Der Bundesrat hat jetzt einem umstrittenen Gesetz zugestimmt  das die Sicherheit in der Arzneimittelversorgung verbessern soll. Foto: CC0 (Stencil)
Der Bundesrat hat jetzt einem umstrittenen Gesetz zugestimmt das die Sicherheit in der Arzneimittelversorgung verbessern soll. Foto: CC0 (Stencil)

BPI fordert neue Rahmenbedingungen für Rabattverträge

Die längste Regierungsbildung in der Geschichte des Landes ist abgeschlossen – die Arbeit der Großen Koalition kann beginnen. Was erwartet die pharmazeutische Industrie von der neuen Regierung? Ein Interview mit Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), über das, was im Koalitionsvertrag steht und das, was seiner Meinung nach eigentlich drin stehen sollte.

Herr Gerbsch, ein Achtel der Legislaturperiode ist schon vorbei – nun kann endlich die Regierungsarbeit beginnen. Wie bewerten Sie das, was sich die Regierung vorgenommen hat? Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag?

Norbert Gerbsch: Nun, der Koalitionsvertrag ist ja erstmal nur Papier. Entscheidend ist, was die neue Regierung daraus macht. Immerhin finden Arzneimittel Erwähnung und die Notwendigkeit, die Bekämpfung zahlreicher Krankheitsbilder – besonders der Volkskrankheiten – voranzutreiben. Aber die Industrie, die diese Arzneimittel herstellt, vertreibt, entwickelt, voranbringt, findet genau in dieser zentralen Rolle keine Erwähnung. Im Vergleich zum letzten Koalitionsvertrag ist das ein Rückschritt. Dort war die Stärkung des Standortes Deutschland für Forschung und Produktion noch ein ausdrückliches Ziel, um die flächendeckende, innovative und sichere Arzneimittelversorgung zu gewährleisten.

Warum stört Sie das?

Gerbsch: Weil im Koalitionsvertrag einige Branchen Erwähnung finden, die für die Zukunftsfähigkeit des Landes als wichtig angesehen werden; etwa die Mikroelektronik, der Automobilbau, Luft- und Raumfahrt, sogar die maritime Wirtschaft ist erwähnt. Aber eine Industrie, die neue Medikamente entwickelt, bestehende verbessert, die den Bogen zwischen Grundlagenforschung und Patienten schlägt, deren sichere Medikamente die Selbstmedikation erst möglich machen, was in erheblichen Maße die Solidargemeinschaft entlastet; eine Industrie, deren Impfstoffe Krankheiten vermeiden helfen, die das Fundament unserer Arzneimittelversorgung sichert und damit für Millionen Menschen in unserem Land Gesundheit möglich macht, findet keine Erwähnung? Ich finde, darüber kann man sich schon wundern.

Vielleicht sollten Sie froh sein…

Gerbsch: Ja, das habe ich auch schon gehört – nach dem Motto, dass es die pharmazeutische Industrie nur dann in Koalitionsverträge schafft, wenn man Handlungsbedarf sieht, die Preise zu senken; also immer dann, wenn tiefe Einschnitte in funktionierende Geschäftsmodelle folgen, wie die Scharfschaltung der Rabattverträge oder die frühe Nutzenbewertung. Das ist eine merkwürdige Betrachtung der Dinge: Die pharmazeutische Industrie stellt eine der zentralen Säulen der Medizin zur Verfügung. Stellen Sie sich Deutschland ohne Arzneimittel vor und Sie kennen den Stellenwert der pharmazeutischen Industrie. Nichts gegen die maritime Wirtschaft, aber im Vergleich zu ihr halte ich den Stellenwert der pharmazeutischen Industrie für die Menschen in unserem Land für wesentlich maßgeblicher.

Was muss denn aus Ihrer Sicht in den verbleibenden dreieinhalb Jahre passieren?

Gerbsch: Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die wir – Koalitionsvertrag hin oder her – angehen werden. Das ist zum einen die Digitalisierung. Das ist ein Mega-Thema, aber auch ein schwieriges. Jeder weiß, dass die Digitalisierung sehr viel verändert. Jeder weiß, dass sie im vollen Gange ist. Was das aber für unsere Geschäftsmodelle bedeutet in drei, fünf, zehn Jahren, ist schwer vorhersagbar. Dabei sind große Umbrüche erkennbar: die Digitalisierung der Behandlung durch Fernbehandlungskonzepte, das eRezept, die elektronische Patientenakte, die Rolle des Versandhandels, digitaler Zusatznutzen für Patienten durch digital integrierte Behandlungskonzepte, in denen Medikamente und digitale Devices ein Gesamtpaket werden können mit dem Ziel, die Versorgung der Menschen zu verbessern. Dafür müssen die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ein großes Digitalisierungsthema dürfte der neue Gesundheitsminister ja bereits in der Schublade vorfinden.

Sie meinen das Arztinformationssystem (AIS)…

Gerbsch: Ja, es ist ein Erbe aus der vergangenen Legislaturperiode. Das AIS soll Ärztinnen und Ärzten die Ergebnisse der Nutzenbewertung zur Verfügung stellen. Das ist natürlich eine gute Idee. Die Frage ist aber: Wie wird es umgesetzt? Reden wir wirklich von einem Informationssystem oder soll damit nicht eher eine kostenorientierte Verordnung gesteuert werden? Wie wird das System damit umgehen, dass es Widersprüche gibt zwischen nutzenbewerteten Arzneimitteln á la AMNOG und dem, was z.B. medizinische Leitlinien sagen? Für eine gute, am individuellen Patienten orientierte ärztliche Therapie reichen AMNOG-Beschlüsse alleine nicht aus. Denn das AMNOG wurde gemacht, um Preise zu bilden. Wird das AIS nicht gut umgesetzt, steht nichts weniger als die Therapiefreiheit der Ärzte auf dem Spiel.

