Bis heute gibt es sie nicht: Eine Behandlung gegen Alzheimer, die den Verlauf der Krankheit hinausschiebt. Oder gar heilt. Die Mehrzahl der klinischen Studien ist bis heute gescheitert. Damit das nicht so bleibt, gibt es Ärzte wie Prof. von Arnim. Denn an Wissenschaftler wie sie wenden sich forschende Pharmaunternehmen, wenn sie wissen wollen, ob Ihr Wirkstoffkandidat funktioniert. Oder eben nicht.
„Alzheimer ist wegen der vielen Misserfolge schon ein besonders herausforderndes Forschungsgebiet“, sagt von Arnim. Die Motivation fürs Weitermachen zieht sie aus der Arbeit mit den Patienten. „Wenn man täglich erfährt, wie die Erkrankung verläuft, sagt man sich: Wir müssen dranbleiben. Und aus jeder Studie etwas lernen. Das ist ja der Vorteil: Dass wir aus jeder Studie echt viel lernen.“
Demenzerkrankungen: Die große Herausforderung unserer Zeit
Die Alzheimer-Erkrankung ist eine der großen Herausforderung unserer Zeit. Sie ist gekennzeichnet durch einen langsamen Untergang von Nervenzellen und Nervenzellkontakten. Eher selten sind Patienten jünger als 60 Jahre. Aber genau das beschreibt die Herausforderung in einer alternden Gesellschaft:
- In Deutschland leben gegenwärtig fast 1,6 Millionen Demenzkranke; zwei Drittel von ihnen haben Alzheimer. Jahr für Jahr treten etwa 300.000 Neuerkrankungen auf.
- Sofern kein Durchbruch in der Therapie gelingt, wird sich die Zahl der Demenzkranken bis zum Jahr 2050 auf rund 3 Millionen erhöhen. Dies entspricht einem mittleren Anstieg um mehr als 100 pro Tag.
Klinische Studien zur Erforschung neuer Medikamente sind immer aufwändig, aber für die Neurologie gilt das im Besonderen. Weil man mittlerweile weiß, dass sich eine Alzheimer-Erkrankung über Jahrzehnte entwickelt, setzt die Forschung immer früher im Krankheitsgeschehen an. Von Arnim und ihr Team suchen deshalb teilweise Patienten, die noch gar nicht wissen, dass sie Alzheimer haben. „Durch die Entwicklung von Biomarkern können wir schon Jahre bevor sich eine Demenz zeigt, erkennen, wer eine Alzheimer-Demenz bekommen wird. Wenn bestimmte Biomarker verändert sind, ist das Risiko eine zu bekommen, schon sehr, sehr hoch“, sagt sie. Dieses Wissen und ihre Erfahrung lassen schon recht genaue Vorhersagen zu, wer in den kommenden Jahren eine Demenz entwickelt und wer nicht. Biomarker sind charakteristische biologische Merkmale, die als Referenz für Prozesse und Krankheitszustände im Körper verwendet werden können.
Klinische Studien: Keine Selbstläufer
In der Klinik in Ulm bietet Oberärztin von Arnim eine spezialisierte Gedächtnisambulanz an. Dorthin kann sich jeder wenden, den Gedächtnisstörungen plagen. Ein multidisziplinäres Team von Experten führt dann eine umfassende Untersuchung durch, um herauszufinden, ob es sich um eine altersentsprechende Störung handelt oder um eine Frühform von Demenz. Dazu gibt es ein diagnostisches Gespräch, Blutentnahme, neurologische und neuropsychologische Untersuchungen sowie ein ausführliches Gespräch mit den Angehörigen. Zudem können Demenzmarker bestimmt werden. In der Gedächtnissprechstunde haben die Betroffenen auch die Möglichkeit, sich über die Teilnahme an einer klinischen Medikamentenstudie zu informieren.
