Es begann 1986. In diesem Jahr wurde laut CRI die erste moderne Immuntherapie (Interferon alpha) gegen Krebs zugelassen – zur Behandlung der sogenannten Haarzell-Leukämie. Seitdem kamen viele weitere immuntherapeutische Wirkstoffe hinzu: Inzwischen sind es insgesamt 26 (Stand: September 2017).
Besonders viel hat sich in jüngster Zeit getan – wie das CRI bemerkt: So hätten allein in den letzten drei Jahren fünf neue Checkpoint-Inhibitoren, zwei Zelltherapien und ein bispezifischer Antikörper die Zulassung erhalten. Die meisten von ihnen würden sich gegen fortgeschrittene Krebserkrankungen, die nicht auf Standardtherapien ansprechen, richten. „17 Krebserkrankungen haben mindestens eine zugelassene Immuntherapie als Behandlungsoption“, hebt das CRI hervor.
Krebsimmuntherapie als neue Säule
„Grundsätzlich sehen wir bereits heute, dass sich die Krebsimmuntherapie bei einigen Tumoren als eine neue Säule etabliert, die die Therapielandschaft entscheidend erweitert“, bestätigt Dr. Andreas Chlistalla, Medizinischer Direktor im Bereich Hämatologie und Onkologie bei der Roche Pharma AG. Er erklärt es an einem Beispiel: „Für Patienten mit fortgeschrittenem Blasenkrebs wurde über Jahrzehnte nahezu kein medikamentöser Fortschritt mehr erzielt.“ Das habe sich erst ab 2016 mit der US-amerikanischen Zulassung einer Krebsimmuntherapie geändert. Inzwischen seien – auch in der EU – mehrere solcher Therapien für diese Tumorart verfügbar. „Das ist natürlich ein enormer Fortschritt für die Prognose und Lebensqualität der betroffenen Patienten“, erklärt er.
Ähnlich sieht es Dr. Ulrike Haus, Medizinische Direktorin im Bereich Onkologie bei der Novartis Pharma GmbH: „Neben der Operation, der Radio- und Chemotherapie sowie der zielgerichteten Therapie sind Immunonkologika die fünfte Säule an möglichen Therapieoptionen. Diese sollen so angewendet und in sinnvoller Weise miteinander kombiniert werden, um für die Patienten einen Unterschied zu machen.“ Die Hoffnung der Forscher ist, dass sich so in den einzelnen Krankheitsbereichen neue Möglichkeiten eröffnen. Das Ziel: „die Behandlung von Krebs voranzutreiben – bis hin zu Heilung“, sagt Haus.
940 Immunonkologika in der klinischen Phase der Entwicklung
Immunonkologika sind ein Baustein auf dem Weg zu diesem Ziel. Anders als andere Therapien greifen sie die Tumorzellen nicht direkt an – sondern aktivieren das körpereigene Immunsystem, damit es selbst gegen diese vorgehen kann. „Wir sind unglaublich glücklich, so große Fortschritte im Sinne der Patienten zu sehen“, sagt Aiman Shalabi, einer der Autoren des CRI-Berichts. Er ist sich sicher: „Die Wissenschaft wird sich weiterhin rasant entwickeln.“
Sein Optimismus ist nicht ohne Grund: Weltweit werden momentan über 2.000 Immunonkologika gegen verschiedene Krebserkrankungen entwickelt. 940 davon befinden sich bereits in der klinischen Erprobung: Sie werden in mehr als 3.000 aktiven klinischen Studien, in die fast 600.000 Patienten eingeschlossen werden sollen, geprüft. „Diese immunonkologischen Studien decken alle geläufigen und die Mehrheit der weniger bekannten Krebserkrankungen ab“, heißt es in dem Bericht dazu. „Tagtäglich wird auf hochrangigen Konferenzen und in Fachzeitschriften von vielversprechenden Ergebnissen berichtet.“
Krebsimpfstoffe und Zelltherapien
Das CRI teilt die Arzneimittelkandidaten, die im Bereich Immunonkologie entwickelt werden, in sechs Kategorien ein. Mit dabei: sogenannte onkolytische Viren, bispezifische Antikörper und andere Formen der Immunmodulation. Absoluter Spitzenreiter sind Impfstoffe: 344 Stück befinden sich weltweit in der klinischen Entwicklung – dicht gefolgt von sogenannten Zelltherapien (224). Zu ihnen gehört zum Beispiel die CAR-T-Technologie, mit Hilfe derer die menschlichen T-Zellen gentechnisch so verändert werden, dass sie den Tumor zerstören können. Die ersten beiden Vertreter dieser neuartigen Therapie erhielten im vergangenen Jahr von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA die Zulassung.
Insgesamt sei das Feld der Immunonkologie „äußerst vielversprechend“. Es „hat das Potential viele Durchbrüche zu erzielen – und damit den Standard der Behandlung bei vielen Krebserkrankungen zu verändern“, heißt es in dem Bericht. Allerdings sei es auch „sehr überfüllt, fragmentiert und unkoordiniert”. Denn: Die 940 Wirkstoffe in der klinischen Studien-Phase gehören 462 verschiedenen Unternehmen oder akademischen Instituten. Und: Viele von ihnen konzentrieren sich auf die gleichen Angriffspunkte einer Krebserkrankung; es gebe viele Dopplungen, so das CRI.
Cross-sektorale Zusammenarbeit gefordert
So würden beispielsweise 114 Arzneimittelkandidaten auf unspezifische tumorassoziierte Antigene (TAA), also auf denselben Angriffspunkt, abzielen. „Diese Zahl wirft die Frage nach einem effizienten Ressourceneinsatz […] auf. Die Konzentration der immunonkologischen Entwicklung […] auf ein paar wenige Angriffspunkte […] könnte zukünftige Innovationen abwürgen.“ Die Organisation fordert daher eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Pharmaindustrie, Wissenschaftlern, Forschungseinrichtungen und Behörden. Das könnte Ressourcen sparen – und „dabei helfen, den Fortschritt, um Heilmittel für diese tödliche Erkrankung zu finden, zu beschleunigen.“
Dr. Chlistalla ist optimistisch: Zwar stehe man „mit den Krebsimmuntherapien […] erst am Beginn einer neuen Ära in der Onkologie.“ Doch: „Wir lernen jeden Tag dazu und verstehen immer besser, wie Tumoren die natürlichen Abwehrmechanismen unseres Immunsystems aushebeln. Das sind spannende Zeiten für die Forschung – vor allem aber ist es eine große Chance für die künftige Behandlung von Patienten mit Krebs.“