Begründen Sie das, bitte…

Gerbsch: Das AMNOG hat eine eingeschränkte Perspektive: Es vergleicht ein neues Medikament mit einer Vergleichstherapie, es vergleicht es nicht mit allen Therapieoptionen. Das Urteil „Kein Zusatznutzen“ bedeutet eben nicht, dass bewiesenermaßen kein Zusatznutzen vorhanden ist, sondern vielmehr – häufig aus methodischen Gründen – der Beleg fehlt oder noch fehlt. Deshalb müssen im AIS die AMNOG-Beschlüsse in toto bereitgestellt und dabei trotzdem praxistauglich gestaltet werden – das ist eine Herausforderung. Außerdem sollten Leitlinien – die die gesamten Therapieoptionen im Kontext betrachten – einbezogen werden. Nur dann verhindern wir, dass Medikamente, die für den Patienten eine wichtige Therapie darstellen können, nicht in der Versorgung ankommen, weil fälschlicherweise angenommen wird, sie hätten keinen Nutzen.

Kein Jahr mehr, dann muss die Arzneimittelfälschungsrichtlinie umgesetzt sein. Ab dem 9. Februar 2019 muss jede verschreibungspflichtige Arzneimittelpackung ein digitales Einzelstück und damit fälschungssicher sein. Ist die Industrie bei der Umsetzung im Plan?

Gerbsch: Der BPI ist als Partner von securPharm hier massiv engagiert. Wir werden sicherstellen, dass es funktioniert. Das klingt einfach, aber der Aufwand ist gigantisch: In Deutschland gehen jährlich rund 750 Millionen Packungen verschreibungspflichtiger Medikamente über den Tisch. Innerhalb von Millisekunden soll das System feststellen, ob der Apotheker, der eine Packung abgibt, keine Fälschung in der Hand hält. Die Industrie investiert hier massiv in den Schutz vor Fälschungen – pro Packlinie kommen da bis zu 300.000 Euro zusammen. Weite Teile der Branche haben aber unter Festbetrag, Rabattvertrag, Zwangsabschlägen und Preismoratorium keine Chance, die Investitions- und Betriebskosten weiterzugeben. Der Fälschungsschutz in der legalen Lieferkette wird weiter erhöht, die finanzielle Leistungskraft der Industrie geschwächt.

Welches Thema gehört noch auf die politische Agenda?

Gerbsch: Ein zentraler Punkt für uns ist die ständig zunehmende Regulierung. Die Industrie wird ja regulatorisch nicht nur im Bereich Fälschungsschutz zu hohen Investitionen veranlasst. Das gilt praktisch in allen Bereichen: Erhöhte Anforderungen an die Zulassung und deren Erhalt, steigende Gebühren, erhöhte Anforderungen an die Überwachung von Arzneimitteln nach der Zulassung – die Pharmakovigilanz und so weiter. Kein Sektor wächst innerhalb der Unternehmen so stark wie die Abteilungen, die sich mit diesen Themen befassen. Das ist Aufwand, der refinanziert werden muss. Vor dem Hintergrund des Preismoratoriums ist das inakzeptabel. Preismoratorium – das heißt eingefrorene Preise seit dem 1. August 2009 und bis zum 31.12.2022. Das sind dann dreizehn Jahre und fünf Monate. Wenn der regulatorische Aufwand steigt, wenn die Industrie investieren muss, dann muss sie das auch refinanzieren können. Ein Preismoratorium ist völlig inakzeptabel.

Immerhin, bei Ihrem Dauerbrennerthema Rabattverträge wurden ja bereits in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Verbot der Impfstoffverträge Weichen gestellt. Sind sie mit den Rahmenbedingungen jetzt zufrieden?

Gerbsch: Nein, die Rabattverträge bleiben ein Dauerbrenner. Und sie sind vom Thema Lieferengpässe nur schwer zu trennen. Das ist auch kein Wunder, der enorme Kosten- und Margendruck, den Rabattverträge auf den generischen Sektor zusätzlich ausüben, zwingt zu rigidem Kostenmanagement und hat dazu beigetragen, die Wirkstoffherstellung in vielen Bereichen aus Europa zu vertreiben. Zentrale Grundstoffe – z. B. bei Antibiotika – werden in ganz Europa nicht mehr hergestellt. Wir fordern deshalb, dass die Rahmenbedingungen geändert werden. Ausschreibungen sollten aus unserer Sicht erst möglich sein, wenn mindestens vier Anbieter im Markt sind, mindestens drei Anbieter sollten die Zuschläge bekommen und bei Arzneimitteln für lebensbedrohliche Krankheiten sollte auf Ausschreibungen ganz verzichtet werden.

Wie bewerten Sie die Chancen, das durchzusetzen?

Gerbsch: Das wird man sehen. Tatsache ist, dass ein ruinöser Wettbewerb besteht und das müssen wir ändern. Sonst bezahlen wir alle: mit Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln. Der oft einseitige Kostenfokus auf die pharmazeutische Industrie ist sowieso nicht nachvollziehbar: Von den Aufwendungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehen nach Abzug aller Rabatte netto nur rund acht Prozent an die Industrie. Gleichzeitig steigen die Rücklagen im GKV-System unaufhörlich, Ende 2017 auf den neuen Rekordstand von 28 Milliarden Euro bei Fonds und Kassen.

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