Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
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ACHSE-Vorstand weist Kritik an Orphan Drugs zurück

Die Entwicklung von Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen ist nach Auffassung vieler Ärzte schwierig zu realisieren. Weil diese Medikamente nur für wenige Patienten entwickelt werden, haben sie in einigen Fällen höhere Preise. Aus diesem Grund kritisierten die Krankenkassen die zurzeit gültige Orphan-Drug-Regelung. Dr. Andreas Reimann, Vorstandsvorsitzender der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), widerspricht vehement dieser Sichtweise.

Krankenkassen und Ärzte haben zuletzt Medikamente gegen seltene Erkrankungen kritisiert. Sie seien zu teuer und böten kaum Zusatznutzen, heißt es. Wie bewerten Sie die Kritik?

Dr. Andras Reimann: Sie ist schlichtweg falsch. Schaut man sich die zugelassenen Orphan Drugs an, sind sie in aller Regel die einzige überhaupt vorhandene therapeutische Möglichkeit. Ich finde es zynisch, wenn man Patienten, für die diese Arzneimittel oft die einzige Behandlungsmöglichkeit darstellen, so verunsichert. Tatsache aber ist, dass die Schwere der Erkrankungen oft eine Zulassung unter „besonderen Umständen“ oder „unter Bedingungen“ durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA in London erfordert. Diese Arzneimittel werden ebenso auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität geprüft wie Arzneimittel bei häufigeren Erkrankungen. Unverantwortlich ist es, wenn suggeriert wird, dies sei nicht der Fall.

Allerdings ist das Ausmaß des Zusatznutzens – im Vergleich zu einer rein symptomatischen Behandlung oder unterstützender Pflege – zum Teil nicht ausreichend dokumentiert. Dadurch kann sich der Gemeinsame Bundessausschuss (G-BA) kein vollständiges Bild machen und zu einer Bewertung kommen. Genau diese Bedeutung hat die Aussage, der Zusatznutzen sei „nicht quantifzierbar“. Das ist jedoch kaum überraschend: Häufig sind nur wenige hundert Patienten in ganz Europa betroffen. Daher konnten in vielen Fällen nur wenige vergleichende Daten gesammelt werden. Um es noch einmal klarzustellen: Die G-BA-Bewertung eines „nicht quantifzierbaren“ Zusatznutzens bedeutet keinesfalls, das Arzneimittel sei nicht ausreichend geprüft.

Wir dürfen bei der Diskussion jedoch nicht vergessen, dass gerade bei den Arzneimitteln für nicht-onkologische seltene Erkrankungen weit häufiger ein „geringer“ oder sogar ein „beträchtlicher“ Zusatznutzen zuerkannt wird. Bereits deshalb ist eine pauschale Aussage in der von Ihnen zitierten Form unzulässig. Meiner Meinung nach sollten wirksame und sichere Arzneimittel, die von der EMA geprüft und zugelassen wurden, sofort Patienten in Deutschland zugänglich machen – so ist es auch bislang. Allerdings sollte regelmäßig überprüft werden, ob und gegebenenfalls welche zusätzlichen Hinweise es auf einen Zusatznutzen gibt. Und genau diese Bewertungen könnten dann entscheidend für weitere Preisverhandlungen sein.

Mehr als vier Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer seltenen Erkrankung. Wie erleben die Betroffenen solche Diskussionen?

Dr. Reimann: Sie erleben sie als zynisch, um es milde zu formulieren. Wenn Sie oder ich an einer unheilbaren Erkrankung erkrankt wären und ein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, um den Fortschritt dieser Erkrankung zu verlangsamen, zu stoppen oder gar eine Rückbildung von Schäden zu ermöglichen: Wie würden wir reagieren, wenn dann in einer bürokratischen und wenig menschenfreundlichen Weise „vom grünen Tisch“ pauschal gegen solche Arzneimittel zu Felde gezogen würde? Bedenken Sie: Die von seltenen Erkrankungen Betroffenen und ihre Angehörigen kämpfen Tag für Tag einen harten, unbarmherzigen Kampf mit einer Herausforderung. Davon machen sich die meisten von uns noch nicht einmal eine Vorstellung. Und dann sollen sie auch noch darum fürchten müssen, zukünftig ihr Arzneimittel nicht mehr zu erhalten?

Hat es spürbare Verbesserungen in der Entwicklung von Orphan Drugs gegeben?

Dr. Reimann: Das belegen allein schon die Zulassungszahlen. Circa 100 Arzneimittel sind in den vergangenen 16 Jahren spezifisch für bestimmte seltene Erkrankungen zugelassen worden. Außerdem gibt es weit über 1000 Arzneimittel in der Entwicklung, denen der Status eines „Orphan Drug“ zuerkannt wurde. Allerdings werden sehr viele dieser Arzneimittel nie den Patienten in der Routineversorgung erreichen, weil sie die hohen Zulassungshürden nicht schaffen. Auch wichtig: Patienten mit seltenen Erkrankungen dürfen natürlich nicht einem unvertretbaren Risiko ausgesetzt werden.

Bei welchen Krankheiten sind aus Ihrer Sicht noch Verbesserungen nötig?

Dr. Reimann: Oh, das sind nicht mehr so viele, nur etwa 8.900. Bitte entschuldigen Sie meinen Sarkasmus, aber wenn etwas klar ist, dann dass Seltene Erkrankungen nun wirklich „terra incognita“ für die Pharmakotherapie sind. Millionen von Menschen mit seltenen Erkrankungen warten auf wirksame Therapien.

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