Im Jahr 2010 wurde NAMSE ins Leben gerufen. Das Aktionsbündnis soll die Situation von Patienten wie Lucia Schauf verbessern. Sie leidet am hereditären Angioödem (HAE). Rund 1600 Menschen sind in Deutschland von dieser seltenen Erkrankung betroffen. Vermutlich liegt die Zahl höher, da viele möglicherweise gar nicht wissen, dass sie an eben jener Krankheit leiden. Bei den Betroffenen schwellen spontan und wiederkehrend Haut und Schleimhäute des ganzen Körpers an. Es kann auch zu inneren Schwellungen an den Organen kommen. Das führt unter anderem zu starken Magen-Darm-Krämpfen mit Kreislaufbeschwerden. Im schlimmsten Fall kann ein Kehlkopf-Ödem entstehen, das sogar tödliche Folgen haben kann.
Schwierige Diagnose bei seltenen Erkrankungen
Menschen, die an seltenen Erkrankungen wie HAE leiden, eint oft ein Schicksal. Der Weg bis zur richtigen Diagnose kann sehr lang sein und nicht selten begleitet die Betroffenen die Ungewissheit bei ihrer Arzt-Odyssee. „Der Mediziner erkennt die Krankheit nicht, schätzt die Symptome falsch ein und tut sich schwer mit einer Diagnose. Der Patient weiß nicht, woran er leidet“, sagt der Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. Pharmaunternehmen würden nur selten in die Forschung einsteigen, weil der Zulassungsprozess neuer Medikamente im Verhältnis zu den Absatzmöglichkeiten besonders lang und teuer sei, so Greiner. Der Gesundheitsökonom leitet eine Arbeitsgruppe, die derzeit im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums den Status Quo des Nationalen Aktionsplans auf den Prüfstand hebt. „Ziel ist es, die nachhaltige Finanzierung und die Situation für Menschen mit seltenen Krankheiten zu verbessern“, sagt Greiner. Ab dem Frühjahr 2016 sollen die Ergebnisse der Wissenschaftler in Maßnahmen umgesetzt werden.
Pharmaunternehmen forschen an Therapien gegen seltene Erkrankungen
Die Pharmaunternehmen forschen an vielen unterschiedlichen Therapieoptionen für Patienten mit seltenen Krankheiten. Rund 1500 sogenannte Orphan Drugs dieser Medikamente befinden sich nach Angaben des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) zurzeit in der Entwicklung. Viele von ihnen werden bereits in klinischen Studien erprobt. Gute Rahmenbedingungen zur Erforschung sind unerlässlich für weitere Fortschritte. „Patienten wollen Heilung oder Besserung ihrer Krankheiten, auch wenn sie in der Bevölkerung selten vorkommen. Seit 2000 macht sich auch die EU dafür stark, mit Förderkonditionen für Entwickler von Orphan Drugs und mit eigenen Forschungsprogrammen zu seltenen Krankheiten“, sagt vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer in einer Pressemitteilung. Den Pharmaunternehmen habe das geholfen, ihre Forschung gegen seltene Krankheiten auszubauen.
Pharmaverbände widersprechen Kassenkritik
Dr. Norbert Gersch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), sieht trotz aller Bemühungen einen weiter hohen Bedarf für Verbesserungen. „Die Versorgung der allein vier Millionen in Deutschland lebenden Betroffenen ist trotz aller Investitionsbereitschaft seitens der Pharmaindustrie noch immer defizitär“, betont Gerbsch in einer Pressemitteilung. Um die Situation zu verbessern, engagieren sich vfa und BPI beim Nationalen Aktionsbündnis und sie widersprechen der Kritik der Krankenkassen, Orphan Drugs seien unter anderem zu teuer. Vielmehr belasten diese Medikamente das Gesundheitssystem nicht zusätzlich.
Ab einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro muss sich ein Orphan Drug einer erneuten frühen Nutzenbewertung unterziehen, ohne dass der Zusatznutzen bereits als belegt gilt, obwohl dieser bereits durch die Verleihung des Status als Arzneimittel für eine seltene Erkrankung durch die Europäische Kommission anerkannt wurde. Anschließend kommt es zu Preisverhandlungen wie bei allen anderen neuen Medikamenten auch. Aber dies ist äußerst selten. „Überhaupt nur eine einstellige Zahl von Orphan Drugs hat den Firmen, die sie entwickelt haben, seit ihrer Markteinführung mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz eingebracht “, sagt Gerbsch. Orphan Drugs seien in der Regel Nischenpräparate, für die die Gesetzliche Krankenversicherung laut vfa deutlich unter zehn Millionen Euro aufwenden müsse. Auf alle dieser Arzneimittel entfielen im vergangenen Jahr 3,3 Prozent der GKV-Arzneimittelausgaben.
Patienten mit seltenen Erkrankungen wie Lucia Schauf hoffen auf weitere Verbesserungen bei der Versorgung und bei der Entwicklung entsprechender Arzneimittel. Im Fall von HAE ermöglicht die Behandlung mit einem humanen C1-Inhibitor-Konzentrat die Aussicht auf ein fast normales Leben. Für viele weitere Erkrankungen wären Ergebnisse wie dieses wünschenswert.