Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Neues Arzneimittelgesetz im Kabinett beschlossen

Das GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, kurz AM-VSG, hat heute das Bundeskabinett passiert. Die Reaktionen könnten unterschiedlicher nicht sein.

Aus Sicht der Pharmaunternehmen ist das sicher eine der kritischsten Regelungen im AM-VSG: Erstmals können in Deutschland Arzneimittel von der Verordnung für bestimmte Patientengruppen ausgeschlossen werden, wenn für sie im Verfahren der „frühen Nutzenbewertung“ kein Zusatznutzen anerkannt wurde.

Beim schnellen Lesen erscheint diese Regelung zunächst sinnvoll: Wenn kein Zusatznutzen, dann auch keine Verordnung an die Patienten! Aber erstens bedeutet die Bewertung „kein Zusatznutzen“ nicht, dass das Arzneimittel grundsätzlich keinen Nutzen hat. Zweitens kann es für den einzelnen Patienten im Gegensatz zur offiziellen Beurteilung durchaus einen Nutzen haben – etwa, wenn er die Alternativen aus individuellen Gründen nicht verträgt.

Vor allem aber setzt die Regelung voraus, dass Einigkeit über die Bewertung des Zusatznutzens besteht. Das aber ist in der Mehrheit der Fälle nicht gegeben: Sehr oft sind es formale Gründe, die den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu einem negativen Beschluss kommen lässt. „Formale Gründe“ heißt aber nur, dass sich Hersteller und Behörden nicht über die Vergleichstherapie oder das Studiendesign haben einigen können. Der Nutzen eines Medikaments im Alltag ist daraus nicht abzulesen.

Ausschluss darf nicht zur Regel werden

Für die pharmazeutischen Unternehmer birgt der vorliegende Entwurf die Gefahr, dass aus dem Verordnungsausschluss, der im Gesetzestext nur „unter bestimmten Voraussetzungen“ vorgesehen ist, ein regelhaftes Verhalten wird. Beim Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) sieht man darin eine Regelung, die vor allem Schwerkranke treffen könnte: „Betroffen wären beispielsweise Patienten, die an Brust- oder Hautkrebs, Diabetes, Epilepsie, Multiple Sklerose oder psychischen Störungen leiden“, so vfa-Chefin Birgit Fischer. Gerade bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Epilepsie tut sich das AMNOG schwer. Medizinische Fachgesellschaften wie die Deutsche Diabetes-Gesellschaft haben schon öfter darauf aufmerksam gemacht, dass das Urteil „kein Zusatznutzen“ im AMNOG-Bewertungsverfahren aus ihrer Sicht wenig mit dem wirklichen Patientennutzen zu tun haben muss. Besonders dramatisch zeigt sich das im Bereich der Epilepsie: Dort hatten Betroffene sogar eine Bundestags-Petition gestartet, weil immer mehr Arzneimittel, die für diesem Bereich entwickelt werden, in Deutschland nicht auf den Markt kommen.

 

Verordnungsausschluss, Verlängerung des Preismoratoriums und Umsatzschwelle: Für vfa – Hauptgeschäftsführerin Fischer – ist der Gesetzentwurf in erster Linie “ein Spargesetz, das Gefahren für die Qualität der Versorgung schafft”. Der AOK-Bundesverband hingegen sieht im AM-VSG eher einen Kniefall der Politik gegenüber der pharmazeutischen Industrie. AOK-Vorstandschef Martin Litsch kritisiert vor allem die Regelung, die die Vertraulichkeit der verhandelten Erstattungspreise vorschreibt. Allerdings sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Informationen über die Preise all denen zur Verfügung stehen, die sie „zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben“ brauchen – und damit auch den Kassen. Was das mit „Verschleierung“ (O-Ton Litsch) zu tun hat, bleibt deshalb unklar. Zumal die Kassen ihrerseits sehr darauf bedacht sind, dass die von ihnen ausgehandelten Selektivrabatte, z.B. bei Ausschreibungen, geheim bleiben.

Weitere wichtige Regelungen des Gesetzentwurfes sind:

Verlängerung des Preismoratoriums bis 2022: Die Preise bleiben über Ende 2017 hinaus bis zum Ende des Jahres 2022 eingefroren, die Bundesregierung erwartet sich daraus Einsparungen von 1,5 bis 2 Milliarden Euro p.a. Erstmals ist ein Inflationsausgleich vorgesehen. Das Moratorium ist seit 2010 in Kraft. Besonders für die mittelständischen Pharma-Unternehmen in Deutschland bedeutet es eine schwere Belastung.

Einführung einer Umsatzschwelle: Die Schwelle in Höhe von 250 Millionen Euro für umsatzstarke Arzneimittel liegt für die Krankenkassen um genau 200 Millionen Euro zu hoch. Der am Ende des Verfahrens ausgehandelte Preis gilt in diesen Einzelfällen auch im ersten Jahr nach Zulassung nach Überschreitung der Schwelle.

Vertraulichkeit der Erstattungspreise: Die im AMNOG vereinbarten Erstattungspreise sollen nicht mehr öffentlich gelistet werden. Damit wird verhindert, dass Behörden anderer Länder bei ihrer eigenen Preisbildung auf die in Deutschland verhandelten Erstattungsbeträge Bezug nehmen können. Andererseits ist sichergestellt, dass die Preise all denen im System zur Verfügung stehen, die sie brauchen – also Apotheken, Großhändlern oder gesetzlichen Krankenkassen. Hier ist durchaus offen, wie in der konkreten Umsetzung eine Vertraulichkeit gewährleistet werden kann.

Neubewertung der Antibiotika-Resistenz: Um die Versorgung mit Antibiotika zu verbessern, soll bei der Bewertung zukünftig die Resistenzsituation berücksichtigt werden. Das bisher bestehende starre Festbetragssystem gilt nicht als sonderlich forschungsfördernd.

Nutzenbewertung in der Praxissoftware: Über ein Arztinformationssystem sollen den Ärzten die Beschlüsse aus der Frühen Nutzenbewertung (FNB) über die Praxissoftware „einfacher und schneller“ zur Verfügung gestellt werden. Hier ist die Sorge der Industrie, dass Arzneimittel „ohne Zusatznutzen“ pauschal als unwirtschaftlich deklariert werden. Durch die Gefahr falsch negativer Bewertungen – z.B. Ablehnung aufgrund von formalen Gründen – könnten so Ärzten und Patienten wertvolle Therapieoptionen vorenthalten werden. Die genaue Umsetzung ist noch unklar.

Neue Fristen bei der Lieferpflicht: Der Referentenentwurf sieht vor, dass die Lieferpflicht des pharmazeutischen Unternehmers bei Rabattverträgen frühestens sechs Monate nach der Zuschlagsinformation bzw. drei Monate nach Zuschlagserteilung beginnt. Das ist für die Unternehmer ein wichtiger Schritt in Richtung Planbarkeit von großen Produktionsmengen – wobei der BPI anmerkt, dass drei Monate nicht ausreichend sind.

Das AM-VSG geht nun seinen parlamentarischen Weg – und wird wahrscheinlich am 1. April 2017 in Kraft treten.

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