Positiv sei, „dass im europäischen Vergleich neueingeführte Präparate keine nennenswerten Preisunterschiede mehr aufweisen“, so Herausgeber Dr. Ulrich Schwabe. Leider sei aber das Sparziel des AMNOG – zwei Milliarden Euro – nicht erreicht worden. Als Grund nannte Schwabe zwei Punkte: Die Absenkung des Herstellerrabatts, die allerdings erst Anfang 2014 erfolgt ist, und die Tatsache, dass man die Arzneimittel des Bestandsmarktes aus der Nutzenbewertung genommen habe.
Die Darstellung suggeriert, dass Deutschland ein besonders teurer Markt sei. Dabei könne man vor allem eines feststellen, konterte der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI): Der Anteil der Arzneimittelausgaben an den Gesamtausgaben der GKV sei seit Jahrzehnten konstant. Bei Einführung des AVR vor 30 Jahren habe dieser Anteil bei 15,2 Prozent gelegen, nun liege er bei 16,2 Prozent. Und das trotz einer alternden Gesellschaft und eines immensen medizinischen Fortschritts.
Der deutsche Arzneimittelmarkt: Unauffällig
In der Debatte über die Bewertung der Arzneimittelausgaben wird nicht berücksichtigt, dass die von den AVR-Autoren genannten Gesamtausgaben von 32,11 Milliarden Euro nicht nur die Ausgaben für die Arzneimittel, sondern für die gesamte Arzneimittelversorgung sind. Neben den Milliardeneinnahmen des Fiskus durch die Mehrwertsteuer enthält die Summe auch die Kosten der Handelsstufen wie Großhandel und Apotheken. Die Kostensenkungen aufgrund von Rabattverträgen zwischen Krankenkassen und Herstellern wurden nicht berücksichtigt. Das gilt auch für den gesetzlich festgelegten Herstellerrabatt.
In der Gesamtschau ist der deutsche Arzneimittelmarkt, was die Ausgaben betrifft, „unauffällig“, wie es im Gutachten des Sachverständigenrates für das Gesundheitswesen heißt.
Alte Forderungen
Die Forderung der AVR-Autoren, den Bestandsmarkt in die Nutzenbewertung einzubeziehen, ist nicht neu. Die Bewertung war bereits im Gange, wurde jedoch von der Bundesregierung wieder gestoppt. Dies verteidigte Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD auf der Pressekonferenz des AVR: „Wir haben das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis nicht gesehen.“ Er ließ aber auch durchblicken, dass dies nicht in Stein gemeißelt sei.
Eine Nutzenbewertung im Bestandsmarkt wäre sehr aufwändig und teuer: Die Arzneimittel sind teilweise schon lange auf dem Markt. Ihre Zulassungsstudien sind entsprechend alt und reflektieren auch nicht den Nutzen dieser Präparate, den sie in der täglichen Anwendung zeigen. Neue Studien würden sehr viel Geld kosten – und das vor dem Hintergrund, dass viele Präparate kurz vor dem Patentablauf stehen. Die betriebswirtschaftlichen Grundrechenarten von Unternehmen würden massiv durcheinander geworfen, sollte diese eigentlich längst zu den Akten gelegte Forderung Realität werden.
BPI: Politischer Kassenleitfaden
Dass die Politik den Herstellerrabatt der Industrie abgesenkt hatte (statt ihn, wie ursprünglich geplant, wieder auf null zu fahren), ist den AVR-Autoren und Kassenvertretern ein Dorn im Auge, war aber unumgänglich, wie Karl Lauterbach betont: „Das wäre vor dem Hintergrund der Überschüsse der Kassen rechtlich nicht so ganz einfach gewesen.“
Ein „politischer Kassenleitfaden“, so bewertet der BPI das 1.300-seitige Werk. Der Verband hatte in den vergangenen Jahren immer wieder auf die methodischen Fehler hingewiesen, die aus Sicht der Industrie zu völlig überzogenen Einsparpotenzialen geführt hätten.