Prof. Eva Winkler sieht enorme Erkenntnisfortschritte in der Krebsforschung  die in der Behandlung angekommen sind und von denen die Patienten profitieren. Foto: © Philipp Benjamin/NCT
Prof. Eva Winkler sieht enorme Erkenntnisfortschritte in der Krebsforschung die in der Behandlung angekommen sind und von denen die Patienten profitieren. Foto: © Philipp Benjamin/NCT

Es fällt uns schwer, Preisschilder an die Menschen zu hängen

Kaum ein Feld der Medizin erlebt derartige Umwälzungen wie die Onkologie. Wie neue Medikamente in der Praxis ankommen und welche Hoffnungen Patienten mit ihr verbinden, erlebt Prof. Eva Winkler im klinischen Alltag. Sie ist Leiterin des Forschungsschwerpunktes Ethik und Patientenorientierung in der Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) der Universitätsklinik Heidelberg. Im Interview analysiert sie die Effizienz und die künftige Preisgestaltung neuer Therapeutika.

In welchem Zustand und mit welchen Hoffnungen kommen die Patienten ins Nationale Centrum für Tumorerkrankungen?

Prof. Eva Winkler: Meistens ist bei unseren Patienten die vorherige Behandlung wirkungslos geworden, und sie haben die Empfehlung erhalten, in ein Krebszentrum zu gehen. Diese Frauen und Männer holen sich bei uns eine Zweitmeinung ein. Bei der Therapieentscheidung spielt die Rücksicht auf die Präferenzen des jeweiligen Patienten eine große Rolle. Wir können aufzeigen, welche Möglichkeiten sich ihm bei der Teilnahme an einer Studie mit einer neuen Substanz gegen Tumoren bieten.

Im NCT haben Patienten die Option, an Studien mit neuen Substanzen teilzunehmen, wenn gängige Therapien bereits ausgeschöpft sind. Über dennoch mögliche Enttäuschungen klären wir sie auf. Denn die Vorhersage, dass ein Wirkstoff bei etwa einem Fünftel der Patienten etwas bringt und bestimmte Belastungen auf einen zukommen, sind nicht für jeden einfach zu bewältigen. In den Gesprächen mit den Patienten geht es um Grundsätzliches, wie: Ist der Lebenszeitgewinn von ein paar Monaten mit möglicherweise starken Nebenwirkungen ein Preis, den man dann bezahlen möchte?

Wer kommt für die klinischen Studien in Frage?

Prof. Winkler: Grundsätzlich muss die Teilnahme an den Studien Sinn ergeben. Dazu gibt es klare Ein – und Ausschlusskriterien. Manchmal jedoch ist die Erkrankung zu weit fortgeschritten. Manche Patienten sind dann enttäuscht, weil sie sich auf dem Weg zu uns große Hoffnungen gemacht haben.

Wie bewerten Sie die junge Medikamentengeneration bei Krebsbehandlungen? Was hat sich bei der Behandlung von Tumorpatienten verändert?

Prof. Winkler: Jahrzehnte haben wir keine großen Fortschritte gesehen. Früher kam zum Beispiel bei der Behandlung von Lungenkarzinomen nur eine Chemotherapie in Frage. Nun jedoch sind diese Patienten sehr froh, dass sich etwas bewegt hat. Mit der Immunonkologie haben wir einen großen Hoffnungsträger mit einem neuartigen Wirkprinzip. Mit der Zeit wird sich herausstellen, welche Patienten davon profitieren. Im Vergleich zu den Anfängen haben wir bereits enorme Erkenntnisfortschritte erzielt, die in der Behandlung ankommen und von denen die Patienten profitieren.

Kritiker bemängeln, die Kosten für Immuntherapien seien zu hoch und sie brächten zu wenig.

Prof. Winkler: Einige Immuntherapeutika ermöglichen ein Langzeitansprechen. Für eine kleine Anzahl Patienten lässt sich das bereits gut kalkulieren. Im Gegensatz dazu wird eine Lebenszeitverlängerung von etwa drei Monaten vielleicht als marginal empfunden.

Für die Beantwortung der Frage nach den Kosten für mehr Lebenszeit bedarf es eines gesellschaftlichen Diskurses und einer daraus resultierenden Grenzziehung. Fakt ist: Wir haben steigende Kosten.. Die Entwicklungskosten für neue Krebsmedikamente sind deutlich teurer als bei früheren Chemotherapien. Lange Zeit wurden diese Ausgaben nicht hinterfragt. Besonders in Deutschland wird die Diskussion zu den Kosten sehr zurückhaltend geführt – aus historischer Sicht vielleicht aus gutem Grund.

