Der Kampf gegen das Coronavirus  die Forschung an Medikamenten sowie Impfstoffen profitiert von Netzwerken  die bereits in den Jahren zuvor aufgebaut wurden. Foto: CC0 (Stencil)
Der Kampf gegen das Coronavirus die Forschung an Medikamenten sowie Impfstoffen profitiert von Netzwerken die bereits in den Jahren zuvor aufgebaut wurden. Foto: CC0 (Stencil)

Der Mischpreis und die Folgen für Patienten

Im Rahmen der AMNOG-Nutzenbewertung handeln Hersteller und GKV-Spitzenverband seit Jahren so genannte „Mischpreise“ aus, wenn es bei einem Medikament in bestimmten Patienten-Untergruppen unterschiedliche Nutzenbewertungen gibt. Seit einer Eilentscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg aber steht dieser Konsens wieder in der Diskussion. Die Folge: Experten fürchten „massenweise Verordnungsausschlüsse“ und sehen gesetzlichen Handlungsbedarf.

Der Streit ist alt – aber mit der Entscheidung des Landessozialgerichts Brandenburg (LSG) vom 1. März 2017 wieder ganz oben auf der öffentlichen Agenda. In dem Fall ging es um ein Antidiabetikum: Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) war mit dem von der Schiedsstelle festgelegten Mischpreis über die fünf verschiedenen Patientengruppen nicht einverstanden und zog vor Gericht. 

In einem Eilverfahren hat das LSG die Mischpreisbildung erst einmal für rechtswidrig erklärt; eine finale juristische Klärung wird wohl noch Jahre dauern. Doch die Aufregung ist jetzt schon groß. Prof. Jürgen Wasem, Wissenschaftler und Vorsitzender der Schiedsstelle im AMNOG, möchte die Mischpreise nun gesetzlich verankert sehen: „Ansonsten massenweise Verordnungsausschlüsse“,  twitterte er. 

Wie kommt es überhaupt zu Mischpreisen?

Mit dem Arzneimittelneuordnungsgesetz AMNOG hat die Gesundheitspolitik 2011 die Basis für eine nutzenorientierte Preisfindung gelegt. Seither wird in einem komplizierten Verfahren der patientenrelevante Zusatznutzen bestimmt und in sechs Kategorien (erheblicher, beträchtlicher, geringer, nicht quantifizierbarer, kein Zusatznutzen) dargestellt. Außerdem enthalten die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses G-BA eine Angabe über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusatznutzens (Beleg, Hinweis oder Anhaltspunkt). 

Unter gewissen Bedingungen kann ein Arzneimittel mehrere, sich unterscheidende Bewertungen haben; etwa, wenn es für verschiedene Indikationen zugelassen wurde. Aber selbst innerhalb einer Indikation kann es zu unterschiedlichen Bewertungen kommen, wenn das Arzneimittel in verschiedenen Patientengruppen begutachtet wurde. Das können – ein Beispiel aus der Krebstherapie – vorbehandelte oder nicht vorbehandelte Patienten sein; oder auch solche mit bestimmten genetischen Vorprägungen, die andere nicht haben. Bis zum Jahresende 2016 wurden im Rahmen des AMNOG 228 Verfahren abgeschlossen – mit insgesamt fast 500 unterschiedlichen Patienten-Populationen.

Bewährte Praxis: Die Mischpreisbildung

Diese verschiedenen Konstellationen werden im AMNOG durch die Bildung von Mischpreisen abgedeckt. Sie sind ein Kompromiss zwischen den Preisvorstellungen der Pharmaunternehmen und denen der Krankenkassen, der der Argumentation folgt: „Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?“ Die Mischpreise stellen sicher, dass ein im Rahmen des AMNOG ausgehandelter Preis für ein Arzneimittel allgemein gültig ist: Er gilt für das Präparat, egal welchen Zusatznutzen es in einzelnen Patientengruppen ausgewiesen bekommen hat. 

