Die Ausgaben für Arzneimittel steigen. Das kann niemanden überraschen, wenn man bedenkt, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben. Pro Jahr kommen rund 30 neue Medikamente auf den Markt, die Patienten neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. Auch waren noch nie so viele Medikamente gegen seltene Erkrankungen, so genannte Orphan Drugs, verfügbar, die nur für sehr kleine Patientengruppen zugelassen und dementsprechend teuer sind. „Die Arzneimittelausgaben steigen weiterhin, aber erwartungsgemäß immer moderater“. So kommentierte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes Fritz Becker die Arzneimittelausgaben des Jahres 2017. „Wir haben mehr Versicherte und immer mehr ältere Patienten. Das trägt ebenso wie der medizinische Fortschritt zu den Kosten bei. Wenn mehr Patienten länger und besser leben können, darf man keine rückläufigen Ausgaben erwarten.“
Trotzdem grassieren immer wieder Begriffe wie „Arzneimittelkostenexplosion“ oder – als Variante davon – die These, dass die Pharmaindustrie die Sozialkassen plündere. Der Blick auf die Fakten zeigt ein anderes Bild:
- Die Linke beklagt, dass die Arzneimittelausgaben der GKV zwischen 2007 und 2016 um 33,7 Prozent zugelegt haben. Im gleichen Zeitraum sind die Gesamtausgaben der Krankenkassen allerdings um 44,8 Prozent gestiegen. Die Aufwendungen, mit denen die Kassen die Medikamente ihrer Versicherten bezahlen, wachsen im Vergleich zu den Gesamtkosten unterdurchschnittlich.
- Auch die Ausgaben für neue, seit 2011 auf den Markt gekommene Medikamente sind gestiegen – und das bei gesunkenen Verordnungszahlen, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken hervorgeht. Die Klage über dahinterliegende Preissteigerungen verwundert aber insofern, als dass die in Deutschland nach Abschluss des Nutzenbewertungsverfahrens geltenden Preise nach Verhandlungen zwischen dem Unternehmen und dem Spitzengremium der GKV festgelegt werden. Alle Preise der seit 2011 auf den Markt gekommenen neuen Medikamente sind das Ergebnis einer Verhandlungslösung.
- Richtig ist, dass die Preise innovativer Medikamente gestiegen sind. Das ist aber nicht Ausdruck einer allgemeinen Preisentwicklung, sondern Beleg dafür, dass Medikamente immer gezielter eingesetzt werden können. Es zeigt den Trend hin zu einer personalisierten Medizin. Auch werden immer mehr Medikamente gegen seltene Erkrankungen zugelassen, die per Definition nur für einen sehr kleinen Kreis von Patienten in Frage kommen. Das Patienten- und damit das Umsatzpotenzial eines Medikamentes ist ein ganz entscheidender Faktor bei der Preisfindung.
- Die Diskussion über den immer wieder vorhergesagten Untergang der GKV steht in einem merkwürdigen Kontrast zu den immer weiter steigenden Finanzpolstern. Die GKV hat ihre Überschüsse im vergangenen Jahr wieder steigern können (auf 19,2 Mrd. €), wie das Bundesgesundheitsministerium schreibt. Auch der Gesundheitsfonds ist liquide – auf diesem Konto liegen weitere 9,1 Milliarden Euro. Um den Gesamtbetrag des Finanzpolsters (28,3 Mrd. €) einmal einzuordnen: Das ist deutlich mehr, als die pharmazeutische Industrie mit der GKV im vergangenen Jahr erlöst hat. Denn die Mehrwertsteuer sowie die Kosten für pharmazeutischen Großhandel und Apotheken sorgen dafür, dass nur rund 65 Prozent der GKV-Ausgaben für Arzneimittel auch der Industrie zugutekommen. Der deutsche Fiskus ist laut ABDA einer von nur dreien in Europa, der sich einen vollen Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel gönnt.
- Wie das Beratungsunternehmen IQVIA nachgezählt hat, haben die Einsparungen der GKV durch Herstellerabschläge einen Rekordwert erreicht. Rabatte aus Erstattungsbeträgen, dem siebenprozentigen Zwangsrabatt auf jede abgegebene Packung, Generika-Rabatt und das seit Jahren geltende Preismoratorium summieren sich auf rund 3,3 Milliarden Euro. Kommen noch die Rabattverträge hinzu, die die Kassen mit den Herstellern zusätzlich abschließen (rund 3,9 Mrd. €), ist der Beitrag der Arzneimittelhersteller zur Nachhaltigkeit der gesetzlichen Kassen 7,2 Milliarden Euro. Damit ließe sich immerhin schon ein Großteil der Netto-Verwaltungskosten der Krankenkassen (2017: fast 11 Mrd. €) bezahlen.
Zwei Drittel der im Rahmen des „AMNOG-Verfahrens“ ausgehandelten Erstattungsbeträge liegen mittlerweile unter dem europäischen Durchschnitt. Wenn in Deutschland Explosion ist, was ist dann in unseren Nachbarländern los? Tatsache ist: Seit Einführung des AMNOG sind die Ausgaben für Arzneimittel schwächer gestiegen als die GKV-Gesamtausgaben. Der Anteil der Arzneimittelausgaben an den Gesamtausgaben ist seit vielen Jahren konstant – er beträgt zurzeit 17 Prozent. Selbst diese Zahl ist noch viel zu hoch gegriffen, denn korrekterweise sind das die Ausgaben für Arzneimittel, die Ausgaben für die Arzneimitteldistribution sowie Milliarden für die Mehrwertsteuer. Deshalb betont der Pharmaverband BPI immer wieder: „Der Anteil der pharmazeutischen Industrie an den Arzneimittelausgaben im ambulanten Sektor macht seit Jahren konstant unter 10 Prozent der Gesamtausgaben für die Gesundheitsversorgung der Versicherten aus.“