Wenn es nach dem Willen der Kassen geht, sollte das AMNOG bestenfalls noch mehr einsparen als zurzeit. Dabei sieht Dr. Martin Zentgraf, Vorsitzender des Bundesverbandes Pharmazeutischer Industrie (BPI), bei der Gesetzlichen Krankenversicherung mit einem Gesamtüberschuss von 600 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2016 und Rücklagen von 15 Milliarden Euro keinen Grund zur Klage: „Die Situation der Kassen ist gar nicht so verzweifelt“, meinte er bei der Veranstaltung „Der Pharma-Dialog – Politische Konsequenzen und ökonomische Auswirkungen“ von RS Medical Consult. Mit dem Referentenentwurf zum sogenannten Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG) zeigte sich Zentgraf unzufrieden. Dieser brauche „mehr Dünger als aktuell vorhanden“.
Schwachpunkte im AMNOG
Ohnehin ist das „lernende System AMNOG“ noch nicht ausgereift. Einen Schwachpunkt sieht der Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner beispielsweise bei der Bewertung des Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss im Fehlen einer Kosten-Nutzen-Analyse. Diese sei wissenschaftlich durchaus etabliert und nicht nur mit Versorgungsdaten nach Marktzugang, sondern auch durch eine Frühbewertung möglich, sagte er. Die Kosten-Nutzen-Analyse solle in der Versorgungswirklichkeit überprüft werden. Hier sieht auch der Pharmakologe Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen einen noch fehlenden Baustein. „Alle neuen Arzneimittel sollten obligatorisch eine solche Analyse nach internationalen Standards durchlaufen“, lautete seine Forderung. In diese müssten sowohl Krankheitskosten als auch direkte und indirekte Kosten einfließen.
Auseinander gingen die Meinungen von Greiner und Glaeske allerdings bei der Frage des Einsparpotenzials durch das AMNOG. Glaeske hatte kürzlich im Innovationsreport der Techniker Krankenkasse verkündet, dass die vom Gesetz vorgesehene 2-Milliarden-Marke längst nicht erreicht sei. Er hatte für 2015 Einsparungen von 800 Millionen Euro errechnet. Greiner machte eine andere Rechnung auf. „Wenn wir die Rabatte dazu nehmen, liegen wir sogar drüber“, erklärte er. „In zehn Jahre haben wir dann die 2 Milliarden Euro auch ohne Abschläge lässig erreicht“, mahnte er zur Geduld.
Umsatzschwelle in der Kritik
Ein wenig geeignetes Instrument für eine Kosteneinsparung sieht Greiner hingegen in der geplanten Umsatzschwelle, die im aktuellen Referentenentwurf die Höhe von 250 Millionen Euro vorsieht. Sie betreffe nur wenige Medikamente. Eine Absenkung des Schwellenwerts auf 50 Millionen Euro, wie sie zuletzt die AOK forderte, würde ebenfalls keine größeren Einsparungen bewirken, meinte der Gesundheitsökonom. Martin Litsch Vorstandsvorsitzender des AOK Bundesverbandes, machte dagegen aus seiner Enttäuschung über die vorgesehene Höhe der Umsatzschwelle keinen Hehl. Er bezeichnete diese politische Maßnahme als „reines Placebo“.
Zentgraf sieht in der Umsatzschwelle generell einen Verstoß gegen die wesentlichen Ziele des AMNOG, nämlich dem Patienten Innovationen schnell zugänglich zu machen. Der BPI-Vorsitzende wies auf die hochwirksamen Medikamente gegen Multiple Sklerose (Tecfidera) und Hepatitis C (Sovaldi und Harvoni) hin, die Patienten schnell zur Verfügung standen. die aber in der Öffentlichkeit vor allem als Beispiele für zu hohe Medikamentenpreise diskutiert werden. Man müsse auch sehen, welche Kosten sie in Zukunft verhindern, so Zentgraf. Sie beugen beispielsweise Neuansteckungen vor. Während die Medikamente dazu beitragen, langfristig Kosten zu sparen, ist eine stärkere Nachfrage zeitlich begrenzt. Das zeigt sich bereits. Zentgraf verwies auf aktuelle Statistiken, wonach der Umsatz von Hepatitis-C-Medikamenten im zweiten Jahr nach der Zulassung rückläufig sei.
Ideen für das Arztinformationssystem
Zu einer guten Patientenversorgung soll künftig ein Arztinformationssystem über die G-BA-Beschlüsse beitragen. Prof. Josef Hecken, unabhängiger Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), wünscht sich dabei einen Hinweis zum wirtschaftlichen Nutzen. Dieser dürfe aber nicht zu Verordnungsausschlüssen führen. Eine Ampellösung, wie von den Kassen vorgeschlagen, fand keine Zustimmung unter den Teilnehmern. Glaeske nutzt ein ähnliches Bewertungssystem für den umstrittenen TK-Innovationsreport. Der BPI befürwortet ein Arztinformationssystem. „Es darf aber keine Einschränkung in der Therapiefreiheit geben“, so Zentgraf. Es müsse auf einer breiten Darstellung der Evidenz basieren, die nicht nur auf Ansichten des G-BA und des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) fuße. Zentgraf schlug vor, auf Krankenkassendaten, die bisher nicht zugänglich seien, zurückzugreifen. Er machte aber auch deutlich: „Die AMNOG-Bewertung ist die Erstbewertung und damit die Verhandlungsgrundlage.“