Fünfzehn Jahre liegt die letzte Zulassung eines Alzheimer-Medikamentes zurück. Ein Konsortium will das ändern. Mit dabei: 15 forschende Pharmaunternehmen. Foto: © iStock.com/utah778
Fünfzehn Jahre liegt die letzte Zulassung eines Alzheimer-Medikamentes zurück. Ein Konsortium will das ändern. Mit dabei: 15 forschende Pharmaunternehmen. Foto: © iStock.com/utah778

Extrem unterschiedliche Schlaganfall-Versorgung in Europa

Die Todesraten durch Schlaganfall sind EU-weit in den letzten zwanzig Jahren stetig gesunken. Das dürfte sich ändern: Bis 2035 erwarten Experten aus Patienten- und Fachorganisationen einen Zuwachs um 34 Prozent. Um die Folgekosten im Griff zu behalten, fordern sie europaweit vergleichbare Daten, eine verbesserte Aufklärung und Prävention sowie eine Angleichung der Versorgungsqualität über alle EU-Staaten.

Die gute Nachricht zuerst: Die Anzahl der Schlaganfall-Ereignisse je Einwohner ist im Lauf der letzten zwanzig Jahre in allen EU-Staaten signifikant zurückgegangen. Zählten etwa Bulgarien und Rumänien 1995 noch jährlich 250 Schlaganfälle pro 100.000 Einwohner, so sank diese Rate bis 2015 auf weit unter 200. In Deutschland konnte die Rate von 90 (1995) auf 52 (2015) gedrückt werden, beim Spitzenreiter Großbritannien von 80 auf 40 je 100.000 Einwohner.

Parallel dazu fielen die schlaganfall-bedingten Todesraten: In Frankreich, Österreich und Spanien starben im Jahr 2015 nur noch 30 bis 35 Einwohner von 100.000 an dem gefährlichen Gefäßverschluss (1995: 50 bis 80), in Bulgarien und Rumänien etwas mehr als 150 (1995: rund 230). In Deutschland halbierte sich in gleichen Zeitraum die jährliche Todesrate von knapp 80 auf 38 je 100.000 Einwohner. Dennoch bleibt der Schlaganfall die dritthäufigste Todesart: Rund 76.000 Opfer forderte er hierzulande 2015 laut GBD-Statistik.

 

Europa-Studie prognostiziert Anstieg um ein Drittel bis 2035

In dem Report „The Burden of Stroke“, den die medizinische Fachgesellschaft ESO und die europäische Patientenorganisation SAFE im Mai 2017 gemeinsam im EU-Parlament vorgestellt haben, sind aber nicht nur positive Zahlen zu lesen. Eindringlich warnen die beiden Spitzenorganisationen davor, die Gefahren, die trotz aller Erfolge vom Schlaganfall ausgehen, zu unterschätzen. 

Der Report rechnet mit einem erneuten Anwachsen des Problems – bedingt vor allem durch die Veränderungen in der Alterspyramide. Da der Anteil der über 70-jährigen in den nächsten zwei Jahrzehnten überall in Europa zunehmen wird, prognostizieren die Experten eine erhebliche Steigerung der Todesfälle durch Schlaganfall: Traten im Jahr 2015 in allen Ländern der EU 613.000 Fälle auf , so werden es 2035 rund 820.000 sein (plus 34 Prozent). Die Zahl der Menschen, die nach einem Schlaganfall mit dessen Folgen leben müssen, wird von 3,7 Millionen (2015) auf 4,6 Millionen (2035) ansteigen – ein Zuwachs um ein Viertel. 

