Die Zusammenarbeit zwischen Patientenorganisation und Pharmaunternehmen wird manches Mal kritisch gesehen. David Haerry hält einen Austausch für unverzichtbar und überdies für fortschrittlich. Foto: privat
Die Zusammenarbeit zwischen Patientenorganisation und Pharmaunternehmen wird manches Mal kritisch gesehen. David Haerry hält einen Austausch für unverzichtbar und überdies für fortschrittlich. Foto: privat

EUPATI leistet wichtigen Beitrag für die Gesellschaft

Die Berührungspunkte von Patientenorganisationen und Pharmaunternehmen werden des Öfteren kritisch hinterfragt. David Haerry (European AIDS Treatment Group) widerspricht diesem Pessimismus und erklärt im Interview, warum forschende Arzneimittelhersteller sich aufgeklärte Patienten wünschen. Auch zeigt er auf, was das Engagement der Patienten bislang schon bewirkt hat.

Warum sind Initiativen wie die Innovative Medicines Initiative (IMI) und European Patients’ Academy on Therapeutic Innovation (EUPATI) aus Ihrer Sicht wichtig?

David Haerry: Die IMI ist Europas größte öffentlich-private Partnerschaft mit dem Ziel, die Entwicklung von besseren und sicheren Arzneimitteln für Patienten zu verbessern. Sie ist aus meiner persönlichen Sicht wichtig, weil sie sich um Dinge kümmern kann, die die Pharmaindustrie alleine nicht lösen kann. Bei aller Kritik ist IMI ein kostbares Instrument, was man unterstützen muss. Ein einzelnes Unternehmen könnte das gar nicht leisten.

EUPATI ist enorm wichtig, weil sie die Gelegenheit bietet, endlich etwas für Patientenorganisationen zu tun. Der Gedanke ist eigentlich gar nicht neu. Es gab ja schon lange vor EUPATI Patientenorganisationen, die im Kontakt mit Industrie und Behörden standen und sich sehr effizient in die Forschung und Entwicklung einbringen. Man hat da gesehen, dass es was bringt. Das Zusammenspiel gibt es schon lange in anderen Industriezweigen. Nehmen Sie Getränke- oder Kosmetikfirmen, die befragen auch ihre Kunden. Die Pharmaunternehmen müssen das ebenfalls tun, denn Patienten haben alle andere Schwerpunkte und Prioritäten als die Forscher und die Ärzteschaft. Ich kann aus eigener Erfahrung bei der European Aids Treatment Group sagen, dass es eine lange Zeit braucht, bis man sich das nötige Fachwissen angeeignet hat. Ich selbst habe Jahre lang dafür gebraucht. Das musste man sich „on the job“ erarbeiten.

Der Pharmaindustrie wird oft vorgeworfen, sich durch EUPATI Patienten als Lobbyisten heranzuziehen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Haerry: Wenn es so wäre, dann wäre es ein Problem. Die Pharmaindustrie ist groß, da arbeiten sehr, sehr viele Menschen. Völlig ausschließen lässt sich eine mögliche Beeinflussung nicht. Der entscheidende Punkt ist aber, dass wir mit EUPATI viel getan haben, um diese Zusammenarbeit auf eine gute, konstruktive und ethisch verantwortbare Ebene zu bringen. Wachsam muss man immer sein im Leben. Das gilt für jede Zusammenarbeit, auch wenn wir mit Unternehmen oder Behörden zusammensitzen. Es geht uns doch nicht darum, dass Patienten nur das sagen, was die Pharmaindustrie hören will. Der Industrie würde das bei der Entwicklung neuer Therapien nicht weiterhelfen.

Sollte es Versuche geben, Patienten für sich einzuspannen, dann verliert das ganze Projekt an Glaubwürdigkeit. Und die ist vielleicht das wichtigste Gut der Patientenorganisationen. Es gibt auch Kritiker, die sagen, dass man nicht zusammenarbeiten dürfe, weil es gefährlich sei und die Patienten nur ausgenutzt würden. Das ist für mich eine Frechheit und ein paternalistischer Anspruch. Wir sehen doch gerade im HIV-Bereich, was eine gute Zusammenarbeit zwischen Patienten, Industrie, Medikamentenentwicklung und Behörden bringt. Wir hätten niemals in 20 Jahren mehr als 30 neue Medikamente auf dem Markt gebracht und solche Fortschritte in der Therapie erzielt, wenn dieses Zusammenspiel nicht so gut funktioniert hätte.

Wie kann man das Risiko minimieren, dass die Zusammenarbeit in die falsche Richtung geht?

Haerry: Die European Aids Treatment Group gibt es seit 1992. Bis vor zehn Jahren wurde unsere Gruppe ausschließlich von der Industrie gesponsert. Bis heute kann man uns aber nie und nimmer ankreiden, dass wir uns durch die Sponsoren hätten beeinflussen lassen. Das haben wir durch gewissenhaftes Arbeiten erreicht und dadurch, dass wir immer ein festes Ziel vor Augen hatten. Was EUPATI anbelangt, haben wir ganz früh bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA um Rat gefragt, da wir wussten, dass dieses Projekt mit Argusaugen beobachtet wird. Wir konnten Health Technology Assessment (HTA) für das Projekt gewinnen, wodurch deren Anliegen im Projekt reflektiert werden.

Wir haben auf verschiedenen Gebieten wie zum Beispiel durch Regulierungsbehörden und die Ethik sehr gute Unterstützung. Hinzu kommt, dass unsere Produkte, der Expertenkurs und das Ausbildungsmaterial mehrfach auf seine Unabhängigkeit überprüft wurden. Durch soliden Aufbau und glaubwürdige Prozesse bei der Produktion haben wir die Kurve gekriegt. Es ging bei Lernwerkzeugen nicht nur darum, Beeinflussungen zu vermeiden. Schon der Anschein, die potenzielle Wahrnehmung einer möglichen Beeinflussung musste vermieden werden.

Einer der Vorwürfe gegen EUPATI ist auch, dass die Informationen für die Patienten zu anspruchsvoll seien.

Haerry: Es stellt sich doch die Frage, wer alles zu den Patienten zählt. Ein Patient kann auch selbst Arzt oder Krankenpfleger oder Wissenschaftler sein. Wichtig ist, dass die Patienten sich umfassend informieren und die Zusammenhänge verstehen.

Wagen wir einen Blick voraus. Welche Rolle könnte EUPATI in Zukunft spielen?

Haerry: Da ich mich viel mit dem Thema Nachhaltigkeit befasse, ist meine Wunschvorstellung eine Art Stiftung unter Patientenführung, in die sich die jetzigen Partner von EUPATI – inklusive der Behörden – einbringen. Das läuft mir in Europa alles noch zu wenig länderübergreifend. Da müssen wir noch mehr tun. Im Bereich der Ethik gibt es EU-weit sicherlich noch einige Defizite, weil es dazu bloß nationale Gesetzgebungen gibt.

Die Patienten sollen sich in die Prozesse effizient einbringen können und sie sollen wissen, wann ihr Input wichtig und gefragt ist. Wir brauchen Leute, die in stundenlangen Sitzungen genau an der richtigen Stelle den richtigen Satz sagen. Wenn sie unter einer chronischen Krankheit leiden, dann ist es wichtig, dass sie lernen mit der Krankheit umzugehen. Die Betroffenen erhalten durch das bei EUPATI erworbene Fachwissen ein Stück Würde zurück. Sie haben das Gefühl, mit ihren Erfahrungen zur Entwicklung von Medikamenten beizutragen und leisten am Ende einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft und die öffentliche Gesundheit.

Foto: privat

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