Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Bildung war schon immer wirksames Mittel gegen Einflussnahme

Das Erfahrungswissen von Patienten soll die Pharmaindustrie bei der Entwicklung von Arzneimitteln unterstützen. Das hat sich das gemeinnützige Projekt Europäische Patientenakademie zu Therapeutischen Innovationen (EUPATI) zum Ziel gesetzt. Pharma Fakten sprach mit EUPATI-Koordinator Jan Geißler unter anderem über den Vorwurf der angeblichen Einflussnahme durch die Industrie und darüber, wie man dieser durch Wissensvermittlung und Transparenz entgegentritt.

 

Häufig sieht sich die Pharmaindustrie, die EUPATI finanziert, dem Vorwurf ausgesetzt, sie nehme über die Weiterbildung Einfluss auf die Patienten. Lassen die Patienten sich vor den Karren spannen?

Jan Geißler: Das wird immer suggeriert, aber es ist eigentlich widersinnig, wenn man genau darüber nachdenkt. Am Ende geht es doch darum, dass Patienten sich weiterbilden, damit effektivere, bessere Therapien entwickelt werden und die Wünsche und Erfahrungen von Patienten dabei eine Rolle spielen. Bildung war schon immer ein wirksames Mittel gegen naive Einflussnahme. Patienten lassen sich weder kaufen noch haben sie irgendein Interesse an ineffizienten Therapien. Ziel von EUPATI ist es, mit der Einbindung vom Erfahrungswissen der Patienten die Arzneimittelentwicklung im Sinne aller Beteiligten zu verbessern. Das geht nur, wenn man die dahinterliegenden Prozesse versteht.

Im Übrigen wird das Projekt vom Europäischen Patientenforum geleitet. Die Innovative Medicines Initiative (IMI) fördert derzeit 59 Projekte, darunter auch EUPATI. Die IMI, Europas größte Public Private Partnership, investiert in Projekte, in die kein Pharmaunternehmen und kein öffentlicher Förderer alleine investieren würde. Es bringt verschiedene Akteure zusammen, damit sie Lösungen für ungelöste Probleme schaffen. Die Projektmittelverwendung unterliegt dabei wie alle EU-Projekte einem sehr strengen EU-Kontrollsystem.  

Interessenskonflikte lassen sich nur schwer vermeiden?

Geißler: Es gibt natürlich überall unterschiedliche Interessen, die muss man auch nicht wegdiskutieren. Sie lassen sich aber lösen, indem man seiner Arbeit einen ethischen Rahmen gibt und transparente Prozesse und ein mehrstufiges Qualitätssicherungssystem zugrunde legt. Das haben wir bei EUPATI getan.

Es ist aber nicht nur so, dass die Pharmaunternehmen Interessen haben. Auch akademische Forschungseinrichtungen, die Krankenkassen, die Behörden oder die Ethikkommissionen haben welche. Natürlich haben wir Patienten auch Interessen, aber uns wird immer unterstellt, dass wir uns kaufen lassen. Es heißt auch, wir seien nicht selbstwusst genug, selbst zu denken und zu merken, wenn jemand, ob Behörde, Institut oder Industrie, uns beeinflussen will. Es ist doch so: Ein Patientenvertreter wird eher naiv beeinflussbar sein, wenn er sich nicht weiterbildet und die Mechanismen nicht versteht, wie die Arzneimittelentwicklung und die behördlichen Prozesse funktionieren. Patienten sollen diese kritisch beurteilen und hinterfragen können. Es geht zum Beispiel darum, zu erkennen, wie klinische Studien funktionieren, wie Endpunkte festgelegt werden, wie die Prozesse der Arzneimittelsicherheit funktionieren, und wie Risiko-Nutzenabwägungen getroffen werden. Patienten sollen Fachwissen über Studiendesigns erwerben oder verstehen, was ethisch angemessen ist und was nicht. Patienten wollen verstehen und aktiv mitgestalten. Ohne Weiterbildung geht das nicht. Kritik ist einfach, aber wir beweisen, dass man ein qualitativ gutes Weiterbildungsprogramm entwickeln kann, ohne Interessenkonflikten zu erliegen.

