Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

So trifft der Brexit die deutsche Pharmaindustrie

Was Branchenexperten schon lange befürchtet hatten, bestätigt eine aktuelle ZEW-Studie: Die Pharmaindustrie dürfte die Branche in Deutschland sein, die die Auswirkungen des Brexit am deutlichsten zu spüren bekommt. Zur Panik besteht dennoch kein Anlass - zur Aufmerksamkeit schon.

Eine Meldung aus dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat vergangene Woche die Pharmabranche in Deutschland aufhorchen lassen. „Im Brexit-Szenario ist die pharmazeutische Industrie …. die mit Abstand am stärksten betroffene Branche.“ Zu dieser Einschätzung kommt vier Monate nach dem britischen Volksentscheid der ZEW-Forschungsbereichsleiter Dr. Friedrich Heinemann in der neuen Studie „Außenhandelsrisiken und Folgen des Brexit für die deutsche Wirtschaft“.

 

 Was den Volkswirtschaftsprofessor aus Heidelberg zu dieser eindeutigen Aussage veranlasst hat, war ein genereller Vergleich der Außenhandels-Konzentration, die die 15 wichtigsten Branchen des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland aufweisen, und ihre Abhängigkeit von Im- und Exporten bei einem angenommenen Brexit-Szenario. In beiden „Brexit-Tabellen“ landete die Pharmabranche, die 2014 Waren im Wert von 40,2 Milliarden Euro importierte und von 61,4 Milliarden Euro exportierte, ganz weit vorn: Bei den Importrisiken lag sie auf Rang 14 – nur noch getoppt von der Branche „Andere Transportmittel“ <außer Kraftfahrzeugen, PF-Redaktion>. Bei den Exportrisiken dagegen führte sie die Negativ-Liste an – mit weitem Abstand vor „Computer, elektronische und optische Produkte“.

 

 

Sorgen um Handelsbarrieren und Währungsschwankungen

Für Dr. Jörg Schmid von der Beratungsfirma Camelot Management Consultants kommen Erkenntnisse wie diese nicht überraschend. Er hatte im Online-Panel „CHEMonitor“ schon im August eine Umfrage unter mehr als 200 Top-Entscheidern der Chemie- und Pharmabranche durchgeführt. Ergebnis damals: 64 Prozent der Manager rechneten mit geringen, acht Prozent sogar mit erheblichen Auswirkungen der Brexit-Entscheidung auf ihren Geschäftsverlauf. Besonders groß waren die Befürchtungen bei den großen Unternehmen: Dort rechneten 20 Prozent der Verantwortlichen mit „erheblichen Auswirkungen“. Befragt nach den Gründen, nannten 37 Prozent die Sorge vor Zöllen und anderen Handelsbarrieren, weitere 33 Prozent fürchteten negative Währungseffekte. Wie sehr die Brexit-Frage die Branche bewegt, zeigt auch die Tatsache, dass ein Branchenmagazin im Januar 2017 zum Thema „Was bedeutet der Brexit für ihr Healthcare-Business?“ eine eigene Roundtable-Veranstaltung anbietet.

Auch bei den Verbänden der pharmazeutischen Industrie läuten in Bezug auf die möglichen Brexit-Folgen für ihre Branche die Alarmglocken – allerdings nur leise. So rechnet Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BPI, „in der laufenden Import- und Exportaktivität nicht mit negativen Effekten“. Was er sich hingegen gut vorstellen kann, ist ein Rückschlag bei wichtigen Investitionsentscheidungen. Diese könnten in der Phase der Unsicherheit, wie es mit den Briten weitergeht, vorläufig zurückgestellt werden oder ganz unterbleiben.

Standortwahl: Vorteil für EU-Mitglieder

 

 

Diese Befürchtung teilt Gerbsch mit seinem Kollegen Dr. Hermann Kortland: Auch der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH) hält es für durchaus möglich, dass „einige Unternehmen geplante Investitionen noch einmal mit spitzem Bleistift durchrechnen.“ Die Ergebnisse aus der CHEMonitor-Befragung geben den beiden Verbandschefs recht: Bei der Standortwahl für Europa-Headquarters, Produktionsanlagen oder F&E-Aktivitäten erwarten auch die befragten Firmenvertreter die größten Auswirkungen der Brexit-Entscheidung (siehe Grafik).

Genau das allerdings könnte für die Briten viel gravierendere Folgen haben als für ihre Kollegen vom  Kontinent: In einer Umfrage hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) herausgefunden, dass deutsche Firmen ihre Engagements in Großbritannien eher skeptisch überdenken – britische in Deutschland hingegen entweder ihre geplanten Investitionen beibehalten wollen (72 Prozent) oder sogar zu einem weiteren Ausbau ihrer Aktivitäten neigen (21 Prozent). DIHK-Präsident Eric Schweitzer erkennt darin „ein Signal für eine Verschiebung von Geschäftsschwerpunkten von der britischen Insel in die Mitgliedländer der EU – und damit auch nach Deutschland.“

Kernfrage: Was wird aus der EMA?

Bereits beschlossene Sache ist nach Auskunft von Experten ein Umzug, der in der deutschen Pharmabranche mit einer Mischung aus Sorge und Begehrlichkeit betrachtet wird. Die European Medicines Agency (EMA), die wichtigste Zulassungs- und Kontrollbehörde für Arzneimittel und medizinische Behandlungsmethoden aller Art in Europa, ist bisher in London angesiedelt. Das wird nach einem vollzogenen Austritt Großbritanniens aus der EU wohl kaum so bleiben – und unter den EU-Ländern ist schon seit Monaten ein heftiger Wettbewerb um den neuen EMA-Standort entbrannt.

Doch ganz egal, ob die Riesenbehörde mit ihren gut 900 Mitarbeitern am Ende in Stockholm, Oslo, Wien oder gar in Bonn oder München beheimatet sein wird: Unter den forschenden Pharma-Unternehmen grassiert bereits jetzt eine große Sorge. Eine längere Phase der Unsicherheit und Umzugs-Querelen nämlich könnte, so fürchten Branchenkenner, dazu führen, dass die Zulassungsverfahren für neue Medikamente verkompliziert und verlangsamt werden. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ hat es der Gesundheitsökonom und Mathematiker Prof. Dr. Gerd Antes klar ausgedrückt: „Die EMA … kann man nicht eben mal umpflanzen. Das wäre ein freier Fall der Kompetenz, wenn die hochspezialisierten Mitarbeiter der Behörde nicht mitziehen würden und für die EMA verloren gingen. Bis die Kompetenzen wieder aufgebaut sind, dauert es mindestens fünf Jahre. Die möglichen Umstrukturierungen könnten die Leistungsfähigkeit des Systems auf Jahre einschränken.“

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