Unaufgeregt, aber durchaus besorgt hat sich Dr. Silke Buda, die Influenza-Expertin des Robert-Koch-Instituts (RKI) über die der ersten Wochen der Grippewelle 2016/17 geäußert. Der bisherige Verlauf erinnert die Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) an die Grippesaison 2014/15 – mit fast 90.000 Erkrankungen die stärkste der letzten Jahre. Wie in jedem Jahr warnt Buda vor einer Dramatisierung der Lage – sagt aber andererseits: „Wir haben da schon ein Auge drauf – ein besorgtes.“
Grippe-Schwerpunkte in den großen West-Bundesländern
In Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg liegen die „Hotspots“ des aktuellen Grippe-Geschehens (siehe Grafik). Dass es die drei größten Bundesländer im Westen Deutschlands am stärksten trifft, dürfte kein Zufall sein: Seit Jahren sind dort die Impfraten gegen Grippe deutlich geringer als im Osten. Speziell von den Senioren über 60 Jahren, die durch die Influenza-Viren am meisten gefährdete Gruppe, ließen sich 2015/16 in den neuen Bundesländern mehr als die Hälfte (51,4 Prozent) gegen die Grippe impfen. In den alten Bundesländern hingegen lag die Rate unter einem Drittel (30,4 Prozent).
Bayern erreichte dabei den Minusrekord: Dort waren im vergangenen Jahr nur 23,7 Prozent der Senioren gegen Grippe geimpft. Insofern warnt die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml jetzt auch besonders dringlich: “Vor allem ältere Menschen und chronisch Kranke sollten sich schützen. Auch im Januar ist dies noch sinnvoll.”
Dass die Bereitschaft, sich gegen die alles andere als harmlose Viruskrankheit impfen zu lassen, hierzulande mehr und mehr nachlässt, macht die Experten zunehmend ratlos. Denn neben den gesundheitlichen Gefahren sind auch die wirtschaftlichen Schäden der zunehmenden Grippeerkrankungen enorm: Für die Wintersaison 2015/16 hat das Robert Koch-Institut sie auf 4,1 Millionen zusätzliche Arztbesuche, 2,2 Millionen Krankschreibungen und rund 16.000 Krankenhausaufenthalte geschätzt.
Sparsamkeit vor Wirkung: Dreifach- statt Vierfach-Impfung
Ob auch das ausgeprägte Sparverhalten der gesetzlichen Krankenkassen seinen Teil zu der Verweigerungshaltung in Deutschland beiträgt, lässt sich nur mutmaßen. Die Kassen nämlich setzen bei den Impfstoffen, die sie bei den Pharmaunternehmen bestellen, nicht auf die beste, sondern auf die kostengünstigste Lösung: Die neuen „tetra-valenten Impfstoffe“, die einen zuverlässigen Impfschutz nicht nur gegen drei, sondern gegen vier der laut WHO-Einschätzung wichtigsten Virenstämme liefern, werden von den Massenbestellungen der Kassen systematisch ausgeschlossen.
Die große Mehrheit der deutschen Ärzte würde die innovativen Vierfach-Impfstoffe, die einen wirksamen Schutz gegen die zwei dominierenden A-Stämme und die beiden saisonal wichtigsten B-Stämme der Influenza-Viren bieten, wegen der besseren Schutzwirkung zwar eindeutig vorziehen. Sie sind aber erheblich teurer als die herkömmlichen Dreifach-Wirkstoffe (wirksam gegen beide A-Stämme, aber nur einen der beiden wichtigsten B-Stämme). Daher finden sie in der Ausschreibung der Kassen, die für die aktuelle Grippesaison im Herbst 2016 mehr als 15 Millionen Impfstoff-Dosen geordert haben, keine Berücksichtigung. Führende Experten bedauern das: „Der teurere Vierfach-Impfstoff“, sagt etwa Dr. Jan Leidel, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission beim RKI, „hat unter diesen Bedingungen in unserem Krankenversicherungssystem keine Chance.“
Mehrere hundert Millionen Euro sparen die Kassen, die sich einem möglichst wirtschaftlichen Verhalten verpflichtet fühlen, nach eigenen Angaben durch die rein preis-bezogenen Rabattverträge mit den Dreifach-Wirkstoffen. Die Gegenrechnung hat für den Winter 2014/15 das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsinstitut aufgemacht: Die heftige Grippewelle dieses Jahres hat nach den Berechnungen der RWI-Fachleute einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 2,2 Milliarden Euro verursacht – das Bruttoinlandsprodukt ist in der Folge um 0,3 Prozent gesunken.
In Zürich impfen jetzt auch Apotheker
Einen ganz neuen Weg gegen die Impfmüdigkeit der Bevölkerung, die auch in der Schweiz hoch ist und zu einem rasanten Anstieg der Grippefälle geführt hat, geht seit einem Jahr der Kanton Zürich. Dort dürfen seit dem Herbst 2015 neben den Ärzten auch Apotheker mit entsprechender eintägiger Zusatzausbildung einfache Schutzimpfungen durchführen – gegen Grippe, Hepatitis A und B und die Folge von Zeckenbissen.
Von den rund 220 Apotheken im Kanton bieten nach Angaben des regionalen Apothekerverbands derzeit 84 die neue Dienstleistung an – mit ausdrücklicher Zustimmung der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). Obwohl genaue Zahlen noch fehlen, scheint das niederschwellige Angebot bei den Kunden gut anzukommen. „Ich habe in diesem Winter schon 400 Personen geimpft“, sagt Lorenz Schmid. Der Präsident des kantonalen Apothekerverbands AVKZ, der selbst eine Apotheke am Züricher Paradeplatz leitet, ist überzeugt. „Von denen hätten vielleicht 50 den Weg zum Arzt auf sich genommen.“