Wie sehen denn die Studienleiter die Mitsprache von Patienten?

Geißler: Aus Erfahrung weiß ich: Akademische Forscher wie auch Mitarbeiter in der Arzneimittelentwicklung in Unternehmen sind zunehmend dankbar, dass es den Input von Patienten gibt. Aufgrund der Erfahrung mit ihrer Krankheit wissen Patienten, wo Dinge vielleicht nicht berücksichtigt wurden. Auch wenn die ihm auf den ersten Blick das Studienprotokoll zerpflücken und Dinge wie die Sinnhaftigkeit der geplanten Diagnostikprozeduren, Dosierungen, Patienteninformation, Therapien in Vergleichsarmen oder Studienendpunkte in Frage stellen.

Welche Vorteile ergeben sich aus der Zusammenarbeit von Industrie, Forschung, staatlichen Behörden und Patientenorganisationen?

Geißler: Meiner Ansicht nach lässt sich Forschung heute nicht mehr im Elfenbeinturm durchführen. Alle Akteure müssen zusammenwirken, damit Forschung passiert, die am Ende wirklich dem Patienten hilft und bessere Optionen als die bereits verfügbaren schafft. Das kann weder die Industrie, noch die akademische Wissenschaft alleine beurteilen, weil Patienten oftmals eine andere Meinung haben, was sie wirklich brauchen und wollen. Patienten kennen die Realität des Patienten am Besten. Studien, die nicht rekrutieren, oder Arzneimittel, die nach langer Entwicklung scheitern, weil sie keinen Mehrwert bringen, helfen niemandem. Es gibt also viele Vorteile der Zusammenarbeit, die Forschung patientenzentrierter, zielgerichteter und bedarfsorientierter macht.

Es gibt auf dem Weg dorthin viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Die Unterschiede gibt es zum Beispiel bei Preisfindung und kommerziellen Interessen. Wir verfolgen aber am Ende alle das gleiche Ziel: Wir wollen den Patienten helfen. Dabei führen oft unterschiedliche Wege ans Ziel, und diese müssen wir mit allen Akteuren aushandeln.

In welcher Weise profitieren Patienten von der Zusammenarbeit?

Geißler: Sie profitieren massiv von guter Forschung und guten Studien. Bei der
Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) gibt es mittlerweile die „Adaptive Pathways“, um Arzneimittel gerade in Bereichen, in denen es bisher kaum effektive Therapien gibt, schneller in klar definierten Patientengruppen zulassen zu können, wenn ein entsprechender medizinischer Nutzen erkennbar ist. Es geht auch darum, nach der Zulassung in mehreren Iterationen, also Wiederholungen, weiter Daten zu sammeln und die Zulassung auf Basis dieser Evidenz zu prüfen, zu erweitern oder einzuschränken. Patienten profitieren hierbei durch frühere Verfügbarkeit von Therapien in einem behördlich streng kontrollierten System der langfristigen Datensammlung und Revalidierung.

Wir können die Ausbildung von Patienten nur durchführen, wenn wir alle den gleichen Wissensstand haben. Jeder Akteur – Wissenschaft, Behörden, Industrie, Patienten, hat unterschiedliche Kompetenzen in der Arzneimittelentwicklung, und diese Expertise fließt in einer solchen Partnerschaft in die EUPATI-Materialien mit ein. Es ist auch mit einem mehrschichtigen System sichergestellt, dass alle Weiterbildungsmaterialien objektiv und glaubwürdig sind: Wenn zum Beispiel jemand aus der Industrie einen Artikel für unser Programm schreibt, dann wird dieser von akademischer Seite oder Patientenseite gegengelesen. Bei Artikeln, in denen es um regulatorische Fragen geht, haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und andere ausländische Arzneimittelbehörden zum Beispiel aus Italien und der Schweiz die Inhalte geprüft. In mehreren Zyklen wurde damit die Objektivität sichergestellt.

Welche Rolle werden derartige Kooperationen im Arzneimittel-/Gesundheitssektor zukünftig spielen?