Diese Studien sind keine Selbstläufer, schon weil die Erkrankung oft als Altersvergesslichkeit bagatellisiert wird. Der Rekrutierungsprozess ist extrem aufwändig und gesprächsintensiv. „Es gibt so zwei Arten von Menschen“, berichtet von Arnim. „Die einen sagen: ‚Ich will alles wissen’ – und die haben sich auch mit leichten Gedächtnisstörungen immer schon an uns gewandt. Und dann gibt es solche, die das ignorieren. Schließlich ist kein Leidensdruck da. Manchmal gehört es auch zu der Erkrankung, dass die Patienten es selbst nicht wahrnehmen. Wir bezeichnen das dann als Anosognosie. Das macht das Ganze nicht leichter: Jemandem zu sagen, dass er eine Krankheit hat, die er selber überhaupt nicht wahrnimmt.“
Der Weg zum Fortschritt führt über intensive Gespräche
Der Weg zum medizinischen Fortschritt in der Alzheimer-Behandlung führt über Gespräche – lange, intensive und schwierige Gespräche. Denn zunächst muss von Arnim herausfinden, ob die Patienten überhaupt für die Studien in Fragen kommen; Ein- und Ausschlusskriterien sind streng und setzen enge Bandbreiten. Eine Begleitmedikation wie ein Blutverdünner kann das Aus bedeuten. Schon bei den sehr aufwändigen Vor-Screenings fällt die Mehrzahl möglicher Kandidaten raus – z.B. auch, weil das Team in Ulm herausfindet, dass es sich bei dem Betroffenen gar nicht um eine Demenz handelt. Und von einhundert Patienten, die von Arnim im Screening sieht, kommt am Ende nur jeder fünfte in Frage. „Das sind dann sehr schwierige Gespräche, wenn die Patienten große Hoffnung mit der Studie verbunden haben“, sagt die Neurologin.
Aber auch die Teilnehmer selbst fühlen sich oft mit dem erheblichen Aufwand klinischer Studien überfordert. Denn der Aufwand ist auch für die Patienten groß. Demenz-Studien laufen relativ lange, anderthalb bis zwei Jahre sind ein durchaus üblicher Rahmen. Die Untersuchungen sind nicht nur zeitaufwändig, sie sind auch nicht immer angenehm, etwa wenn z.B. regelmäßig Nervenwasser per Lumbalpunktion entnommen wird, bei der eine Hohlnadel im unteren Rückenbereich eingeführt wird. Und die Hälfte der Studienteilnehmer bekommt im Laufe der Studie lediglich ein Scheinmedikament, ein Placebo: Denn nur mit einer Vergleichsgruppe, die kein Medikament bekommt, lässt sich am Ende bestimmen, welchen Nutzen ein neuer Wirkstoffkandidat hat. Immerhin: Alle Teilnehmer, auch die der Placebo-Gruppe, haben in der Regel am Ende der Studie die Möglichkeit an Verlängerungsstudien teilzunehmen (so genannte „Open Label Extension“). Dann bekommen alle den neuen Wirkstoff, wenn er sich bewährt hat. Aber eben erst sehr viel später.
Der eine Königsweg zur Behandlung von Alzheimer ist noch nicht gefunden – und dürfte bei der Komplexität der Erkrankung eine Vision bleiben. Fünf bis zehn klinische Studien führen sie deshalb allein in Ulm durch. Trotz aller Rückschläge bleibt von Arnim optimistisch: „Sicher werden wir Alzheimer eines Tages heilen können.“ Es ist kein Optimismus einer Verzweifelten: „Wir sehen in der Forschung Quantensprünge. Mein Eindruck ist, dass sich das immer mehr beschleunigt. Wie wir die Krankheit besser verstehen und sich parallel Technologien zur Diagnostik oder Gentherapien weiterentwickeln.“ Heilung? „Ja, irgendwann wird das was. Optimistisch bleiben muss man bei der Erkrankung. So kann es nicht bleiben.“
Foto: Uniklinik Ulm