Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Tragende Rolle in der Schmerztherapie

Ständiger Schmerz macht das Leben unerträglich: Der berufliche Alltag ist kaum noch zu bewältigen, das Privatleben wird zur Qual. In Deutschland leiden heute etwa 23 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen – davon drei Millionen so stark, dass sie eine qualifizierte Schmerztherapie mit medikamentöser Einstellung benötigen.

Das Problem: Jeder Schmerz ist anders. Die Ursachen und Zusammenhänge sind von Patient zu Patient verschieden. Dementsprechend anspruchsvoll ist auch die Schmerztherapie.

Als wichtiger Ansatz hat sich in den vergangenen Jahren die multimodale Therapie erwiesen, die auf alle Dimensionen des Schmerzes abzielt. Die Behandlung ist individuell angelegt: Sie umfasst neben der pharmakologischen Therapie auch ergo-, physio- und psychotherapeutische Maßnahmen. „Da Schmerzpatienten häufig zusätzlich mit Schlafproblemen, Angstzuständen, Depressionen und sozialer Isolation zu kämpfen haben, ist ein solcher ganzheitlicher Therapieansatz unerlässlich“, sagt Dr. Manfred Werner, Schmerzexperte bei Pfizer Deutschland.

Arzneimittel übernehmen dabei die Rolle des Türöffners: Sie senken das Schmerzlevel des Patienten so weit, dass dessen aktive Teilnahme an der Therapie überhaupt erst möglich wird. Die medikamentöse Einstellung des Patienten erfolgt schrittweise im engen Arzt-Patienten-Kontakt. „Völlige Schmerzfreiheit lässt sich häufig nicht erreichen“, weiß Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin und Leiter des regionalen Schmerzzentrums Göttingen. „Die Frage ist, ab wann ein Schmerz erträglich ist. Dieses Niveau zu erreichen ist unser individuelles Behandlungsziel. Wo es liegt, kann nur der Patient selbst einschätzen.“

Individuelle Wirkstoffkombinationen

Das Spektrum der Verschreibungs- und Kombinationsmöglichkeiten ist groß. „Von 1960 bis 2009 wurden fast 40 Medikamente gezielt für die Therapie von Schmerzen entwickelt. Hinzu kommen 20 weitere Substanzen, die ursprünglich für andere Indikationen entwickelt wurden, sich jedoch auch in der Schmerztherapie als wirksam erwiesen haben,“ fasst Schmerzexperte Werner zusammen.

Entscheidend für den Erfolg der pharmakologischen Behandlung ist die richtige Auswahl der analgetischen Wirksubstanz(en). Klassifizieren lassen sich die Präparate anhand des Stufenschemas, das die Weltgesundheitsorganisation WHO 1986 für die Behandlung von Tumorschmerzen entwickelt hat (ggf. siehe Abbildung). Es unterscheidet drei Gruppen: Medikamente gegen leichte, mittelstarke und starke Schmerzen.

Drei Stufen – drei Vorgehensweisen

Auf der ersten Stufe stehen die nicht-opioiden Analgetika. Dazu zählen neben Wirkstoffen wie Paracetamol und Novalminsulfon die sogenannten „nicht-steroidalen Antirheumatika“ (NSAR) wie Acetylsalicylsäure (ASS), Diclofenac, Ibuprofen sowie deren verträglichere Weiterentwicklung, die Cox-II-Hemmer. Sie alle eignen sich aufgrund ihrer spezifischen Wirkstoff-Eigenschaften nur für die kurzfristige Anwendung. Eine große Rolle spielen sie vor allem in der Prävention – wenn es darum geht, einen Schmerz möglichst schnell in den Griff zu bekommen, um das Risiko einer Chronifizierung von vornherein zu senken.

 

Für den Langzeiteinsatz sind und bleiben Opiate bzw. Opioide der „Goldstandard“. Die Morphin-Abkömmlinge wirken direkt an den Schaltstellen des zentralen Nervensystems und unterdrücken so das Schmerzempfinden. Je nach Schmerzgrad stehen hier schwächere Opioid-Analgetika der WHO-Stufe 2  oder stark wirkende  Opioide der WHO-Stufe 3 zur Verfügung. Zu den Stufe 2-Mitteln gehören rezeptpflichtige Präparate wie Tramadol und Tilidin. Die starken Mittel der Stufe 3 wie Morphin, Buphrenorphin oder Fentanyl fallen bereits unter das Betäubungsmittelgesetz. Sie haben teils starke Nebenwirkungen, die während einer Langzeittherapie ebenfalls medikamentös behandelt werden müssen. Nicht im WHO-Stufenschema berücksichtigt sind jene Wirkstoffklassen, deren Einsatzgebiet ursprünglich außerhalb der Schmerztherapie liegt. Dazu gehören Antidepressiva wie Amitriptylin oder Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin. Generell gilt: Das eine Allheilmittel existiert nicht. Meistens bedarf es einer individuellen Medikamentenkombination, um den chronischen Schmerz bestmöglich einzugrenzen.