Geißler: Sie sind schon lange gang und gäbe, aber vor allem in Deutschland oder bei Patienten werden sie stark kritisiert. Nehmen Sie die Universitäten, dort gibt es diese Zusammenarbeit zwischen Pharmaindustrie und akademischer Forschung schon sehr lange, weil keiner im Elfenbeinturm alleine ein Arzneimittel entwickeln kann. Das Neue ist nur: Der Patient sagt jetzt seine Meinung. Das ist nicht immer bequem, aber man sieht, dass es was bringt und sehr wertvolle Beiträge liefert. Die HIV-Patientencommunity beteiligt sich schon seit 15 Jahren intensivst an der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel und arbeitet dort kritisch mit allen Akteuren zusammen, damit nicht Partikularinteressen Dritter, sondern Patienteninteressen im Vordergrund stehen. Im Bereich der chronisch-myeloischen Leukämie (CML) gibt es das seit sechs, sieben Jahren, da bin ich selbst seit langem aktiv.

Das funktioniert aber nur, wenn auf allen Seiten Leute beteiligt sind, die das auch können und wollen. Bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA werden Patienten schon seit 2005 in der Geschäftsführung und in Gremien mit Stimmrechten eingebunden. Ich gehe davon aus, dass die Patientenbeteiligung in zehn Jahren auch bei uns einen anderen Stellenwert in der Forschung, Entwicklung und behördlichen Prozessen haben wird. Im Einzelnen passiert das schon heute, es ist nur so, dass die systematische Umsetzung derzeit noch nicht da ist, wo sie sein könnte.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das BfArM und das PEI wollen im Vorfeld von klinischen Studien ebenfalls enger zusammenarbeiten. Wie sehen Sie diese Zusammenarbeit, die einer besseren Abstimmung dienen soll?

Geißler: Wie gesagt, es ist wichtig, das alle Akteure zusammenarbeiten – dies gilt nicht nur für die Bereiche Zulassung, Versorgung und Erstattung, denn dort kann man nur die Studiendaten bewerten, die bis dahin bereits erhoben wurden. Wichtiger ist meiner Ansicht nach, den Patienten bereits in der Designphase einzubinden, denn Konzepte kann man ändern, man kann die Forschungsumsetzung verbessern, aber schlechte Daten kann man nachträglich nicht mehr reparieren. Um in der Forschung mitzuwirken, braucht man aber mehr fachkundige Patientenvertreter, die das können, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit den Krankheiten einbringen können. Es gibt rund 6.000 seltene Erkrankungen, rund 200 verschiedene Krebsarten, und unzählige häufige Erkrankungen, und dagegen ein paar hundert Patientenvertreter, die im Prozess mal irgendwo eingebunden waren. Wenn man nun in jeder Entwicklung eines neuen Arzneimittels in verschiedenen Entwicklungs- und Zulassungsstufen einen kompetenten Patienten mit Erfahrungswissen in der Erkrankung und Fachwissen in den Entwicklungsprozessen einbinden will, müssen wir viel mehr in Weiterbildung und Kompetenzen investieren. Wir brauchen mehr fachkundige Patienten.

Ein starkes Interesse ist auf Patientenseite auf jeden Fall gegeben. Wir haben auf der EUPTAI-Homepage Ende Januar eine Schulungs-Toolbox zur Arzneimittelforschung und –entwicklung für Patienten bereitgestellt, in der alle relevanten Prozesse in der Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln in Deutsch erklärt sind, ohne dass man hierzu eine medizinische Ausbildung braucht. Unser Ziel war, dass bis Ende 2016 mindestens 12000 Patienten diese Informationsdatenbank nutzen. Wir haben aber jetzt in den ersten drei Monaten mehr als 16000 Zugriffe gezählt, davon 1800 aus Deutschland. Der Bedarf ist also da. Die übliche Kritik auch. Im Gegensatz zu vielen Kritikern versuchen wir aber, aktiv etwas zu tun, damit der Patient wirklich eine selbstbestimmte, starke Stimme in der Forschung hat.

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