Bevor ein Medikament tatsächlich beim Patienten ankommt  muss es einige Herausforderungen meistern. Foto: CC0 (Stencil)
Bevor ein Medikament tatsächlich beim Patienten ankommt muss es einige Herausforderungen meistern. Foto: CC0 (Stencil)

Den Schwarzmarkt bekämpfen – den „weißen Markt“ verlässlich absichern

Auf dem Schwarzmarkt werden – vor allem via Internet – große Mengen an nicht zugelassenen und damit illegalen Medikamenten angeboten. Patienten in Deutschland sind vor diesen Gefahren sicher, wenn sie Arzneimittel auf legalem Weg erwerben und dubiose Quellen meiden.

Im April 2016 stand das Thema „Arzneimittel-Kriminalität“ plötzlich im Rampenlicht der Öffentlichkeit. In ihrer Jahresbilanz für 2015 gab die deutsche Zollverwaltung bekannt, rund vier Millionen Packungen illegal gehandelter Arzneimittelpackungen sichergestellt zu haben. In deutlichen Worten beschwor Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble  die Gefahren des Pharma-Schwarzmarkts: Für die Gesundheit der Verbraucher, so warnte der oberste Dienstherr aller deutschen Zöllner, „kann die vermeintliche Schnäppchen-Jägerei auf dubiosen, nicht zertifizierten Plattformen im Internet böse Folgen haben.“

Was ist wo illegal – und warum?

Immer wieder tauchen Meldungen, die die Sicherheit von Arzneimitteln als gefährdet erscheinen lassen, in den Medien auf. Häufig wird dabei begrifflich vieles vermengt, was einer klaren Unterscheidung bedarf.

Denn längst nicht alles, was deutsche und europäische Strafverfolger mit Recht als „illegal gehandelte Arzneimittel“ bezeichnen, muss „gefälscht“ oder „gepanscht“ sein: Seit Jahren kommt aus Ländern wie Indien, China und weiteren asiatischen Staaten ein großer Zustrom von Präparaten an Europas Grenzen, die in den Herkunftsländern völlig legal hergestellt werden – oft sogar unter professionellen Bedingungen.

In Europa aber haben diese Medikamente keine Zulassung. Ihre einwandfreie Qualität und Wirksamkeit ist – im Unterschied zu den zugelassenen Mitteln – nicht mit großem Aufwand sichergestellt und geprüft worden. Daher dürfen sie nicht legal in den Handel gebracht werden. Absetzbar sind sie hierzulande nur über den Schwarzmarkt – oft zu sehr lukrativen Konditionen.

Für den Zoll und das Bundeskriminalamt (BKA), die für den Schutz der deutschen Verbraucher vor solchen weder zugelassenen noch geprüften Arzneimittel zuständig sind, fallen alle diese Produkte unter den Begriff „Arzneimittel-Kriminalität“. Sie machen einen Großteil der „sichergestellten Waren“ aus, die in den Zollberichten auftauchen.

Die Fälschungs-Kategorien der WHO

Um mehr Klarheit in den Begriff „gefälschte Arzneimittel“ (counterfeit drugs) zu bringen hat die Weltgesundheitsorganisation 2012 drei Kategorien von Fälschungen definiert: 

  • Produkte ohne Wirkstoffe geben nur vor, Stoffe mit anerkannter medizinischer Heilwirkung zu enthalten. In Wahrheit sind diese nicht in den Präparaten enthalten, die Mittel damit wirkungslos.
  • Produkte mit falschen Wirkstoffmengen enthalten zwar die in der Produktbeschreibung versprochenen Wirkstoffe – aber in zu hoher oder zu niedriger Dosierung. 
  • Produkte mit falschen Wirkstoffen enthalten zwar Wirkstoffe – aber nicht die, die sie vorgeben. 

Gefälschte Produkte der ersten Kategorie sind „Plazebos“: Ihr Gefahrenpotenzial liegt darin, dass die Menschen, die sie einnehmen, sie für wirkungsvoll halten – was sie nicht sind. Fälschungen der Kategorien 2 und 3 dagegen können hoch toxisch sein – und damit extrem gefährlich für die Verbraucher. Zudem können die Mittel „gepanscht“, d.h. unter unhygienischen Bedingungen hergestellt und mit Bakterien oder anderen Schadstoffen kontaminiert sein.

Allen gemeinsam ist: Sie haben nicht die vorgeschriebenen Zulassungs- und Qualitätsprüfungs-Schritte durchlaufen – und ihre Einnahme ist daher mit einem völlig unwägbaren Risiko für die Gesundheit des Anwenders verbunden. In all den Ländern, für die sie keine Zulassung haben, sind sie illegal und werden als Fälschungen vom Markt genommen. Jeder, der sie weiterverkauft, handelt kriminell.

Exakte Zahlen über die Mengen dieser illegal gehandelten Medikamente existieren logischerweise nicht. Die WHO schätzt ihren Anteil am Arzneimittel-Weltmarkt heute auf rund zehn Prozent – Tendenz steigend.

