„Weißes Blut“ – So heißt „Leukämie“ übersetzt. Der Hintergrund: Bei diesem Blutkrebs entstehen im Knochenmark zu viele, meist entartete und somit funktionsunfähige weiße Blutzellen und verdrängen andere Bestandteile des Blutes. Es gibt verschiedene Erscheinungsformen dieser bösartigen Erkrankung: Die akute myeloische Leukämie (AML) ist diejenige mit den geringsten Fünf-Jahres-Überlebensraten – und macht bei Erwachsenen etwa ein Viertel aller Leukämien weltweit aus. Sie gilt als selten: 3,7 von 100.000 Einwohnern erkranken pro Jahr neu an ihr.
Mutationen können bei der AML an unterschiedlichen Genen auftauchen. Bei fast einem Drittel der Patienten ist das FLT3-Gen betroffen. Dies geht laut diverser Studien mit einer schlechten Prognose einher. Seit über 25 Jahren behandelt man Menschen mit dieser Indikation mit einer intensiven Chemotherapie. Vergangenes Jahr dann die Meldung: Mit Midostaurin steht zum ersten Mal eine zielgerichtete Therapie gegen die neu diagnostizierte FLT3-positive AML zur Verfügung. Solche targeted therapies richten sich – anders als eine Chemotherapie – ganz gezielt gegen Tumoreigenschaften, die das Wachstum der Krebszellen fördern.
Grundlage für die Zulassung war eine Studie, in der Midostaurin in Kombination mit einer Chemotherapie im Vergleich zum Placebo-Arm zu einer 22-prozentigen Reduktion des Sterberisikos führte. Das mediane Gesamtüberleben verbesserte sich von 25,6 Monate auf 74,7 Monate. Doch das neue Präparat kann noch mehr: Zugelassen ist es auch als erste Therapie in der EU gegen drei Formen der fortgeschrittenen systemischen Mastozytose, eine seltene Erkrankung des blutbildenden Systems.
Hoffnung für SMA-Patienten
Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist die häufigste genetisch bedingte Todesursache bei Kleinkindern und Säuglingen. Trotzdem ist statistisch gesehen nur eines unter 10.000 Neugeborenen von ihr betroffen. Bei einer SMA bauen zunehmend bestimmte Nervenzellen, die die Muskeln steuern, ab. Letztendlich führt das zu einer fortschreitenden Schwäche und „Atrophie“ (Schwund) der abhängigen Muskulatur. Das Heben des Kopfes, das freie Sitzen, Stehen oder gar Gehen: Dies zu erlernen, ist den betroffenen Kleinkindern in der Regel unmöglich. Patienten der schwersten Form der SMA (Typ 1) werden durchschnittlich zwischen 18 und 24 Monate alt; sie sterben zum Beispiel, weil die Atemmuskulatur versagt.
Der zugrundeliegende Gendefekt wurde vor über 20 Jahren entdeckt. Und doch hat es lange gedauert, bis aus diesem Wissen ein erstes Medikament entstand: Nusinersen ist seit 2017 von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen. Seitdem gibt es erstmals Hoffnung für die Patienten und ihre Angehörigen: Denn schon in den klinischen Studien verbesserten sich durch den Wirkstoff nicht nur die motorischen Funktionen – auch die Überlebenschancen erhöhten sich. „Das grenzt fast an ein Wunder. Dass ein Kleinkind mit einer SMA Typ 1 jemals zum Sitzen, geschweige denn zum selbständigen Gehen kommen würde, hätte bis vor kurzem niemand für möglich gehalten“, erklärte Prof. Dr. Maggie C. Walter, Fachärztin für Neurologie, gegenüber der Frankfurter Allgemeinen.
Durchbruch bei der Castleman-Krankheit
Ein ähnlicher Durchbruch gelang ein paar Jahre zuvor auch für Patienten mit der Multizentrischen Castleman-Krankheit (MCD). Dabei handelt es sich um eine seltene Blutkrankheit, die mit einer Überproduktion einer bestimmten Form von weißen Blutkörperchen einhergeht. Das Ergebnis sind vergrößerte Lymphknoten. MCD-Betroffene sterben häufig an Infektionen, Multisystem-Organversagen oder Krebs. 2014 erhielt Siltuximab als erstes Arzneimittel für erwachsene MCD-Patienten in der Europäischen Union (EU) die Zulassung. In klinischen Studien konnte es die Tumorlast und Krankheitssymptome reduzieren.
Derartige Fortschritte sind unter anderem einer Orphan Drug-Regelung (EG-Verordnung 141/2000), die im Jahr 2000 in der EU implementiert wurde, zu verdanken. Sie hat Anreize geschafft, die notwendig sind, um Arzneimittel für hochkomplexe Krankheitsbilder mit geringen Patientenzahlen entwickeln zu können. Zu verdanken sind diese Fortschritte aber auch einem zunehmenden Wissen, das Forscher über seltene Leiden gewinnen. Denn es gilt: Umso besser die Wissenschaftler die genetischen Grundlagen einer Krankheit verstehen – desto gezielter können sie Wirkstoffe entwickeln, die sie angreifen und behandeln.
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) erwartet, dass im Jahr 2018 mindestens 30 Medikamente mit neuem Wirkstoff eingeführt werden; rund ein Drittel davon dürften Orphan Drugs sein. Und das ist auch gut so: Für 95 Prozent der weltweit rund 8.000 bekannten seltenen Erkrankungen steht derzeit noch keine Behandlungsoption zur Verfügung, wie der vfa und der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in einer gemeinsamen Pressemitteilung meldeten.