Wer soll denn dazu Entscheidungen treffen?

Prof. Winkler: Meiner Meinung nach sollten Ärzte nicht über Therapiekosten entscheiden. Vielmehr müssen wir uns als Gesellschaft darin einig werden, wie viel wir bereit sind, dafür zu bezahlen. Wenn ein nützliches Medikament da ist, sollte es allgemein für jeden Menschen nützlich sein. Ungerecht wäre es, wenn Onkologen unterschiedliche Grenzen ziehen müssten. Das wäre allein aus Sicht des Berufsstandes schon problematisch. Ärzte dürfen nicht den „Gatekeeper“ spielen und politische Entscheidungen treffen. Besser wäre es, darüber transparent zu diskutieren.

Grundsätzlich ist es schwer, einem Leben einen bestimmten Wert zuzuschreiben. Ein QALY-System, wie in Großbritannien praktiziert, wäre in Deutschland nur schwer vermittelbar. Dabei wird berechnet, wie viele Tage Lebenszeit wie viel Geld wert sind. Uns jedoch fällt es schwer Preisschilder an die Menschen zu hängen. Eine Lösung für dieses Dilemma kann nur in einem gesellschaftlichen Diskurs verhandelt und danach politisch angegangen werden.

Können Patienten die Kosten für die Therapien nachvollziehen oder interessieren sie sich dafür?

Prof. Winkler: Die Kosten für eine Gesamtbehandlung sind ja eher abstrakt. Wenn Patienten erfahren, dass eine Behandlung monatlich 3000 Euro kostet, wundern sie sich ein wenig. Doch es fragen nur wenige danach und im Grunde ist dies selten Thema beim Patientengespräch.

Gibt es aus Ihrer Sicht faire Medikamentenpreise?

Prof. Winkler: Wahrscheinlich gibt es die irgendwie schon. Die Entwicklungskosten für ein Präparat müssen auf jeden Fall reinkommen. Denn der Arzneimittelhersteller, der dieses entwickelt, muss am Leben bleiben. Ansonsten gäbe es in absehbarer Zeit kein forschendes Pharmaunternehmen mehr, das neue Wirkstoffe erprobt. Die Bestimmungen für die Zulassung von Arzneimitteln sind immer strenger geworden. Die Entwicklung und Produktion sind dadurch aufwändiger und teurer geworden. Das wird auch auf den Preis umgelegt. Auf der anderen Seite sind die Monatstherapiekosten für zielgerichtete Substanzen und Immunonkologika exorbitant gestiegen. Hier ist auch die Pharmaindustrie in der Verantwortung für eine gesellschaftlich tragfähige Preisgestaltung. Fair ist es, einen angemessenen Benefit für ein wirksames Medikament zu erhalten.

Was sagen Sie zum Vorwurf,  dass immer kleinere Untergruppen gebildet werden?

Prof. Winkler: Die Patientengruppen werden immer differenzierter. Nehmen wir nur einmal das Beispiel Lungenkarzinom. Dafür existieren 13 Untergruppen. Sieben von ihnen können mit neuen Substanzen zielgerichtet therapiert werden. Dass diese Therapien immer genauer sind, ist richtig und wichtig. So bleibt beispielsweise denjenigen eine Therapie damit erspart, bei denen sie nichts bringt.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?

Prof. Winkler: Man könnte strengere Kriterien anlegen, um auch nach der Zulassung eines Medikaments weitere Daten zu generieren. Bei Orphan Drugs haben wir teilweise eine unzureichende Evidenzbasis. Das liegt einfach in der Natur der Sache, weil sie nur für eine kleine Patienten-Population gedacht sind. Eine Strategie, bewusst diesen Markt etwa durch „Slicing“ zu nutzen, sehe ich nicht. Vielmehr sehe ich, dass Krebsbehandlungen immer individueller werden. Wenn die Evidenz vor Zulassung noch nicht robust genug ist, sollte nach Zulassung mit entsprechenden Phase IV Studien re-evaluiert und bei Erweiterung des Indikationsgebietes gegebenenfalls nachverhandelt werden.

Foto: Philipp Benjamin/NCT

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: