Werde bei der frühen Nutzenbewertung kein Zusatznutzen festgestellt, bedeute das nicht, dass ein Produkt schlecht sei – sondern nur, dass es noch keine Evidenz gebe, erklärte Hecken laut Ärztezeitung. „Ich befürchte, es kommt zu einem Stillstand bei der Arzneimittel-Entwicklung.“ Seiner Meinung nach sei wichtig, dass über diese Rechtsprechung diskutiert würde.
Nur diskutieren aber ist dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) zu wenig. Er fordert, die gelebte Praxis der Mischpreisbildung möglichst schnell gesetzlich zu verankern. Dazu besteht in dieser Legislaturperiode nach Ansicht des Verbands auch eine Chance: Denn noch vor der Sommerpause will die Bundesregierung das „Blut- und Gewebe-Gesetz“ verabschieden. Eigentlich soll das neue Gesetz die Versorgung mit Blut- und Gewebezubereitungen sowie Arzneimitteln für neuartige Therapien verbessern. Es könnte aber als „Omnibus“ für weitere Änderungen im Sozialgesetzbuch herhalten. Formal ist das, so der BPI, „die letzte Möglichkeit, in dieser Legislatur noch richtigzustellen, dass der verhandelte oder durch Schiedsspruch festgelegte Erstattungsbetrag für neue Arzneimittel auch bei Bildung von sogenannten Mischpreisen über das gesamte zugelassene Indikationsgebiet wirtschaftlich ist.“ Der BPI-Vorstandsvorsitzende Martin Zentgraf ist sicher: „Nur mit dieser rechtlichen Klarstellung können negative Auswirkungen des LSG-Beschlusses auf laufende Preisverhandlungen und das Verordnungsverhalten verhindert werden.“ Nun sei das Parlament gefordert.
Warum Mischpreise?
Mischpreise sind eine im AMNOG gelebte Praxis. Sie werden gebildet, wenn zu einem Medikament für verschiedene Patientengruppen unterschiedliche Nutzenbewertungsbeschlüsse ergangen sind. Diese verschiedenen Konstellationen werden im AMNOG durch die Bildung von Mischpreisen abgedeckt: Ein Preis für das Medikament gilt über alle Patientengruppen hinweg. Sie sind ein Kompromiss zwischen den Preisvorstellungen der Pharmaunternehmen und denen der Krankenkassen. Mischpreise stellen sicher, dass ein im Rahmen des AMNOG ausgehandelter Preis für ein Arzneimittel allgemein gültig ist: Er gilt für das Präparat, egal welchen Zusatznutzen es in einzelnen Patientengruppen ausgewiesen bekommen hat. Für die Ärzte ist der Mischpreis deshalb bisher das klare Signal: Ich verordne wirtschaftlich – und zwar unabhängig von der Patientengruppe.
Nachteil für Patienten
Über die Folgen des LSG-Urteils aus Potsdam sind sich BPI und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einig: Für die Patienten könnte der Schiedsspruch gegen die Gültigkeit der Mischpreise ein erheblicher Nachteil sein. Laut KBV hat die Entscheidung der Richter – obwohl noch nicht rechtskräftig – zu erheblicher Verordnungsunsicherheit bei niedergelassenen Ärzten geführt. Denn wenn die Ärzte solche Medikamente verschreiben, drohe ihnen ein Regressrisiko, so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV, Stephan Hofmeister. Die KBV verlangt deshalb ebenfalls eine Klarstellung – und fügt hinzu, dass Patienten in der Praxis nicht immer eindeutig einer Gruppe zugeordnet werden können. Besonders betroffen sieht die KBV vor allem Patienten, die unter seltenen Erscheinungsformen schwerer Erkrankungen leiden.
Das Ganze ist übrigens alles andere als ein Randthema des AMNOG: Der BPI hat vorgerechnet, dass rund ein Fünftel aller im Nutzenbewertungsverfahren beurteilten Arzneimittel von dem Beschluss des Landessozialgerichts betroffen wären. „Bei diesen Arzneimitteln könnte sich der Arzt bei etwa jedem dritten Patienten nicht mehr sicher in seiner Verordnungsentscheidung sein.“ Verunsicherung bei den Ärzten aber ist eine ganz große Hürde, die einer guten Versorgung selten zuträglich ist.
Die Forderung nach gesetzlicher Regelung hat viele Anhänger
Über die gelebte Praxis der Mischpreisbildung waren viele Krankenkassen nie so richtig glücklich. Und auch diesmal bekräftigt Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg: „Die Eilentscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg weist in die richtige Richtung.“ Er sieht auch keinen Eingriff in die Therapiefreiheit der Ärzte.
Diese Meinung aber dürften die Krankenkassen relativ exklusiv haben. Das zeigt nicht nur die Reaktion der politischen Interessenvertretung der Ärzte. Auch Prof. Jürgen Wasem, Wissenschaftler und Vorsitzender der Schiedsstelle im AMNOG, will Mischpreise gesetzlich verankert sehen. Denn sonst drohten „massenweise Verordnungsausschlüsse“, wie er gleich nach dem Urteil im März verkündete.
Die Stärken der Mischpreise
Die gängige Praxis der Mischpreisbildung hat gleich mehrere Vorteile:
- Mischpreise sorgen für Sicherheit in der Versorgungspraxis. Denn der Arzt weiß, dass er immer „wirtschaftlich verordnet“ – auch wenn sein Patient in eine Gruppe fällt, für die ein Zusatznutzen nicht belegt werden konnte.
- Mischpreise ermöglichen den Zugang der Patienten zu innovativen Medikamenten, weil der Arzt unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen patienten-individuell verordnen kann. Die einheitlichen Preise unterstützen die Mediziner in ihrer Therapiefreiheit.
- Mischpreise sorgen für Flexibilität in den Preisverhandlungen zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband. Sie machen Kompromisse möglich. Denn AMNOG-Bewertungen sind nicht unfehlbar. Bloß weil kein Zusatznutzen festgestellt wurde, heißt das noch lange nicht, dass keiner vorhanden ist. Häufig verbirgt sich dahinter ein Streit um die richtige Methode, den Zusatznutzen darzustellen.
- Mischpreise vermeiden überbordende Bürokratie. Denn wer will bei der wachsenden Anzahl von Teilentscheidungen den Überblick behalten – ohne klare und einheitliche Preise?