Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Verpasst Deutschland den Zug?

Einen Strategieplan gibt es, aber der ist wenig konkret. Das gefährdet die Chance, Hepatitis C bis 2030 auszurotten.

2030 – geht es nach der Weltgesundheitsorganisation, sollen Hepatitis B und C bis dahin eliminiert sein. „Dies ist sicher ein sehr ehrgeiziges Ziel,“ sagt Prof. Michael Manns, Vorsitzender der Deutschen Leberstiftung und einer der führenden Leberexperten des Landes im Interview mit Pharma Fakten. „Man muss sich aber große Ziele setzen, um Großes zu erreichen.“ Deshalb hat die Leberstiftung am 30.11.2016 in Berlin zum Strategiegipfel geladen. Das Ziel: Diskutieren, wie das 2030er-Ziel auch in Deutschland erreicht werden kann.

2014 – dieses Jahr teilt die Geschichte der Hepatitis C-Behandlung in ein Vorher und ein Nachher. Erst mit der Einführung einer neuen Klasse antiviral wirkender Medikamente und ihrer Kombinationen macht die Diskussion über die Eliminierung überhaupt Sinn. Heilungsraten von rund 100 Prozent, kurze Therapiedauer, kaum Nebenwirkungen, einfaches Therapie-Regime und nahezu alle Patienten, die die Medikamente vertragen – das sind zumindest von der medikamentösen Seite her geradezu perfekte Voraussetzungen für das Ausradieren einer Krankheit. Selbst einen Plan gibt es schon. „BIS 2030“ – so lautet die „Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen“ der Bundesregierung. Dort steht, dass man Hepatitis C bis 2030 „eindämmen“ will. Hört man in die Patientenszene rein, fehlt dem Plan der Bundesregierung vor allem eines: Biss.

Ein Plan ohne Biss

„Ein Plan ist immer nur so gut, wie er mit Leben gefüllt wird“, sagt Achim Kautz. Er engagiert sich seit Jahren für die Patientenbelange und hat unter anderem die Europäische Leberpatienten-Vereinigung gegründet. Problem Nummer Eins: „Der Plan beinhaltet keine konkreten Ziel- oder Zeitvorgaben. Mit anderen Worten, er ist sehr unverbindlich.“ Problem Nummer Zwei: Den Plan kennt kaum jemand.

So richtig aussprechen will es niemand, aber die Sorge ist, dass sich das Fenster bald schließt, in dem die Eliminierung überhaupt eine Chance auf öffentliche Wahrnehmung hat. Der Grund dafür ist, dass annähernd alle in Deutschland bekannten Hepatitis-C-Patienten sehr bald geheilt sein werden. Die Krankheit findet dann dort statt, wo sie niemand mehr wahrnimmt – das liegt an der hohen Dunkelziffer – bzw. wo sie niemand mehr wahrhaben will, weil sie dann vor allem noch in Justizvollzugsanstalten oder unter Drogenabhängigen grassiert. Das aber sind beides Zielgruppen, deren Lobby in der Regel sehr überschaubar ist.

Für Kautz ist deshalb wichtig, „zu erkennen, dass es sich bei Hepatitis C nicht nur isoliert um eine Erkrankung handelt, sondern dass sie ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt, das angegangen werden kann und muss: medizinisch, sozial und ökonomisch.“ Immerhin sterben in der Europäischen Union jährlich mehr Menschen an den Folgen einer durch das Hepatitis C-Virus verursachten Leberentzündung als an einer Infektion mit HIV.

Das Problem: die hohe Dunkelziffer

Eine Krankheit ausrotten – ist das überhaupt zu schaffen? Manns und Kautz sind sich einig, dass das nicht banal, aber auch kein Hexenwerk ist. Zunächst sollte aus der Dunkelziffer eine konkrete Zahl werden. „Es müssen effektive Screening-Programme etabliert werden, d.h. die Diagnoserate muss deutlich steigen und die dann diagnostizierten Patienten müssen Zugang zu den neuen hocheffektiven Therapien erhalten“, so Manns. Und er beklagt: „Noch immer gehört die einfache und kostengünstige Bestimmung des Blut-Leberwertes GPT/ALT nicht zum CheckUp35-Vorsorgeprogramm. Dieser Schritt ist aus meiner Sicht überfällig, um Leberkrankheiten, insbesondere Hepatitis C, früh zu erkennen.“ Auf 100.000 Menschen schätzen die Experten die Zahl der Hepatitis-C-Infizierten in Deutschland, die nicht zu den Hochrisikogruppen gehören. „Hier wäre eine Erweiterung des Check-Up 35 nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig, um diese Patienten langfristig zu identifizieren“, sekundiert Kauz. Der CheckUp 35 ist ein kostenloser Gesundheitscheck, der den Versicherten ab dem 35-igsten Lebensjahr alle zwei Jahre kostenlos zur Verfügung steht.

„Im Prinzip ist die Sache recht einfach“, so Kauz. „Wir haben eine sehr gute Kenntnis über die Risikogruppen, wie hoch die Prävalenz in den einzelnen Risikogruppen ist und wer im medizinischen und sozialen Kontakt mit den Betroffenen der jeweiligen Risikogruppe steht.“ Ein Beispiel: In Deutschland gibt es rund 5000 Suchtmediziner, die knapp 75.000 Drogenabhängige medizinisch in der Substitution betreuen. Schätzungsweise 35.000 tragen das HC-Virus in sich. „Warum gibt es keine klare Aufforderung an die Suchtmediziner, diese Gruppe auf Hepatitis C zu testen und zu therapieren?“, fragt sich Kauz.

Ein starkes politisches Signal fehlt bisher

Der Plan der Bundesregierung ist für Manns „ein erster wichtiger Schritt. Es müssen aber Taten folgen“. Er vermisst Aufklärungsprogramme für Ärzte und die breite Bevölkerung. „Nur der erkannte Patient kann auch behandelt und geheilt werden.“ Doch dazu müssen alle an einem Strang ziehen; die Krankenkassen, der Gemeinsame Bundessausschuss, die Mediziner, die pharmazeutischen Unternehmen. Vor allem aber muss es wohl ein starkes politisches Signal geben, dass Deutschland die Eliminierung dieser Krankheit als ein gesamtgesellschaftliches Ziel versteht. Das aber fehlt bisher.

Stattdessen führt Deutschland eine Kostendebatte. Dabei ist man auch in diesem Punkt schon wesentlich weiter. Eine gesundheitsökonomische Betrachtung des Eliminierungs-Szenarios in Deutschland kommt zu dem Schluss: Berücksichtigt man die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Hepatitis C über alle Kostenträger hinweg, ist die Elimination „gesundheitsökonomisch sinnvoll“. Abgesehen davon, dass die Kosten pro Heilung heute günstiger sind, als sie es vor 2014 waren.

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