Infiziert mit dem Humane Immunschwäche-Virus (HIV) – diese Diagnose bedeutete in den 1980-er Jahren ein fast sicheres Todesurteil. Doch 1996 gelang mit Einführung der hoch aktiven antiretroviralen Therapie (HAART) der große Durchbruch: Mediziner gingen dazu über, die antiretrovirale Therapie (ART) auf mehrere Medikamente zu verteilen. HIV wurde damit zwar nicht heilbar – aber gut behandelbar: Dank der Medikamente wurde aus einer potenziell tödlich verlaufenden Krankheit eine chronische.
Seit 1996: Steigende Lebenserwartung, sinkende Sterberate
Diese Erfolgsgeschichte zeichnet sich nun in einer internationalen Studie der Antiretroviral Therapy Cohort Collaboration (ART-CC) ab, die die Daten von über 88.500 Patienten in Europa und Nordamerika untersuchte: Demnach ist zwischen 1996 und 2010 die Lebenserwartung einer 20-jährigen Frau mit HIV-Infektion, die eine antiretrovirale Therapie beginnt, um neun Jahre gestiegen – die eines gleichaltrigen Mannes sogar um zehn Jahre.
Außerdem stellten die Forscher fest, dass Patienten mit Therapiebeginn zwischen 2008 und 2010 eine geringere Gesamtmortalitätsrate aufwiesen als die Patienten, deren Behandlung zwischen 2000 und 2003 begonnen hatte. „Die hoch aktiven antiretroviralen Therapien werden seit 20 Jahren zur Behandlung von HIV genutzt. Aber die neueren Medikamente haben weniger Nebenwirkungen, man muss weniger Tabletten einnehmen, sie beugen der Virusreplikation besser vor und erschweren eine Virusresistenz“, erklären die Forscher die positiven Ergebnisse. Außerdem hätten die einfacheren Therapieregime zu einer besseren Therapietreue geführt, vermehrt würden auch Screening- und Präventionsprogramme in Angriff genommen. So betrug die Lebenserwartung 20-jähriger HIV-infizierter Europäer, die ab 2008 mit einer Kombinationstherapie starteten, fast 68 Jahre. Mit einer niedrigen Viruslast ein Jahr nach Therapiebeginn könnten sie sogar ein Alter von 78 Jahren erreichen, prognostizierten die Forscher. Dieses Ergebnis unterstützt die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), mit einer antiretroviralen Therapie möglichst schnell nach Stellung der Diagnose zu beginnen.
Weil die modernen Therapien bereits hoch wirksam sind, halten die Forscher eine weitere Reduktion der Sterberate durch eine Weiterentwicklung der Medikamente für unwahrscheinlich. „Wir müssen uns nun auf Fragen der Therapietreue, der späten Diagnosestellung sowie die Diagnostik und Behandlung bei Komorbiditäten fokussieren”, so ihre Forderung.
Bis 2020: Aids-Epidemie beenden
Die Grundvoraussetzung, um die Aids-Epidemie beenden zu können, ist laut Studie also erfüllt: Es stehen wirksame Medikamente zur Behandlung der Erkrankung zur Verfügung. Eine Infektion mit dem HI-Virus muss heute nicht mehr zu Aids führen. Aber der Zugang zu Diagnose und Therapie muss weiter verbessert werden.
Unter dem Motto „Kein Aids für alle“ startete die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) daher eine bundesweite, auf drei Jahre angelegte Kampagne, um Menschen zu möglichst frühen HIV-Tests zu motivieren. Das Ziel: Schon ab dem Jahr 2020 soll in Deutschland niemand mehr an Aids erkranken müssen – zehn Jahre früher als es die Vereinten Nationen geplant haben. Die DAH ist sich sicher, dass das durchaus machbar ist: „Die Zahl der HIV-Infektionen ist im internationalen Vergleich gering, HIV-Medikamente sind verfügbar und es gibt ein leistungsfähiges Gesundheitssystem“, so die Begründung.
Immer noch leben in Deutschland laut DAH knapp 13.000 Menschen unwissentlich mit HIV. „Dass Menschen eine potenziell tödliche Krankheit bekommen, die sich längst vermeiden lässt, dürfen wir nicht hinnehmen. Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung kann man heute mit HIV lange und gut leben“, so DAH-Vorstandsmitglied Manuel Izdebski. Dabei seien es hauptsächlich drei Gründe, die Menschen von HIV-Tests abhalten – und die es mit der Kampagne zu adressieren gilt: Da ist bei den einen die Angst vor einem positiven Ergebnis, weil die Folgen dramatischer eingeschätzt werden, als sie sind. Andere vermuten nicht, dass sie infiziert sind, weil sie HIV mit einer bestimmten, ihnen fremden Lebensweise verbinden. Ärztinnen und Ärzte bieten HIV-Tests zu selten an – etwa, weil es ihnen schwerfällt, das Thema „Sexualität“ anzusprechen.
Besonders im letzten Fall könnten die neuen, verbesserten HIV-Schnelltests für zuhause eine Lösung sein. Seit kurzem sind sie in Europa verfügbar, das Bundesgesundheitsministerium prüft aktuell noch, ob sie auch in Deutschland erlaubt werden. Die DAH hofft noch in diesem Jahr auf eine Zulassung.
Ob mit oder ohne Schnelltest: „Nur wer von seiner Infektion weiß, kann von den heute verfügbaren Therapien profitieren. Deswegen gilt für alle Menschen: Im Zweifel zum HIV-Test“, betont Izdebski. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe unterstützt das Kampagnenziel der DAH „aus voller Überzeugung“ und ist sich sicher: „Gemeinsam können wir es erreichen.“