Für den Hersteller heißt das, dass er für sein Medikament für die Population mit belegtem Zusatznutzen eigentlich zu wenig Geld bekommt. Theoretisch gilt das auch umgekehrt: Für die Patientengruppe ohne Zusatznutzen bekommt er dann zu viel. Beides stimmt aber eigentlich nicht: Denn der Mischpreis ist ja eine Verhandlungslösung, die die unterschiedlichen Nutzenniveaus ausgleichen soll. Sie ersetzt die „Einzelfallbetrachtung von patientenindividuellen Verordnungen“ durch eine „Durchschnittsbetrachtung über das gesamte Patientenkollektiv“ hinweg, wie das Gesundheitsökonomen wie Prof. Dieter Cassel und Prof. Volker Ulrich ausdrücken. 

Deutschlands Pharmaverbände, aber auch Schiedsstellen-Chef Jürgen Wasem sehen nach der LSG-Entscheidung dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Denn falls die Mischpreisbildung kippen sollte, sagen sie den Ausschluss der fraglichen Medikamente aus der ärztlichen Verordnungspraxis voraus – Wasem sogar „massenweise“. Ohne Mischpreise stünden für 40 Prozent der Patienten die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln zur Disposition, schätzt der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Und der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) mahnt, dass der LSG-Beschluss „direkte Auswirkungen auf die Versorgungsrealität haben könnte und damit katastrophal wäre für Patienten und Ärzte“. BPI-Vorstandschef Martin Zentgraf fordert den Gesetzgeber daher auf, endlich klarzustellen, „dass der verhandelte oder durch Schiedsspruch festgelegte Erstattungsbetrag auch bei Bildung von Mischpreisen über das gesamte zugelassene Indikationsgebiet wirtschaftlich ist.“

Die Stärken der Mischpreise

Die gängige Praxis der Mischpreisbildung hat gleich mehrere Vorteile:

  • Mischpreise sorgen für Sicherheit in der Versorgungspraxis. Denn der Arzt weiß, dass er immer „wirtschaftlich verordnet“ – auch wenn sein Patient in eine Gruppe fällt, für die ein Zusatznutzen nicht belegt werden konnte. 
  • Mischpreise ermöglichen den Zugang der Patienten zu innovativen Medikamenten, weil der Arzt unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen patienten-individuell verordnen kann. Die einheitlichen Preise unterstützen die Mediziner in ihrer Therapiefreiheit
  • Mischpreise sorgen für Flexibilität in den Preisverhandlungen zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband. Sie machen Kompromisse möglich. Denn AMNOG-Bewertungen sind nicht unfehlbar. Bloß weil kein Zusatznutzen festgestellt wurde, heißt das noch lange nicht, dass keiner vorhanden ist. Häufig verbirgt sich dahinter ein Streit um die richtige Methode, den Zusatznutzen darzustellen.
  • Mischpreise vermeiden überbordende Bürokratie – denn wer will bei der wachsenden Anzahl von Teilentscheidungen der Überblick behalten? 

Der Mischpreis baut eine Brücke über die teilweise tiefen Gräben, die sich zwischen Unternehmen auf der einen und den „AMNOG-Verantwortlichen“ auf der anderen Seite immer wieder auftun, wenn es um die richtige Bewertung pharmazeutischer Innovationen geht. Der BPI verweist darauf, dass „in 71 Prozent der Fälle die Beurteilung ‚ohne Zusatznutzen‘ bedeutet, dass man den Zusatznutzen noch nicht beurteilen konnte, da die vorgelegten Daten aus Sicht des bewertenden Instituts nicht ausreichend waren und daher gar nicht berücksichtigt wurden.“  Auch medizinische Fachgesellschaften kritisieren immer häufiger die Bewertungspraxis – wie zuletzt die Deutsche Diabetes-Gesellschaft  oder die Onkologen der DGHO

Die Mischpreisbildung eröffnet allen Beteiligten Verhandlungsspielraum. Deshalb geht es auch nicht nur um einzelnen Preise. Dahinter steht die viel wichtigere Frage: Werden bzw. bleiben Medikamente – und damit auch Therapieoptionen – für Patienten in Deutschland verfügbar oder nicht? Zur Diskussion steht damit eines der „Ur-Ziele“ des AMNOG: „Den Menschen müssen im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung stehen.“ 

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