Sie fordern eine nationale Diabetes-Strategie. Warum erachten Sie diese als notwendig?
Dietrich Monstadt: Aktuell gibt es etwa zehn Millionen Diabetes-Betroffene in Deutschland, dabei inbegriffen ist eine Dunkelziffer von circa zwei bis drei Millionen. Für 2025 haben Experten 20 Millionen Diabetes-Patienten prognostiziert – dies wären fast 25 Prozent der deutschen Bevölkerung. Dadurch steigt nicht nur der Bedarf an Therapien, sondern auch die finanzielle Belastung Betroffener und der öffentlichen Haushalte. Wir steuern also auf einen „Diabetes-Tsunami“ zu und müssen schnellstmöglich etwas unternehmen. Die nationale Diabetes-Strategie zielt dabei insbesondere auf Prävention, Früherkennungs- und Versorgungskonzepte ab.
Worin sehen Sie die Ursache für die steigende Zahl an Diabetes-Patienten?
Monstadt: Eine der Ursachen ist der Lebensstil: Wenn ich den Fahrstuhl statt der Treppe benutze oder mit dem Auto Strecken bewältige, die ich auch gut zu Fuß gehen könnte, dann fehlt mir die Bewegung. Und die ist wichtig, um dem Diabetes vorzubeugen, denn Bewegungsmangel fördert die Fettleibigkeit – neben einer ungesunden und unausgewogenen Ernährung. Der Diabetes muss als Krankheit begriffen werden und als Volkserkrankung unserer Zeit in das allgemeine Bewusstsein rücken.
Oftmals werden Diabetiker von der Gesellschaft ausgegrenzt, auf eine Art und Weise, die weder angemessen, noch geboten ist. Vor allem der Vorwurf, dass die Krankheit selbst verursacht ist, ist in vielen Fällen unangemessen. Weder ausschließlich stark übergewichtige Menschen, noch Bewegungsmuffel, erkranken an einem Diabetes. Vor allem ältere Menschen leiden am Diabetes Typ 2, da mit steigendem Alter die Insulinproduktion sinkt.
Welche Maßnahmen würde diese Strategie umfassen und wann könnten diese umgesetzt werden?
Monstadt: Der Kampf gegen Diabetes Typ 2 ist als eines von vier Gesundheitszielen im erst 2015 verabschiedeten Präventionsgesetz unter dem Titel „Erkrankungsrisiko senken. Erkrankte früh erkennen und behandeln“ verankert. Dies ist ein erster großer Erfolg. Was die nationale Diabetes-Strategie betrifft, so sollte die Prävention nicht nur auf den Bereich der Gesundheitsversorgung beschränkt werden, sondern allgemein und vor allem ressortübergreifend erfolgen. Das Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil und um die Erkrankung Diabetes selbst muss noch in vielen Bereichen unserer Gesellschaft wachsen. Man muss bei den Jüngsten ansetzen, also im Bereich der Kindererziehung, wie in Kindertagesstätten und Schulen.
Neben Bewegungsförderung müssen wir gerade bei der Prävention von Diabetes auf eine richtige Ernährung achten. Dies gilt sowohl für die Produktion in der Landwirtschaft, als auch bei der Verarbeitung unserer Lebensmittel. Auch baurechtlich und städteplanerisch können viele positive Akzente gesetzt werden. Beispielsweise könnte man Treppen optisch stärker hervorheben als Fahrstühle, um die Menschen zu mehr Bewegung zu ermuntern. Auch Regelungen, die es ermöglichen, dass Niederlassungen von Fast-Food-Ketten in unmittelbarer Nähe zu Schulen errichtet werden dürfen, gilt es zu überdenken. Je eher wir dabei mit der Umsetzung anfangen, desto besser. Das bisher Erreichte müssen wir konsequent umsetzen und unsere weitergehenden Ziele ins Auge fassen.
Die Forderung, das AMNOG-Verfahren hinsichtlich Diabetes-Präparaten zu verändern, wird immer nachdrücklicher formuliert. Was sollte sich aus Ihrer Sicht ändern?
Monstadt: Derzeit läuft der von der Bundesregierung initiierte Pharma-Dialog, dessen Ergebnisse wir im auslaufenden Frühjahr erwarten. Gerade im Bereich der Anti-Diabetika werden wir das Verfahren zur Nutzenbewertung intensiv prüfen. Die Definition sogenannter patientenrelevanter Endpunkte stellt sich hier noch schwieriger dar als in anderen Bereichen. So sind zum Beispiel bei der Nutzenbewertung die patientenrelevanten Endpunkte auf Mortalität ausgerichtet. Die kommt aber erst in 30 oder 40 Jahren zum Tragen. Deshalb brauchen wir im Nutzenbewertungsverfahren andere messbare Kriterien, die nicht nur auf eine in die Zukunft gerichtete Mortalität abzielen, sondern auch die Lebensqualität der Betroffenen mehr in den Fokus rücken.