Ob wir Verbraucher etwas als teuer oder nicht teuer wahrnehmen, entscheiden wir jeden Tag. Wir setzen einen Preis für ein Produkt (ein Müsli, ein Auto, einen Urlaub) in Relation zu dem erwarteten Nutzen und wägen ab, ob wir das Angebot als angemessen empfinden oder nicht. Es ist eine subjektive Entscheidung.
Bei Arzneimitteln ist dieser Prozess „ausgehebelt“. Das fängt schon damit an, dass die meisten gar nicht wissen, was das Medikament kostet, das ihnen der Arzt verschreibt. Trotzdem hat sich der öffentliche Eindruck tief eingebrannt, dass neue Arzneimittel zu teuer sind. Auf den ersten Blick mag das nachvollziehbar sein, denn den meisten Menschen dürften z.B. Krebsmedikamente, die vermeintlich sechsstellige Summen kosten, erst einmal teuer vorkommen. Schließlich ist es de facto viel Geld.
Das Problem dabei ist, dass die Preisdebatte in der Öffentlichkeit fast ausschließlich auf der Basis von Preisschildern geführt wird („Was? 100.000 Euro?“), also sozusagen „nutzenbefreit“. Gesprochen wird über eine Summe. Gesprochen wird nicht über den Nutzen für den Patienten und über das, was die Krankheit gesamtgesellschaftlich anrichtet und kostet. Deshalb ist die Diskussion im Kern falsch geführt. Es ist eine kurzfristige Betrachtung.
Das hat Folgen. Denn Preisdebatten im Gesundheitswesen führen meist zu Preisdruck, was ja von denen, die sie initiieren, auch intendiert ist. Preisdruck führt in der Regel zu geringeren Einnahmen. Doch aus den Einnahmen von heute finanzieren forschende Arzneimittelentwickler die neuen Therapien von morgen. Vfa-Geschäftsführerin Birgit Fischer hat das im Hinblick auf Krebsmedikamente so formuliert: „Ob wir morgen den Krebs besiegen, entscheiden wir heute.“ Das gilt auch für andere Indikationen, für Alzheimer genauso wie für rheumatoide Arthritis, Diabetes oder HIV. Oder für die – je nach Zählweise – 6.000 bis 8.000 seltenen Erkrankungen, für die es noch keine Medikamente gibt. Pharmaforschung ist ein langfristiges Geschäft.
Preisdruck bleibt nicht ohne Auswirkungen auf Forschungsbudgets
Damit ist auch klar, dass Preisdruck mitnichten nur ein Problem von Pharmaunternehmen ist: Wer an der Preisschraube dreht, muss wissen, dass das nicht ohne Auswirkungen auf Forschungsbudgets bleiben kann. Die im Jahr 2017 vorgelegte BASYS-Studie belegt das: Sie hat herausgefunden, dass die Pharmaindustrie in Deutschland aufgrund von Spargesetzen Forschungs- und Ausrüstungsinvestitionen von schätzungsweise über vier Milliarden Euro unterlassen hat. Die Rationale dahinter ist ganz einfach: Ein Unternehmer, der weniger zum Investieren hat, investiert weniger. Das aber ist gerade in einer Zeit des Innovationsbooms, wie er in der pharmazeutischen Forschung gegenwärtig stattfindet, ein Rückschritt. Denn es führt dazu, dass die sich aus dem ständigen Erkenntnisgewinn ergebenen Chancen auf neue Therapien liegengelassen oder verschoben werden. Das aber ist zum einen nicht im Sinne von Patienten, die auf neue und bessere Therapien hoffen. Es dürfte zum anderen unter dem Strich aber auch für unsere Gesellschaft sehr, sehr teuer werden.
Deshalb muss die Debatte über Arzneimittelpreise neu ausgerichtet werden. Dabei sollte die reine „Kostendebatte“ durch eine ersetzt werden, die Ausgaben und Nutzen in ein vernünftiges Verhältnis setzt. Eine solche Diskussion würde dann nicht nur zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen geführt. Denn es ist eine gesamtgesellschaftliche Frage – und muss deshalb auch gesamtgesellschaftlich geführt werden.
Im Kampf gegen Alzheimer hilft nur eins: Neue Medikamente
Geradezu ein Paradebeispiel wie sich gesamtgesellschaftliche Interessen, Aspekte der finanziellen Nachhaltigkeit und Forschungsbemühungen von Pharmaunternehmen überschneiden, ist Alzheimer. Einer von neun Menschen aus der Babyboomer-Generation wird diese Demenz entwickeln; in den USA spricht man jetzt schon von einem „Tsunami“, wenn es um die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben zur Behandlung der Krankheit geht. Nicht durch effizientere Krankenhäuser oder bessere Pflegeheime wird die Menschheit die Folgen der Demenzerkrankung in den Griff kriegen. „Es gibt nur eine Lösung und die ist: Neue Arzneimittel zu entwickeln, die die Krankheit stoppen, hinauszögern, verhindern oder heilen“, schreibt der Mediziner Michael Rosenblatt, ein Wissenschaftler mit Harvard- und Industrie-Background. Das ist aber alles andere als einfach: Das letzte neue Medikament wurde 2002 zugelassen; es hilft symptomatisch. Bei klinischen Projekten liegt die Quote des Scheiterns bei rund 99 Prozent. Trotzdem finden sich rund 80 Wirkstoffe in den Pipeline-Listen von Pharmaunternehmen; sie investieren weiterhin Milliardensummen.
Es gibt, ob einem das gefällt oder nicht, einen Zusammenhang zwischen medizinischem Fortschritt und dem geschäftlichen Erfolg von Pharmaunternehmen. Nur wirtschaftlich kerngesunde Unternehmen nehmen ein solches Risiko in Kauf. Nur wirtschaftlich kerngesunden Unternehmen würde man unter diesen Voraussetzungen nicht ökonomisches Harakiri unterstellen.
Fortsetzung folgt: Die Debatte über vermeintlich überhöhte Arzneimittelpreise wird auf der Basis falscher Zahlen und Annahmen geführt. Teil 2 des Artikels erscheint am 29.1.2018.