Bevor ein Medikament tatsächlich beim Patienten ankommt  muss es einige Herausforderungen meistern. Foto: CC0 (Stencil)
Bevor ein Medikament tatsächlich beim Patienten ankommt muss es einige Herausforderungen meistern. Foto: CC0 (Stencil)

“Wer unternehmerisch denkt, gibt manche Märkte besser auf!”

Die Verlängerung des 2010 eingeführten Preismoratoriums bis ins Jahr 2022 zwingt viele mittelständische deutsche Pharmahersteller dazu, aus wichtigen Arzneimittel-Bereichen auszusteigen. Aus einem einfachen Grund: Alles andere wäre wirtschaftlicher Selbstmord.

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag hat die Große Koalition sich jetzt auf kleinere Änderungen an der Neufassung des Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetzes (AMVSG) verständigt. Die vorgesehene Vertraulichkeit der Arzneimittel-Rabatte zwischen Industrie und Krankenkassen wurde ebenso gekippt wie die Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro für noch nicht preisgebundene, neu auf den Markt gekommene Arzneimittel.

 

 

 

 

 

Was hingegen weiter im Gesetzestext steht, ist eine Regelung, gegen die alle Verbände und Unternehmen der Pharmabranche seit Jahren gemeinsam Sturm laufen: das Preismoratorium – die zwangsweise Festschreibung der Verkaufspreise für viele ältere, bewährte Medikamente. Für alle Arzneimittel, die in der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähig und schon lange auf dem Markt sind, sollen die Hersteller von den Kassen auch weiterhin nicht mehr erstattet bekommen als den Preis, der schon zum Stichtag 1. August 2009 gegolten hatte. Das bedeutet: Die Politik verpflichtet die Pharmafirmen dazu, ihre Produkte (ausgenommen die, für die ein Festbetrag gilt) insgesamt 13 Jahre lang zwar zu höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards herzustellen, sie aber ohne Preiserhöhung zu verkaufen – obwohl die Welt ringsherum längst völlig anders tickt als im Jahr der großen Finanzkrise.

 

 

 

 

Darüber laut jammern? Nein, das kommt für Stefan Grieving nicht in Frage. Aber Ärger – echter, tiefsitzender Ärger – ist dem Marketing- und Vertriebsvorstand bei der Münchner Dermapharm AG deutlich anzusehen, wenn er über die jüngsten politischen Entscheidungen im Pharmasektor spricht. Er kann es nicht verstehen, dass die deutsche Gesundheitspolitik ausgerechnet an dem „systemwidrigsten“ ihrer Eingriffe in den Arzneimittelmarkt so hartnäckig festhält. „Erst ein Pharmadialog mit lautem Bekenntnis zum Pharmastandort Deutschland und dann ein Einfrieren der Preise bis Ende 2022 – das ist unerträglich!“

 

Grieving, seit mehr als 20 Jahren in der Pharmabranche tätig, kann als Vorstand eines mittelständischen Herstellerunternehmens jeden Tag aus nächster Nähe verfolgen, welche Auswirkungen ein staatlicher Eingriff wie das Preismoratorium in das praktische Leben seines Unternehmens hat. „Wir entwickeln und fertigen unsere Produkte bislang ausschließlich in Deutschland – in unserem Werk in Brehna nahe Leipzig mit rund 500 Beschäftigten“, erzählt der Pharma-Manager. Hergestellt werden dort vor allem dermatologische Generika, systemische Kortikoide, gynäkologische Arzneimittel und Alt-Originale – etwa drei Viertel davon rezeptpflichtig. „Wir sind im Derma-Bereich der größte Generika-Anbieter in Deutschland“, merkt Grieving stolz an.

Wie alle Verantwortlichen im Unternehmen schätzt auch Grieving die Vorteile des Standorts: „Wir haben eine sehr flexible Produktion – mit dem Prinzip, in den Kernbereichen alles möglichst selbst zu machen.“ Dennoch ist der Vertriebschef froh, dass das Unternehmen rechtzeitig begonnen hat, sich umzuorientieren. „Der Kassenanteil unserer Einnahmen liegt inzwischen nur noch bei etwa 50 Prozent. Anders hätten wir es schwer, in unserer Nische zu überleben.“

Grieving erinnert sich noch gut an die Einführung des Preismoratoriums im Jahr 2010. Damals verbreitete die Finanzkrise weltweit Schrecken und Unsicherheit und ließ in Deutschland ein großes Loch in der Finanzierung des Gesundheitswesens befürchten. „Als die Entscheidung für das Moratorium fiel, war das eine Notmaßnahme mit Ausnahmecharakter – und genau so wurde sie auch begründet.“

Im Frühjahr 2017 hingegen, in dem die Bilanz fürs Vorjahr ein Plus von 1,5 Milliarden Euro in den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen ausweist, sieht Grieving für das Moratorium keinerlei Berechtigung mehr. „Unsere Personalkosten in Brehna sind seit 2009 um 27 Prozent gestiegen“, zählt er auf, „die Stromkosten um 50 Prozent, die Preise für wichtige Materialien wie Glasflaschen um rund 14 Prozent.“ Die größte Kostensteigerung hatte das Unternehmen im Wirkstoff-Einkauf zu verkraften: „Viele unserer Produkte basieren auf Kortikoiden, die seit 2009 eine erhebliche Kostensteigerung erfahren haben. Für den Wirkstoff Prednisolon beispielsweise zahlen wir heute um 80 Prozent mehr als damals.“

 

Dass manches andere auch im Preis gefallen ist, gibt der Manager gerne zu. Außerdem, so sagt er, sei es richtig, dass durch die allgemeine Alterung der Gesellschaft die Menge der verkauften Präparate stetig im Wachsen begriffen sei.

Dennoch sieht er die Massivität und die Vielzahl der staatlichen Eingriffe in die Preisgestaltung der Pharmahersteller als große Gefahr gerade für die mittelständischen Unternehmen: „Es ist ja nicht nur das Preismoratorium, das uns im Rx-Bereich zu schaffen macht. Die Rabattverträge, die zwei Jahre vor dem Moratorium durch eine gesetzliche Neuregelung ermöglicht wurden, haben für viele kleinere Unternehmen noch dramatischere Folgen.“

Denn Preisnachlässe von 70 oder 80 Prozent, wie sie Pharmahersteller im Extremfall vereinbaren, um im Massengeschäft mit den Kassenbestellungen zu bleiben, können für die Unternehmen fatale Folgen haben. „Wenn man unternehmerisch denkt und handelt, dann muss man das lassen – und aus manchen besonders preis-umkämpften Bereichen einfach aussteigen.“ Sein Unternehmen habe das schon wiederholt getan – um des eigenen Überlebens willen. „Aus vielen Wirkstoffen im Herz-Kreislauf-Bereich, also die klassischen großen Generika-Märkte, haben wir uns als Unternehmen entfernt – nie aus einem einzigen Grund, immer aus mehreren. Und so wie wir machen es auch viele andere.“ Wenn die Mittelständler aus diesen Märkten aussteigen, weiß Grieving, „dann übernimmt das immer jemand anders. Aber dieser Jemand produziert dann mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr in Deutschland.“

Foto: istockphoto.com/privat

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