Hohe Sicherheit in der „weißen Handelskette“ für Arzneimittel

Für den legalen, den „weißen“ Arzneimittelmarkt in Deutschland und Europa allerdings hat diese WHO-Schätzung keine Aussagekraft. Hierzulande besteht kein Anlass zur Sorge für alle, die ihre Medikamente „auf normalem Weg“ erwerben: in öffentlichen Apotheken, in Drogerien und Reformhäusern und über zertifizierte Online-Apotheken.

 

Denn in der legalen Handelskette, über die zugelassene Arzneimittel in einer Stückzahl von rund 10,5 Milliarden Packungen pro Jahr an die europäischen Verbraucher gelangen (siehe Grafik), tauchen Fälle von gefälschte Mittel – ob wirkungslos oder gefährlich – nur in extremen Ausnahmefällen auf. Dem BKA sind in den Jahren 1996 bis 2008 nicht mehr als 40 Fälle von Arzneimittelfälschungen mit Deutschland-Bezug in der legalen Verteilerkette bekannt geworden.

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), die seit Jahrzehnten die Spontanberichte ihrer Mitglieder zu möglichen Qualitätsmängeln sammelt, meldet jährlich rund 6.000 „Verdachtsfälle“ bei rezeptpflichtigen Medikamenten – bei mehr als 750 Millionen verkaufter Packungseinheiten pro Jahr. Weit mehr als die Hälfte dieser Verdachtsmeldungen sind lediglich Qualitätsmängel bei Verpackung und Beipackzetteln. „Unerwünschte Arzneimittelwirkungen“ (UAW) wurden 2016 nur in 2.250 Fällen gemeldet – d.h. in weniger als drei Fällen auf eine Million verkaufter Packungen. Die überwiegende Mehrzahl davon waren Unverträglichkeiten geringfügiger Art.

Umfassendes System zum Schutz von Arzneimitteln

Der Grund für den hohen Sicherheitsstandard ist ein variables, engmaschiges und vielfach überprüftes Gesamtsystem der Arzneimittelsicherheit in der gesamten Europäischen Union. Es umfasst „von A bis Z“ die Entwicklung, die Zulassung, die Herstellung und den gesamten Handel mit Arzneimitteln. „Pharma Fakten“ wird dieses Gesamtsystem in einem weiteren Beitrag im Detail darstellen.

In die weitere Erhöhung dieser Sicherheit investieren Pharmaunternehmen, Großhändler und Apotheker in den kommenden Jahren Hunderte von Millionen Euro: Speziell zum Schutz vor Fälschungen bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln wird seit 2011 ein europaweites elektronisches Überwachungssystem entwickelt, das künftig die durchgehende Kontrolle jeder einzelnen Arzneimittelpackung von der Fertigung beim Hersteller bis zur Abgabe in der Apotheke gewährleisten wird. Ab dem Februar 2019 dürfen in der ganzen Europäischen Union nur noch rezeptpflichtige Medikamente in den legalen Handel gegeben werden, die den neuen „securPharm“-Sicherheitscode tragen.

Unkontrollierbare Risiken im „schwarzen“ Internet-Handel

So gut es um den Schutz der legalen Handelskette bestellt ist, so ernst zu nehmen sind die Risiken im Bereich der illegal in Umlauf gebrachten Arzneimittel. Dort spielen zwei Faktoren als Vertriebskanäle eine entscheidende Rolle: kriminelle Personen-Netzwerke, die immer professioneller agieren – und der Schwarzhandel via Internet.

Letzterer nimmt weltweit, aber auch hierzulande rasant zu – trotz aller Warnungen von Medizinern, Unternehmen, Politikern und Behörden vor den nicht kontrollierbaren Risiken, die die Verbraucher dabei eingehen. Allzu verlockend ist es offenbar für viele, Medikamente über das Internet um Größenordnungen billiger zu bestellen. Die WHO schätzt den Fälschungsanteil bei Arzneimitteln, die über nicht als Apotheke zugelassene Internet-Versender geordert werden, auf mehr als 50 Prozent.

„Viele Patienten sind sich nicht bewusst, dass sie damit ein hohes persönliches Risiko eingehen“, sagt Marina Bloch. Die Anwältin, die in der Rechtsabteilung der Bayer AG den Bereich „Arzneimittelfälschung“ leitet, weiß aus vielen Studien: In Deutschland bestellen heute 80 Prozent der Bevölkerung ganz selbstverständlich Produkte unterschiedlichster Art aus dem Internet. „Der Onlinehandel per se wird also nicht als bedrohlich empfunden. Beim Arzneimittelkauf aber kann er lebensgefährlich sein – wenn man nicht genau hinschaut, bei wem man kauft.“

Auch die Fälschungs-Expertin hält Schätzungen für realistisch, dass von den Arzneimittelprodukten, die im Internet „schwarz“ angeboten werden, mehr als die Hälfte keine Originalpräparate sind. Testkäufe, die das Zentrallaboratorium der Deutschen Apotheker (ZL) durchgeführt und überprüft hat, hätten diese Annahme bestätigt.

Die Warnung des „obersten Zöllners“ Wolfgang Schäuble kann Marina Bloch deshalb nur unterstreichen: „Wer im Internet bei Schwarz-Versendern einkauft, hat keine Ahnung, was er bekommt. Die Menge der verarbeiteten Stoffe kann von Tablette zu Tablette und von Packung zu Packung schwanken. Man könnte auch gleich Russisches Roulette spielen.“

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