Alle Nachfragen zum Arztinformationssystem, die in den vergangenen Wochen das Bundesgesundheitsministerium erreicht hatten, waren hartnäckig unbeantwortet geblieben. Wer entwickelt die Richtlinien für dieses System, das bei der Entscheidung von Ärzten über den fachgerechten und wirtschaftlichen Einsatz von Behandlungen und Arzneimitteln künftig eine zentrale Rolle spielen soll? Wer kontrolliert die Umsetzung dieser Vorgaben? Wird das System für die Ärzte kostenpflichtig sein? Und bis wann soll es einsatzbereit sein? Ganz egal, woher die Anfragen kamen: Eine gehaltvolle Antwort gab es nicht.
Fachinformationstag mit BMG und G-BA
Seit der Bundestag nach einem Koalitions-Kompromiss „in letzter Minute“ am 17. März 2017 das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) verabschiedet hat, ist alles anders. Vor rund 180 Teilnehmern einer hochkarätigen Fachveranstaltung im Tiermedizinischen Theater der Berliner Charité hat sich Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), nun erstmals zu den Anforderungen geäußert, die das Ministerium an das neue System stellen will.
Und die haben es in sich – im Generellen wie im Detail: Das Informationssystem soll künftig alle niedergelassenen und alle Krankenhaus-Ärzte in Deutschland in einheitlicher Form erreichen – ohne regionale Abweichungen. Durch die rasche, verlässliche Meldung aller AMNOG-Entscheidungen soll es dafür sorgen, dass die Neuentwicklungen der Pharmaindustrie über die Ärzte rasch auch bei den Patienten ankommen – gleichzeitig aber den wirtschaftlichen Einsatz der innovativen Mittel sicherstellen. Das AIS soll die Ärzte in ihren Therapieentscheidungen unterstützen – sie aber nicht dabei reglementieren.
Bei der Erstellung des Systems sollen alle am Pharmadialog des Jahres 2016 beteiligten Parteien beteiligt sein. Zu seinem Informationspool sollen am Ende allen Beteiligten am Gesundheitsprozess Zugang haben – nicht nur die Ärzte, Apotheker und sonstige Fachleute, sondern auch die Patienten.
Bis zum Jahresende soll das AIS stehen
Mit der inhaltlichen und technischen Erstellung des AIS hat das BMG bereits den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragt – das höchste Selbstverwaltungsgremium des deutschen Gesundheitswesens. Dieser soll dafür sorgen, dass das Informationssystem bis Ende 2017 allen Beteiligten in einer Startversion zur Verfügung steht. Die Moderation der entsprechenden Rechtsverordnung will das Ministerium selbst übernehmen.
Wie sich der Ausschuss der neuen Aufgabe stellen will, erläuterte in Berlin Thomas Müller, der Leiter der Abteilung Arzneimittel beim G-BA. Und bei seinem Auftragsverständnis zeigten sich die Konfliktlinien. Denn Müller wies deutlich darauf hin: Für den G-BA ist ein verhandelter Preis nach AMNOG nicht gleichbedeutend mit dem wirtschaftlichen Einsatz eines Arzneimittels. Es sei und bleibe immer auch Aufgabe des Arztes zu prüfen, ob es eine wirtschaftlichere Alternative gibt oder nicht. Die letzte Entscheidung zu solchen Fragen liege beim G-BA.
“Nicht belegter Zusatznutzen” soll besser erklärt werden
Ein Zugeständnis rang sich Müller ab: Der G-BA sei in der Pflicht, künftig besser zu definieren, was hinter der häufig vergebenen AMNOG-Bewertung „Zusatznutzen nicht belegt“ stecke. Denn Produkte, die damit belegt würden, könnten häufig für bestimmte Patientengruppen durchaus eine relevante Therapieoption sein. Dies darzustellen, werde der G-BA bei seinem Input ins Informationssystem künftig genauer beachten.
Als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wiederholte Professor Dr. Bernhard Wörmann von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) seine Kritik an manchen Ausführungsplänen zum AIS. Die Fachgesellschaften hatten schon im August 2016 gefordert, das System solle die Ärzte nicht nur einfach über die gefallene Entscheidung im AMNOG-Prozess informieren, sondern auch über den neuesten Wissensstand zu den jeweiligen Arzneimitteln. Auch die aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften sollten Teil des Systems sein. Wörmanns Schlussplädoyer lautete: „Neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen auch außerhalb der Nutzenbewertung Eingang ins AIS finden!“
CDU-Obmann: Wirtschaftlichkeit überbetont
In der anschließenden Podiumsdiskussion stellte Michael Hennrich, der Obmann der CDU/CSU im Gesundheitsausschuss des Bundestags, klar, dass das AMNOG-System auch künftig weiter entwickelt werden soll. Ihm sei wichtig, dass zentral getroffene Vorgaben auch rasch und zuverlässig in der Versorgungspraxis ankämen. Derzeit, so meinte er, stünden Aspekte wie die Wirtschaftlichkeit des Arzneimitteleinsatzes zu stark im Vordergrund. Ziel der Politik sei es nicht, ein neues Instrument zur Verordnungssteuerung zu etablieren, sondern nur, bereits existierende Datenquellen und Regelungen in einer zuverlässigen Informationsplattform abzubilden.
Mit Vertretern der Kassenärzte und der Patienten war sich Dr. Markus Frick vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) einig in der Bewertung, dass im Arztinformationssystem der Fokus nicht allein auf den AMNOG-Bewertungen pharmazeutischer Produkte liegen dürfe. Unmissverständlich, vollständig und widerspruchsfrei – so sollen nach seiner Meinung die Informationen des AIS bei den behandelnden Ärzten ankommen. Und klar dargestellt werden müsse dabei auch: Das AMNOG-Urteil „Zusatznutzen nicht belegt“ sei keineswegs gleichbedeutend mit „kein Zusatznutzen vorhanden“.
Foto: Boehringer Ingelheim