Mit der EU-Verordnung zu Orphan Drugs hat die Politik die Entwicklung von Arzneimitteln für kleine Patientengruppen leichter gemacht. Dennoch kritisieren Vertreter der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) immer wieder, dass diese Arzneimittel nicht dasAMNOG-Verfahren durchlaufen und dadurch zu hohe Kosten verursachen. Forscher, Patienten und pharmazeutische Industrie weisen diese Argumentation zurück.
Sabine Biermann ist heilfroh, dass es Orphan Drugs gibt. Die 52-jährige Mutter von zwei Töchtern hat die seltene Erkrankung Morbus Gaucher, die in Deutschland bei nur 300 Menschen in Deutschland diagnostiziert wurde. Arzneimittel gegen diese Stoffwechselkrankheit ermöglichen es ihr, nach Jahren voller Schmerzen und Abgeschlagenheit wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen. „Nach drei bis vier Infu- sionen mit dem Arzneimittel hat sich mein Leben phänomenal verändert“, sagte die 52-Jährige bei einer Pressekonferenz des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in Berlin.
Fälle wie der von Sabine Biermann sind gar nicht so selten. Nach Schätzungen existieren mindestens 8000 seltene Erkrankungen, für die wenigsten von ihnen stehen geeignete Medikamente zur Verfügung. Geht es nach der Forscherin Prof. Annette Grüters-Kieslich, Centrum für seltene Erkrankungen an der Charité in Berlin, müssten neue Präparate schneller entwickelt werden. „Ich hoffe, dass wir dafür eine gemeinsame Strategie entwickeln können, ohne Marktgesetzen unterworfen zu sein“, wünschte sich die Forscherin. Die Auffassung der GKV, Orphan Drugs würden die Krankenkassen zu stark belasten, teilt sie nicht. „Es gibt keine Orphanisierung, die das Gesundheitssystem an die Wand fährt“, betonte sie. Das ist auch durch Zahlen belegbar. Zuletzt machten Orphan Drugs 3,2 Prozent der Arzneimittelausgaben aus.
Strengere Regulationen lähmen den Markt
Noch strengere Regulationen bei den Preisen – wie in Deutschland bereits durch das AMNOG der Fall – würden sich negativ auf deren Entwicklung auswirken, so die Forscherin. Denn pharmazeutische Unternehmen können schwerlich in einem Bereich große Investitionen tätigen, in denen die Refinanzierung ungewiss ist. Auf europäischer Ebene wurde dieses Dilemma schon vor längerer Zeit erkannt, man bekämpfte es mit einer gesetzlichen Maßnahme zur Förderung von Orphan Drugs. Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer, sagte: „Durch die EU-Verordnung haben die Unternehmen eine bessere Refinanzierungsperspektive.“ Diese gesetzliche Maßnahme aus dem Jahr 2000 zeigt Wirkung. Seither wächst die Anzahl der Orphan Drugs (siehe Grafik). „Der Status quo ist ein guter. An ihm sollte nicht gerüttelt werden“, so Gerbsch. Auch Sabine Biermann hält eine Änderung bei dieser Regelung für kontraproduktiv. Denn: „Jeder Mensch sollte ein Anrecht auf eine Therapie haben“, sagte sie.