Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

AMNOG-Bewertungen – Diese Ampel steht auf Rot

Der GKV-Spitzenverband möchte, dass die Nutzenbewertungen im Zuge des AMNOG schneller und detailgenauer bei den Ärzten ankommen. Dazu hat er ein Ampelsystem vorgeschlagen, das immer aktuell in die Praxis-Softwares der Ärzte eingespielt werden soll. „Industrieneutraler Wissenstransfer“, so nennt das der Verband in einer Pressemitteilung. Klingt gut und logisch? Das ist es aber nicht.

Den Verkehr mit Ampeln regeln – das funktioniert auf der Straße meist gut. Die Idee des GKV-Spitzenverbandes, das Verschreibungsverhalten der Ärzte in Deutschland mit einer Dreifarbenlehre zu steuern, wird hingegen nur schwer umzusetzen sein. Grün steht für „Verschreiben“, Rot für „Nicht verschreiben“ und Gelb steht dann für was? Ein bisschen Verschreiben? Bleibt zu hoffen, dass es der Idee ähnlich ergeht wie der allersten Ampelanlage der Welt: Sie wurde 1868 auf dem Londoner Parliament Square aufgestellt – und explodierte bereits kurz danach.

Den Beleg für die Nicht-Praktizierbarkeit des Vorschlags hat der GKV-Spitzenband in seiner Pressemitteilung gleich mitgeliefert, wie die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) feststellt. Bei Axitinib, ein Multikinase-Inhibitor zur Behandlung des metastasierten Nierenzellkrebses, habe der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für 99 Prozent der Patienten keinen Zusatznutzen festgestellt, so der GKV-Spitzenverband, weshalb man zwingend davon ausgehen müsse, dass die meisten Patienten das Medikament ohne Aussicht auf einen Zusatznutzen eingenommen hätten.

Kein Zusatznutzen? Knapp daneben ist auch vorbei

Nun, knapp daneben ist auch vorbei, so könnte man die DGHO-Einschätzung interpretieren: „Diese Zusammenfassung ist sowohl formal als auch inhaltlich falsch. Formal, weil die Festlegung des G-BA explizit “Zusatznutzen nicht belegt” und nicht “kein Zusatznutzen” lautet – ein wichtiger Unterschied. Inhaltlich, weil die Festlegung “Zusatznutzen nicht belegt” für Axitinib mehr aus verfahrenstechnischen als aus wissenschaftlichen Gründen erfolgte.“

Es ist die alte Leier: Die meisten im AMNOG-Verfahren ergangenen Bescheide mit keinem oder nicht belegtem Zusatznutzen ergehen aus methodischen Streitigkeiten. Das einzige, was man aus diesen Beschlüssen ableiten kann, ist, dass sich Hersteller und G-BA bzw. IQWiG nicht über die Methodik der Bewertung haben einigen können. Eine Aussage über den wirklichen Nutzen des Medikamentes lässt es auf jeden Fall nicht zu. Keine Ampel der Welt kann diese komplexen Sachverhalte abdecken – die Frage ist aber, ob durch diese Bewertung nicht letztlich schwer kranken Patienten eine Therapieoption vorenthalten wird.

Offener Brief des vfa an den Bundesgesundheitsminister

Und in der Tat: Weil im AMNOG-Verfahren eine andere Vergleichstherapie als in den Zulassungsstudien gewählt wurde – laut DGHO nicht Stand des Wissens – und der Hersteller keine passenden Studien liefern konnte, hieß das Verdikt: Kein Beleg für einen Zusatznutzen. Axitinib hat sich aber nicht etwa durchgesetzt, weil die Ärzte sozusagen keine Ahnung haben – das Gegenteil ist der Fall: „Axitinib hat sich auch deswegen in der Praxis durchgesetzt, weil es weniger Nebenwirkungen als andere zugelassene Arzneimittel bei diesen Patienten hat“, schreibt die DGHO.

Aber nicht nur die Fachgesellschaft kam durch die Pressemitteilung in Wallung. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) schrieb als Reaktion einen offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister. „Mit großem Befremden müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der GKV-Spitzenverband eine Öffentlichkeitsarbeit betreibt, die mit falschen Fakten in unverantwortlicher Weise die Patienten verunsichert“, erklärte vfa-Chefin Birgit Fischer. Der GKV-Spitzenverband hatte u.a. behauptet, dass durch den heutigen Wissensfluss der AMNOG-Ergebnisse den Patienten „schlimmstenfalls Arzneimittel ohne Zusatznutzen, aber ggf. mit schweren Nebenwirkungen“ drohe.

Der vfa dazu: „Arzneimittel ohne nachgewiesenen Zusatznutzen sind zumindest genauso gut wie der vom G-BA benannte Versorgungsstandard. Oftmals sind diese Arzneimittel sogar die bessere Versorgungsalternative fürf Patienten. Inzwischen sind Fälle belegt, in denen der Zusatznutzen in einer frühen Bewertung zunächst nicht nachgewiesen wurde, dann aber in einer späteren Bewertung doch als „erheblich“ bewertet wurde.“ Für die Patienten heißt das, dass ihnen Arzneimittel mit Zusatznutzen vorenthalten werden. Dies aber kollidiert mit einem der Hauptziele des AMNOG: Patienten sollen Zugang zu innovativen Therapien haben.

Diskrepanz im medizinischen Alltag

Nur am Rande sei hier bemerkt, dass Fachleute schon länger auf die Diskrepanz zwischen einem Zusatznutzen im Verfahren und einem Zusatznutzen im medizinischen Alltag hinweisen. Das, was für einen Patienten durchaus ein Zusatznutzen sein kann (z.B. Tablette statt Injektion), spielt für die AMNOG-Macher in der Bewertung meist keine Rolle. Weshalb die Therapieentscheidung vielleicht besser beim behandelnden Arzt aufgehoben ist und nicht von einer Ampel gesteuert werden sollte.

Die Ampel als Beitrag zu einer besseren Versorgung? Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO, hat da eine klare Meinung zu: „Die Orientierung bei den neuen Arzneimitteln ist eine Herausforderung. Zu viele Ampeln oder Ampeln an der falschen Stelle verwirren. Sie führen zu Ärger und Fehlentscheidungen, nicht zu höherer Sicherheit.“ Aber vielleicht ging es dem Spitzenverband gar nicht um Sicherheit. Vielleicht ging es nur um Kosten?

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