Mediziner Dr. Ludwin Ley im Interview: Ein 60-jähriger Patient mit Typ-2-Diabetes verliert im Mittel sechs Lebensjahre. In Kombination mit einem Herzinfarkt sind es sogar zwölf. Foto: © iStock.com/Boarding1Now (Markus Mainka)
Mediziner Dr. Ludwin Ley im Interview: Ein 60-jähriger Patient mit Typ-2-Diabetes verliert im Mittel sechs Lebensjahre. In Kombination mit einem Herzinfarkt sind es sogar zwölf. Foto: © iStock.com/Boarding1Now (Markus Mainka)

Neuer Anlauf in der nächsten Legislatur

Fast sieben Millionen Menschen sind hierzulande an Diabetes erkrankt, jedes Jahr kommen weitere 300.000 dazu. Dennoch gehört Deutschland zu nur acht von 28 EU-Ländern, die noch keinen „Nationalen Diabetesplan“ installiert haben. Dabei könnte ein verbindlicher Plan für eine bessere Prävention und Versorgung der Patienten vieles erreichen – auch für die künftige Entwicklung antidiabetischer Arzneimittel.

Lange sah es so aus, als könnte der Wunsch vieler Patienten, Ärzte, Pharmaexperten und Gesundheitspolitiker in Deutschland endlich in Erfüllung gehen: Im Frühjahr 2017 sprachen Mitglieder des Bundestags-Gesundheitsausschusses noch offen davon, dass ein gemeinsames Papier der Großen Koalition vorliege, das die Grundlinien eines Nationalen Diabetesplans für Deutschland noch in der laufenden Legislaturperiode verbindlich festlege. Auf dieser Basis könne nach der Wahl im September die neue Bundesregierung dann die Details ausarbeiten. Zur Erstellung eines solchen nationalen Plans hatte sich Deutschland – wie alle EU-Mitgliedsländer – schon vor zehn Jahren in der „Declaration of Diabetes“ der Europäischen Union bekannt.

Als 20-stes EU-Mitglied hat im April 2017 Österreich seinen Nationalen Diabetesplan verabschiedet. In Deutschland dagegen ist die Einigung zwischen den Fraktionen von Union und SPD „in letzter Minute“ gescheitert. Zwar verweist bei der Frage nach der Verantwortung dafür jede Seite auf die jeweils andere. Doch das Bedauern über die verpasste Chance ist bei den Gesundheitspolitikern aller Seiten in aktuellen Video-Interviews der Deutsche Diabetes-Hilfe (DDH) deutlich zu hören – beim Ausschussvorsitzenden Edgar Franke (SPD) ebenso wie beim einflussreichen CDU-Berichterstatter Michael Hennrich oder der Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche.

 

Forderung: Verhältnisse ändern – nicht nur Verhalten

Dass das Thema damit nicht von der gesundheitspolitischen Agenda verschwindet, machen die Mitglieder der Deutschen Diabetes-Plattform deutlich – die Patientenorganisation DDH ebenso wie die Fachgesellschaft Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Die Vertretung der Diabetes-Mediziner hat jüngst in einem „Offenen Brief gegen Fehlernährung“ die Bundesregierung und die Vorsitzenden aller großen Parteien aufgefordert, einen Strategiewechsel zu vollziehen, was das für die Diabetes-Prävention so entscheidende Thema Ernährung angeht: Der schlimme Trend zu immer mehr Übergewicht dürfe künftig nicht länger nur durch Appelle an die Bevölkerung zu „gesünderen Lebens- und Ernährungsformen“ bekämpft werden. Die  Politik müsse den Mut haben, Maßnahmen zu ergreifen, die nicht nur das Verhalten (der Verbraucher), sondern auch die Verhältnisse (in Politik und Gesellschaft) ändern. Der Brief endet mit den Worten: „Der Kampf gegen chronische, nicht übertragbare Krankheiten bedarf einer umfassenden Strategie. Bitte setzen Sie sich dafür ein.“

Die Arzneimittelbranche unterstützt den Diabetesplan

Eine solche „umfassende Strategie“ gegen Diabetes unterstützt auch die deutsche Pharmabranche. Die Stärkung von Prävention und Früherkennung, eine gesunde Ernährung und Lebensweise, die stetige Weiterentwicklung medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten und Versorgungsstrukturen und eine verbesserte Information der Patienten: All dies, weiß Birgit Fischer, die Hauptgeschäftsführerin des vfa, sind unverzichtbare Eckpunkte einer effektiven nationalen Diabetesstrategie. „Diese Themen können nur gemeinsam von Patienten, Ärzten, Leistungserbringern, Forschern, Gesundheitsunternehmen, Kassen und Politik angegangen werden. Und genau das sollten wir jetzt tun – gemeinsam einen nationalen Diabetesplan erarbeiten”, fordert Fischer schon seit geraumer Zeit.

Ein solcher Plan wird auch die Rahmenbedingungen für den Einsatz antidiabetischer Arzneimittel neu definieren. Diese erreichten in Deutschland 2016 einen Jahresabsatz von mehr als 36 Millionen Packungen. Dominierendes Marktsegment sind die modernen, gentechnisch erzeugten Human- und Analoginsuline (siehe Tabelle).

Neue Behandlungsformen und Wirkstoffe auf dem Vormarsch

Biguanide wie Metformin, als orales Standardtherapeutikum in den Anfangsphasen des Typ-2-Diabetes unverzichtbar, machen mehr als ein Viertel aller eingesetzten Packungen aus. Immer wichtiger werden die Gliptine: Oral eingenommen, hemmen sie das Enzym Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4), das das wichtige Darmhormon GLP-1 abbaut, und sorgen so dafür, dass bei Mahlzeiten die Insulinausschüttung verstärkt wird.

Auch die GLP1-Agonisten, die die Wirkung von GLP-1 nachahmen und die Insulinfreisetzung anregen, gewinnen als Antidiabetikum immer stärker an Bedeutung. Sie sind bisher nur als subkutane Injektion anwendbar, orale Einnahmeformen sind derzeit in der Entwicklung.

In einer Studie, die im September 2016 im New England Journal of Medicine publiziert wurde, zeigte sich: Der Einsatz des GLP-1-Agonisten Semaglutide bei 1600 Diabetespatienten des Typs 2 verringerte die Rate der nicht-fatalen Schlaganfälle bei den behandelten Patienten im Vergleich mit ebenso vielen nicht behandelten Patienten um 39 Prozent – ein statistisch signifikanter Wert. Wenn weitere Studien diese Effekte bestätigen, besteht nach Ansicht von Helmut Schatz, emeritierter Professor der Ruhr-Uni Bochum und Mitglied des wissenschaftlichen Beraterkreises beim Diabetesinformationsdienst München, die berechtigte Hoffnung, von einer „neuen Ära“ in der Behandlung des Typ 2-Diabetes zu sprechen. 

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