verhandelte Preise wiegen zu schwer.

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: