Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Wie Patienten-orientiert ist das AMNOG?

Was ist wichtiger in der Bewertung neuer Krebsmedikamente: die längere Überlebenszeit - oder die Verträglichkeit für den Patienten? Im G-BA ist ein Disput entbrannt, den der Onkologe Bernhard Wörmann im Interview erläutert.

Wer einen Blick in die Zulassungsstatistiken neuer Arzneimittel wirft, stellt fest: Ein Drittel von ihnen richtet sich gegen Krebserkrankungen. Die Fortschritte in Bezug auf die Lebenserwartung sind groß, die Überlebensraten steigen kontinuierlich. Vor allem hat sich in den letzten Jahren auch die Überlebenszeit von Patienten mit weit fortgeschrittenem, metastasiertem Krebs verlängert. So ist die Überlebenszeit beim fortgeschrittenen Darmkrebs in den vergangenen Jahrzehnten von sechs Monaten auf mehr als zweieinhalb Jahre angestiegen. „Ist Krebs bald eine chronische Erkrankung?“, fragt deshalb die deutsche Krebsgesellschaft.

Doch mit dem Erfolg der therapeutischen Möglichkeiten steigen auch die Anforderungen an die langfristige Verträglichkeit neuer Medikamente. Neben der Forderung nach der Verlängerung der Überlebenszeit rückt zunehmend die Frage nach der Lebensqualität der Patienten, die ihre Präparate über einen immer längeren Zeitraum einnehmen, in den Vordergrund. Mit dieser Abwägung beschäftigt sich auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel. In den letzten Monaten entschied der G-BA mehrfach „Zusatznutzen nicht belegt“, obwohl die betroffenen Arzneimittel zu einer signifikanten Verlängerung der Überlebenszeit führen.

Darauf machen die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO) und die Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft vermehrt aufmerksam – zuletzt auf der DGHO-Jahrestagung in Leipzig. Die Fachgesellschaften befürchten, durch die G-BA-Festlegung würden Patienten und verordnende Ärzte verunsichert. Das Risiko, dass ein wirksames Präparat gar nicht eingesetzt wird, steige.

 

Im Pharma Fakten-Interview erläutert Prof. Dr. Bernhard Wörmann vom Campus Virchow an der Berliner Charité, als Medizinischer Leiter der DGHO einer der profiliertesten Onkologen Deutschlands, die wesentlichen Punkte dieser neuen Entwicklung. 

Die DGHO sieht die jüngsten AMNOG-Beschlüsse zur frühen Nutzenbewertung von Krebsmedikamenten mit Sorge. Warum?

Bernhard Wörmann: Zunächst möchte ich festhalten: Im Vergleich zu anderen Fachgebieten werden neue Onkologika verhältnismäßig häufig positiv bewertet. Das wird der Qualität der Studien und dem Bedarf gerecht. In einigen aktuellen Festlegungen aber erkennen wir aufgrund überraschend negativer Bewertungen zwei beunruhigende Trends: Zum einen wird im G-BA offenbar zunehmend die Verlängerung der Überlebenszeit gegen die Nebenwirkungen aufgerechnet. Eine solche Entscheidung aber obliegt allein dem Patienten in seiner individuellen Lebenssituation. Zum zweiten wird unserer Meinung nach der ungedeckte medizinische Bedarf (unmet medical need) nicht genügend berücksichtigt. Die zunehmend präzise Diagnostik ermöglicht die Identifikation von Patienten, die auf bisher verfügbare Arzneimittel nicht ansprechen, oder für die es keine Arzneimittel gibt. Wenn für diese Patienten gezielte Arzneimittel entwickelt werden, ist das von großem Wert.

An welchen konkreten Beispielen machen Sie diese Trends fest?

Wörmann:  Die Aufrechnung von Überlebenszeit versus Nebenwirkungen fand statt bei Regorafenib (kolorektales Karzinom oder Dickdarmkrebs), Necitumumab (nichtkleinzelliges Lungenkarzinom) und Ramucirumab (ebenfalls Dickdarmkrebs). In allen drei Indikationen wurde auf „Zusatznutzen nicht belegt“ entschieden. Arzneimittel für seltene Untergruppen von Erkrankungen mit besonders schlechter Behandelbarkeit waren Idelalisib bei Patienten mit einer Sonderform der chronischen lymphatischen Leukämie (del17p) sowie Osimertinib bei Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom  und der EGFR-Mutation T790M. Auch hier fiel in beiden Indikationen die Entscheidung: „Zusatznutzen nicht belegt“.

Wie lautet Ihre Forderung? Muss sich Ihrer Meinung nach am Verfahren etwas ändern – und wenn ja, was?

Wörmann:  Eine signifikante Verlängerung der Überlebenszeit auf der Basis randomisierter Studien ist eindeutig ein Zusatznutzen. Methodisch fehlt aber bisher ein klinisch gestützter Algorithmus für eine Priorisierung der Studien-Endpunkte – d.h. eine eindeutige Festlegung, wie wir die wichtigsten Ziele und Ergebnisse einer Studie gegeneinander abwägen wollen. Das führt aktuell zu einer uneinheitlichen Spruchpraxis des G-BA. Ich meine auch, dass ein besonderer medizinischer Bedarf in kleinen, vulnerablen Patientengruppen bei der frühen Nutzenbewertung positiv berücksichtigt werden sollte. Das könnte zum Beispiel zu der Festlegung „Zusatznutzen nicht quantifizierbar“ führen.

Foto: vfa-Pressefoto 

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