Nutzen forschende Pharmaunternehmen eine EU-Verordnung aus  um das große Geld zu machen? Ein Faktencheck. Foto: ©iStock.com/Alexander Raths
Nutzen forschende Pharmaunternehmen eine EU-Verordnung aus um das große Geld zu machen? Ein Faktencheck. Foto: ©iStock.com/Alexander Raths

Same procedure as every year!

Auf insgesamt 38,5 Milliarden Euro sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel inklusive der Zuzahlungen der Patienten in 2016 gestiegen – ein Plus von 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das geht aus dem Arzneiverordnungs-Report 2017 (AVR) hervor, der Jahr für Jahr der Berliner Presse vorgestellt wird. Die Steigerungen liegen im Rahmen: Die Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 4,2 Prozent.

Der Alarmismus ist programmiert. Es ist eine Form von „Same procedure as every year“ – nur eben drei Monate vor Silvester. AVR-Herausgeber Prof. Ulrich Schwabe kritisierte die 3,9 Prozent-Steigerung bei Arzneimitteln vor dem Hintergrund, dass die Verordnungen lediglich um 2,1 Prozent gestiegen sind: „Es wurden nicht nur mehr, sondern auch teurere Arzneimittel verordnet – die Arzneimittelausgaben liegen nun bei 17 Prozent der GKV-Ausgaben.“ Das aber ist nicht neu – es ist im Gegenteil ein sehr stabiler Wert: Blickt man bis ins Jahr 2005 zurück, schwanken die Ausgaben für Medikamente zwischen 16,4 Prozent (2012) und 18,6 Prozent (2009). Gemeint sind die Gesamtausgaben inkl. der Mehrwertsteuer und den Margen für Apotheken und Großhandel. Im Gesamtverhältnis von Einnahmen und Ausgaben tut sich also bei Medikamenten in den vergangenen zwölf Jahren: Nichts.

Auch das Bundesgesundheitsministerium teilt den Alarmismus der Krankenkassen nicht. Im Gegenteil: Angesichts der Tatsache, dass die GKV seit Jahren mehr Mitglieder dazu gewinnt, ist die Entwicklung der Gesamtausgaben laut BMG „moderat.“ Übrigens: Die 3,9 Prozent-Steigerung entsprechen 1,4 Milliarden Euro – und damit genau dem Überschuss der Kassen in 2016.

Eine reine Kostenbetrachtung

Die AVR-Autoren kritisieren den Zuwachs bei patentgeschützten Medikamenten und heben Steigerungen im Bereich der Krebsmedikamente (plus 17,2 Prozent) und der Immunsuppressiva (14,3 Prozent) hervor. Es ist eine reine Kostenbetrachtung, die den Patientennutzen neuer Behandlungsmöglichkeiten nicht berücksichtigt. Darauf weist der Verband der forschenden Pharmaunternehmen, vfa, hin: „Will man im Arzneimittelsektor Trends benennen, muss man das starke Innovationsgeschehen in der pharmazeutischen Industrie mit wichtigen therapeutischen Durchbrüchen […] berücksichtigen. Auch in der Onkologie gibt es viele Fortschritte. Die Forschung kann Krebserkrankungen Stück für Stück den Schrecken nehmen, und viele Patienten können mit neuen Medikamenten immer länger und besser überleben.“

Ins Auge sticht den AVR-Autoren, dass die Kosten pro Verordnung neuer Medikamente ansteigen. Das ist Ergebnis eines weiteren Trends – hin zur personalisierten Medizin mit immer kleineren Patientengruppen. Und es ist das Ergebnis einer erfolgreichen Orphan Drug-Regelung. Weil es sich mittlerweile bei einem Fünftel der Nutzenbewertungsverfahren (AMNOG-Verfahren) um Medikamente gegen Seltene Erkrankungen handelt, in denen per Definition die Patientengruppen klein sind, steigen auch hier die durchschnittlichen Verordnungspreise.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, BPI, sieht in dem AVR den Beleg dafür, „dass die Ausgabenentwicklung bei Arzneimitteln kein Risikofaktor für die Finanzierung der GKV darstellt“, wie sein stellvertretender Hauptgeschäftsführer Dr. Norbert Gerbsch erklärte. Nach Abzug von Mehrwertsteuer, der Margen für Apotheken und Großhandel sowie Rabatte sieht er den Anteil der pharmazeutischen Industrie an den GKV-Gesamtausgaben bei mittlerweile rund acht Prozent. Gerbsch vermisst eine Auseinandersetzung mit den Folgen der von den Krankenkassen vorangetriebenen Sparpolitik: „Kein Wort zu den Auswirkungen der Sparpolitik für die Versorgung mit Generika, kein Wort zu den fehlenden wirtschaftlichen Grundlagen für Weiterentwicklungen unter Preismoratorium und kein Wort, dass fast ein Drittel der Arzneimittel, die der Frühen Nutzenbewertung unterliegen, in Deutschland nicht oder nicht mehr verfügbar sind“. Der BPI hatte gerade erst den AMNOG-Check vorgelegt, der zeigt, dass Patienten in Deutschland immer weniger Therapiealternativen zur Verfügung stehen.

Fortschritt generiert Kosten

Medizinischer Fortschritt generiert in der Regel steigende Kosten. Risikoreiche Pharma-Forschung auf der Suche nach besseren Behandlungsmöglichkeiten wird in erster Linie aus den laufenden Einnahmen der Unternehmen finanziert. Aber die Preisgestaltung dieser Medikamente ist alles andere als ein Schlaraffenland, wie die AVR-Autoren suggerieren. Denn der zwischen Pharma-Unternehmen stattfindende Innovationswettbewerb setzt sich in einem starken Preiswettbewerb fort – wie das gerade im Bereich von Hepatitis C zu beobachten ist: Die Preise sinken bereits kurz nach der Einführung. Und nach Patentablauf sinken die Preise noch schneller. Wie das Institut QuintilesIMS vor kurzem festgestellt hat, wird z.B. im Bereich der Onkologie ein Teil des Ausgabenwachstums durch den immer höheren Anteil an Generika in diesem Bereich wieder aufgefangen. Es ist Fortschritt, der zunächst Geld kostet, aber nach einiger Zeit sehr günstig zur Verfügung steht. Während die Krankenkassen seit Jahren regelmäßig Überschüsse einfahren, wird der medizinische Fortschritt in der Onkologie, bei Orphan Drugs oder Hepatitis C als bloße Kostensteigerung banalisiert.

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