Innovative Wirkstoffe und Therapieansätze

Derzeit wird der Analgetika-Markt größtenteils von Opioiden und NSAR beherrscht. Gerade für chronische und neuropathische Schmerzen sind die bestehenden Therapieoptionen aber oft unzureichend. Der  Bedarf an neuen, innovativen Schmerzpräparaten ist entsprechend groß. Die Forschung nach neuen Targets, neuen Wirkstoffklassen läuft.

Laut Pharmaanalyst GBI Research sind in den kommenden Jahren wichtige Innovationen zu erwarten. Zahlreiche führende Pharmaunternehmen forschen auf dem Gebiet der Schmerztherapie, darunter Pfizer, MSD, Sanofi, Novartis oder Boehringer Ingelheim. Knapp 800 Produkte befinden sich laut GBI in den Analgetika-Pipeline, darunter auch solche, die das Potenzial hätten, die Schmerztherapie grundlegend zu ändern. „In de

 

n letzten zehn bis 15 Jahren wurden eine Reihe von Mechanismen entdeckt, die sich in klinischen Studien als signifikant wirksam bei der Behandlung von chronischen Schmerzen erwiesen haben“, erläutert Manfred Werner. „Neuere Beispiele dafür sind die Wirkung monoklonaler Antikörper gegen Nervenwachstumsfaktoren, die spezifische Kalziumkanalblockade oder der Einsatz von p38 Kinase-Inhibitoren.“

Allerdings hält er neben der unmittelbaren Arzneimittel-Entwicklung auch eine Intensivierung der Grundlagenforschung für unverzichtbar. „Wir müssen lernen, die Neurobiologie der Schmerzen besser zu verstehen. Da gibt es noch jede Menge Herausforderungen: die präklinische Erforschung von Zielstrukturen, die Entwicklung von Verfahren zur Übertragbarkeit positiver Studienergebnissen von Tiermodellen auf den Menschen, das Auffinden klinisch-relevanter Biomarker und vieles mehr.“

Erst kürzlich hat die Stanford-Universität Kalifornien einen Durchbruch vermeldet: Mit PZM21 wurde ein Molekül gefunden, das Morphin in der Schmerztherapie substituieren könnte. Die synthetische Substanz dockt an denselben Opioid-Rezeptoren im Gehirn an wie Morphin. Es hat eine ähnliche, sogar länger andauernde Wirkung wie das Opiat, zeigt im Tierversuch aber keine der bekannten Nebenwirkungen.

Bis zur Marktreife des Wirkstoffs stehen freilich noch viel Forschungsarbeit und klinische Studien aus. „Zu viele Erwartungen sollte man hier noch nicht schüren“, gibt Schmerz-Experte Dr. Müller-Schwefe zu bedenken. „Das Molekül ist als Designermolekül entwickelt worden und noch nicht am Menschen getestet. Leider wird die Hoffnung in neue Substanzen oft enttäuscht.“

Neue Darreichungsformen verbessern die Therapie

Umso wichtiger ist es, die Therapieoptionen mit den vorhandenen Wirkstoffen zu optimieren und die Darreichungsformen weiterzuentwickeln. „Die Galenik ist entscheidend für die Verträglichkeit der Substanzen“, erläutert Müller-Schwefe. Er verweist auf die Entwicklung von Retardformulierungen – also Medikamenten, die ihren Wirkstoff nicht mit einem Mal, sondern langsam und gleichmäßig freisetzen: „Sie haben die Schmerztherapie revolutioniert!“

Die Retard-Abgabe ermöglicht eine dauerhafte und gleichmäßige Schmerzlinderung, die die Entwicklung von Toleranzen verhindert. Gleichzeitig reduziert sich die Anzahl der Einzeldosen: Anstatt vier- bis sechsmal am Tag müssen die Betroffenen nur noch ein- bis zweimal täglich an ihre Tabletten (und ihre Erkrankung) denken – das entlastet, praktisch wie psychisch.

Nicht zuletzt verringert die gleichbleibende Wirkstoffkonzentration das Risiko einer Abhängigkeit, welches die DGS unlängst als „überschätztes Problem“ bezeichnete. „Den aktuellen Trend, allen Patienten, die länger Opioide nehmen, eine Sucht zu unterstellen, halte ich für nicht statthaft“, sagt DGS-Präsident Müller-Schwefe. Er sieht eine sehr geringe Abhängigkeitsgefahr bei den Retardsubstanzen – solange Dosierungen nur in enger Abstimmung mit dem behandelnden Arzt verändert werden. „Egal ob Tabletten oder transdermale Systeme: Die Retardformulierungen haben die opioide Schmerztherapie sicherer und wirksamer gemacht.“

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