Der Himalaya-Maiapfel kann natürlich nichts dafür. Aber als die Pflanze, die unter Experten auf den Namen Podophyllum hexandrum hört, unter Naturschutz gestellt wurde, wurde es eng. Das Gewächs liefert einen Grundstoff, der das Wachstum von Tumoren hemmt. Der pharmazeutische Unternehmer Bristol Myers Squibb meldete im Sommer 2016 eine Lieferunterbrechung. Doch weil man sich mit den Fachgesellschaften früh zusammengesetzt hatte, konnten die begrenzten Ressourcen gut gemanagt werden. „Nach den bisherigen Erfahrungen ist die Versorgung der Patienten nicht gefährdet“, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO).
Gründe für Lieferengpässe bei Arzneimitteln gibt es viele – und die wenigsten haben mit Naturschutz zu tun. Auslöser können sein:
- Herstellungsprobleme; etwa, weil eine Maschine ausfällt oder eine Produktionsanlage erneuert wird oder es bei komplexen Herstellungsverfahren zu Verunreinigungen kommt;
- Bedarfssteigerung; weil immer mehr Menschen eine gewisse Therapie bekommen, was zu Knappheit bei Rohstoffen führen kann;
- Regulatorische Eingriffe, die die Preise für Arzneimittel unattraktiv machen – was im schlimmsten Fall zu Marktrücknahmen führen kann.
Nicht jeder Lieferengpass ist auch ein Versorgungsengpass
Die gute Nachricht zuerst: Im internationalen Vergleich steht Deutschland gut da. Aber wenn eine Fachgesellschaft wie die DGHO eine mehr als 40-seitige Broschüre mit dem Titel „Arzneimittelengpässe“ auflegt, dann ist auch klar: Das Thema treibt die Mediziner um. „Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind in Deutschland häufig, manche werden zu Versorgungsengpässen“, heißt es bei der DGHO.
Nicht jeder Lieferengpass ist ein Versorgungsengpass. Meist gibt es Alternativen oder es lässt sich durch geschicktes Kontingentieren vermeiden, dass Patienten plötzlich ohne „ihr“ Medikament dastehen. Doch wenn Alternativen ausbleiben, kann aus einem Lieferengpass auch ein Versorgungsengpass werden.
Ökonomische Probleme
Oft sind es ökonomische Probleme, wenn Medikamente nicht mehr oder zeitweise nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn eine Ampulle eines Zytostatikums, das als Kombinationstherapie z.B. zur Behandlung von Magenkrebs eingesetzt wird, in Deutschland nur noch 3,90 Euro kosten darf, muss sich das als Geschäftsmodell erst noch durchsetzen. Im Falle von „5-Fluorouracil“ zogen sich innerhalb eines Jahres mit einer Ausnahme alle Unternehmen aus Deutschland zurück. Die DGHO fordert deshalb gerade für Alt-Präparate Preisuntergrenzen, damit die Herstellung von Medikamenten wirtschaftlich bleibt. Sie will unverzichtbare Arzneimittel von Rabattverhandlungen ausschließen.
Aber auch neue Präparate können betroffen sein, wenn sich Hersteller und Krankenkassen in den Verhandlungen über die Preisgestaltung im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nicht auf einen Preis einigen können. Als Folge dieses AMNOG-Verfahrens sind bereits über 20 Arzneimittel vom deutschen Markt verschwunden – vor allem aus den Indikationsgebieten der Neurologie und Diabetologie, aber eben immer mehr auch aus der Onkologie. Dabei ist das Urteil „Zusatznutzen nicht belegt“ für die Fachgesellschaften nicht immer nachvollziehbar , wie das Gerangel um den Krebswirkstoff Regorafinib zeigt. Die DGHO stört in diesem Fall, dass bei der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Überlebenszeit gegen Nebenwirkungen aufgerechnet wurden. Das Präparat des deutschen Unternehmens Bayer muss nun aufwändig über eine internationale Apotheke nach Deutschland geholt werden. Dass es durch diese Marktrücknahmen keine Qualitätseinbußen bei der Behandlung gibt, glaubt der medizinische Leiter der DGHO, Bernhard Wörmann, nicht.
Lieferengpässe sind auch systemgemacht
Manche Lieferengpässe sind schlicht systemgemacht. Seit Einführung des AMNOG kommt es immer wieder vor, dass Medikamente in anderen Ländern der EU-Region teurer sind als in Deutschland. Das bringt Parallelhändler auf den Plan, diese Arzneimittel aufzukaufen und zu exportieren – sie stehen dann für Patienten in Deutschland nicht mehr zur Verfügung. Deshalb hatte die pharmazeutische Industrie im Rahmen des Pharma-Dialogs die Vertraulichkeit der ausgehandelten Erstattungspreise gefordert: Die volle Transparenz der Preise macht es den Parallelhändlern einfach, sich die Preisunterschiede zunutze zu machen.
Die pharmazeutische Industrie hat übrigens gar kein Interesse an Lieferengpässen, denn sie sind mit Umsatzverlusten und zukünftig geringeren Marktchancen verbunden. Aber gerade bei komplexen Präparaten, wie z.B. Impfstoffen gilt, dass Produktionszyklen so lang sind, dass kurzfristig ein Ersatz gar nicht zu beschaffen ist.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geht davon aus, dass 90 Prozent der Lieferengpässe produktionsbedingt entstehen. Die DGHO fordert deshalb eine Stärkung der pharmazeutischen Industrie in Europa.
Weiterführende Links:
https://www.vfa.de/de/patienten/arzneimittelsicherheit/lieferengpaesse