Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Alles nur Marketing? Anwendungsbeobachtungen in der Diskussion

Anwendungsbeobachtungen sind verpönt – sie gelten als nur mühsam kaschiertes Marketing der pharmazeutischen Industrie zur Mehrung des Umsatzes. Dabei können sie ein wichtiges Instrument zu mehr Patientensicherheit sein.

 

In der ARD-Sendung „hart aber fair“ mag man es hart – und plakativ. Dort wurde unlängst eine Anwendungsbeobachtung (AWB) mit Klosterfrau Melissengeist aufgefahren, um die Absurdität dieses Instruments offen zu legen. Dramaturgisch war das durchaus respektabel, ansonsten aber war es in dem Kontext der Sendung falsch: Der hochprozentige Kräuterschnaps wird weder von einem forschenden Arzneimittelhersteller vertrieben, noch wurde die so genannte AWB von Ärzten durchgeführt. Müsste sich die Redaktion den gleichen Regeln unterwerfen, wie es forschende Unternehmen qua Selbstverpflichtung bei einer AWB tun, hätte der Beitrag nicht gesendet werden dürfen: Ziel einer AWB sollte nämlich das „Gewinnen von Erkenntnissen sein“.

Forschende Pharmaunternehmen investierten im Jahr 2015 allein in Deutschland 366 Millionen Euro in klinische Studien und Anwendungsbeobachtungen. Dies ist das Ergebnis der erweiterten Transparenz-Initiative, die erstmalig offenlegt, welche Leistung die Unternehmen an Ärzte, andere Angehörige der medizinischen Fachkreise oder an Organisationen zahlen. Dieses Investment ist ein Grund dafür, dass Deutschland eines der modernsten Gesundheitssysteme hat: Eine „Investition in die Qualität des Gesundheitswesens“ nennt das die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa) Birgit Fischer.

AWB: Forschung zweiter Klasse?

Dennoch werden gerade Anwendungsbeobachtungen kontrovers diskutiert. Der Grund: AWB gelten als Forschung zweiter Klasse. Mehr noch: Sie gelten als Marketinginstrument, weil sie produktbezogen den Einsatz bestimmter Medikamente förderten. Nur: Diese Betrachtung leidet an einer gewissen Einseitigkeit.

Ein Beispiel: Die Multiple Sklerose (MS) ist eine komplexe Krankheit – nichts zeigt das mehr als ihre Charakterisierung als „Krankheit der 1000 Gesichter“. Unter MS-Patienten gibt es erhebliche Unterschiede, wie die Krankheit sich manifestiert und wie sie auf Medikamente reagieren. Für Michael Haidinger, der bei dem Biotech-Unternehmen Biogen den medizinischen Bereich leitet, sind AWB – oder nicht-interventionelle Studien, wie sie eigentlich heißen – ein wichtiger Beitrag zu mehr Patientensicherheit.

Gegenüber Pharma Fakten erklärte der Mediziner: „Das optimale Werkzeug, um die Wirksamkeit eines Medikamentes zu untersuchen und zulassungsrelevante Daten zu erhalten, sind randomisierte, kontrollierte klinische Studien. Weil hier sehr enge Rahmenbedingungen herrschen, sind die Resultate nicht zwangsläufig eins zu eins auf den Praxisalltag übertragbar. Wir können also mit Hilfe von nicht-interventionellen Studien den Nutzen eines Medikamentes im Praxisalltag besser verstehen und somit erheblich zur Optimierung der Patientenversorgung beitragen.“ Die Durchführung einer AWB diene immer einem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, so Haidinger. Wird ein Patient während einer solchen Studie auf ein anderes Präparat umgestellt, will er wissen, ob und wie sich der Krankheitsverlauf des Patienten ändert: „Das kann im Rahmen von klinischen Studien nicht untersucht werden.“ Wichtig sind ihm auch Fragen zur Therapietreue. Anders als eine klinische Studie zeigt die AWB den Nutzen eines Medikamentes im Alltag – wenn die Studie professionell begleitet und ausgewertet wird. Auf AWBs will der Mediziner deshalb nicht verzichten.

Strenge Regeln

Weil Anwendungsbeobachtungen ihren schlechten Ruf aber nicht loswerden, haben die im vfa organisierten Firmen bereits 2007 strenge Regeln als Bedingung für deren Durchführung eingeführt. Nach dieser Selbstverpflichtung müssen AWB organisatorisch und budgetär im Verantwortungsbereich des Leiters der medizinischen Abteilung verankert werden. Für jede AWB wird eine Beratung durch eine Ethik-Kommission eingeholt, und sie darf nur mit Patienten durchgeführt werden, die dem auch zugestimmt haben. Zu Studienbeginn werden Informationen in ein öffentlich zugängliches Online-Register eingestellt; eine Zusammenfassung der Ergebnisse hat spätestens nach zwölf Monaten zu erfolgen.

Seit 2013 sind die Bundesbehörden verpflichtet, AWB zu veröffentlichen. Für Medikamente tut das das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Für Impfstoffe, Blutprodukte, gentechnische Medikamente und Mittel zur Desensibilisierung führt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) das entsprechende Register.
Vielleicht liegt ja hier der Hund begraben: Anwendungsbeobachtungen sind zwar anzeige-, aber nicht genehmigungspflichtig. Deshalb findet sich im BfArM-Register natürlich auch die Klosterfrau Melissengeist-AWB. Nur: Dieses Unternehmen ist zwar ein Pharmaunternehmen, aber eben kein forschendes – es setzt andere Maßstäbe als die im vfa organisierten forschenden Unternehmen. Und hat sich nicht der Selbstverpflichtung unterworfen.

Die AWB hätte sich der Hersteller des Hochprozentigen vermutlich trotzdem sparen können, denn der Erkenntnisgewinn dürfte überschaubar sein. Schon Penicillin-Erfinder und Nobelpreisträger Alexander Fleming hatte vor vielen Jahren festgestellt: „A good gulp of whiskey at bedtime – it’s not very scientific, but it helps”*.

* „Ein guter Schluck Whiskey zur Bettgehzeit – es ist nicht sonderlich wissenschaftlich, aber es hilft.“

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