 

45 Milliarden Euro pro Jahr – künftig noch deutlich mehr?

Die Behandlungs- und Folgekosten, die auf Schlaganfall-Ereignisse zurückzuführen sind, beziffern die Experten von ESO und SAFE für 2015 auf insgesamt 45 Milliarden Euro. Davon entfallen rund 20 Milliarden auf direkte Gesundheitskosten, 25 Milliarden dagegen auf indirekte Kosten wie Nachsorge, Produktivitätsverluste, Steuerausfälle und andere. „Wenn wir verhindern wollen, dass diese Kosten entsprechend der Fall-Zunahmen weiter steigen und damit die Gesundheitssysteme vieler Länder völlig überfordern, müssen wir noch eine Menge bewegen,“ sagt Jon Barrick, der britische Präsident von SAFE. 

Erschreckend deutlich zeigt der Bericht, wie enorm unterschiedlich die Versorgungsqualität bei Schlaganfall-Patienten in den europäischen Ländern heute ist. Viele Millionen Menschen, gibt Markus Wagner, der deutsche Vizepräsident von SAFE zu bedenken, reisten heute in Europa häufig über mehrere Ländergrenzen. Sie fänden dabei in dem einen Land eine exzellente Versorgung vor, im nächsten dagegen eine viel schlechtere Struktur. Bei einem Schlaganfall könnten die Folgen katastrophal sein.

Die Angleichung der Behandlungs- und Vorsorgeverhältnisse in Europa ist auch für Valeria Caso, die Präsidentin des Fachärzte-Verbands European Stroke Organisation (ESO), ein Kernanliegen. Gemeinsam fordern beide Organisationen eine nationale Schlaganfall-Strategie für jedes einzelne EU-Mitgliedsland, getragen von den jeweiligen Regierungen. Diese sollte den gesamten Versorgungspfad abbilden: von der intensiven Aufklärung der Bevölkerung über die Prävention mit patienten-individuellen Arzneimitteln bis hin zur präzisen Diagnose und gezielten Behandlung in einem spezialisierten Schlaganfall-Zentrum und der Überleitung in eine professionelle Rehabilitation und eine strukturierte ambulante Nachsorge.

Wie gut im europäischen wie weltweiten Vergleich die Lage in Deutschland ist, hat kürzlich die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) aufgezeigt. Gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe hat sie im März 2017 in Reutlingen das 300-ste Schlaganfall-Zentrum in Deutschland zertifiziert. In diesen spezialisierten „Stroke Units“ können Schlaganfall-Patienten optimal versorgt werden. Damit verfügt Deutschland über die weitaus meisten „stroke ready hospitals“ im EU-Raum.

Um künftig auch in anderen Ländern, vor allem im Osten der EU, die Versorgungslage zu verbessern, hat die ESO gemeinsam mit Partnern die „Angels Initiative“ gegründet. Ihr Ziel ist es, bis Mai 2019 die Zahl der speziell für Schlaganfall-Behandlungen gerüsteten Kliniken in Europa auf 1500 zu erhöhen. Unterstützt wird die Initiative vom Pharmahersteller Boehringer Ingelheim. „Die Initiative hilft interessierten Kliniken dabei, ihre Prozessabläufe in Kooperation mit führenden Schlaganfall-Experten so zu optimieren, dass Patienten mit akutem Schlaganfall schneller und strukturierter behandelt werden können“, erklärt Georg van Husen, Leiter des Therapiegebiets Kardiovaskuläre Erkrankungen bei Boehringer. 

Einen innovativen Beitrag dazu leistet seit Mai 2017 die neue Bildgebungs-Software „e-Aspects“.  Sie erleichtert die digitale Schnellanalyse von Patientenscans nach einem Schlaganfall und kann die kompexen Scans direkt so weiterleiten, sodass schnellstmöglich eine zweite Expertenmeinung eingeholt werden kann. „Im akuten Fall trägt der rasche digitale Austausch dazu bei, dass für den Patienten der optimale Behandlungsweg gewählt werden kann. Das kann Leben retten!“ erläutert Alastair Buchan, Professor für Schlaganfall-Medizin an der Universität Oxford und Erfinder des Aspects-Scores.

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