Mit neuen Medikamenten ist es wie auf einer schwierigen Bergtour: Je höher man kommt, umso dünner wird die Luft. Beim Bergsteigen wird dann jeder Schritt anstrengender und auch in der Forschung ist jeder neue Fortschritt mit mehr Aufwand verbunden als der vorige. „Wir sind in der pharmazeutischen Forschung mit schwer wiegenden Erkrankungen konfrontiert. Gerade hier ist der medizinische Bedarf immer noch groß, auch wenn sich viele Behandlungsoptionen in der Vergangenheit schon deutlich verbessert haben“, sagt Dr. Anke Mueller-Fahrnow, Leiterin der Funktion „Lead Discovery Berlin“ bei Bayer und Koordinatorin eines Forschungsprojektes, bei dem es letztlich darum geht, die Suche nach neuen Medikamente voranzubringen. Der Weg dorthin ist allerdings mühsam.
„K4DD – Kinetics for Drug Discovery“ – so lautet der Name des Projektes der europäischen „Innovative Medicines Initiative“ (IMI), das kürzlich nach fünfjähriger Forschungsarbeit abgeschlossen wurde. 20 Partner aus pharmazeutischer Industrie und akademischen Institutionen beschäftigten sich dabei mit der so genannten Bindungskinetik – also mit der Frage, wie lange und wie stark potenzielle Arzneimittelwirkstoffe sich an ihre Zielmoleküle binden. Die Antwort auf diese Frage kann bereits in einem frühen Forschungsstadium bei der Vorhersage helfen, ob und wie lange ein potenzielles neues Arzneimittel wirksam sein könnte.
Bislang untersuchten Forscher vor allem, wie stark ein potenzielles Medikament an sein „Target“ bindet – also an das Enzym oder den Rezeptor, den es beeinflussen soll. Bei K4DD ging es dagegen nicht um die Frage, wie stark, sondern wie lange sich ein Wirkstoff an sein Ziel bindet. „Es kann einen großen Unterschied machen, ob die Kinetik sehr langsam oder sehr schnell ist“, sagt Anke Mueller-Fahrnow, „ob eine Substanz also sehr schnell wieder abgebaut und verstoffwechselt wird, oder ob sie im Körper lange stabil bleibt.“
Schnellere Testsysteme
Zu Beginn seiner Arbeit stand das K4DD-Konsortium vor einem grundsätzlichen Problem: Es gab im Wesentlichen nur zwei Methoden, um die Bindungskinetik zu untersuchen. „Beide waren sehr aufwändig“, erklärt Anke Mueller-Fahrnow, „bei der ersten Methode musste man eine Vergleichssubstanz radioaktiv markieren und dann mühsam wieder auswaschen. Die andere Methode funktionierte nur mit sehr aufwändigen und teuren Geräten und Materialien.“ Erstes und vorrangiges K4DD-Ziel war es deshalb, bessere Testsysteme zu entwickeln, mit denen sich die Bindungskinetik möglichst vieler Substanzen möglichst schnell untersuchen ließ.
Tatsächlich gelang es mehreren Forscherteams – in verschiedenen Laboren und mit unterschiedlichen Methoden – so genannte Assays zu entwickeln, molekularbiologische Testsysteme zur Bindungskinetik. „Inzwischen gibt es eine Reihe von Geräten, die deutlich präzisere Ergebnisse liefern“, so Anke Mueller-Fahrnow. Erfreulich war für die Forscher auch die große Vergleichbarkeit der Ergebnisse, unabhängig vom jeweiligen Assay. Denn erst, wenn sich möglichst viele Daten vergleichen lassen, wird es möglich, „Vorhersagen zu treffen und gezielt Substanzen mit einer gewünschten Bindungskinetik zu synthetisieren.“
Daten für alle Forscher zugänglich
Bei K4DD ging es also auch darum, viele Daten zu erzeugen und miteinander zu vergleichen. Während der Projektphase wurden diese Informationen in einer eigenen K4DD-Datenbank gespeichert. „Jetzt aber“, sagt die K4DD-Koordinatorin, „sind wir gerade dabei, unsere Ergebnisse in die ChEMBL-Datenbank zu überführen, eine der weltgrößten chemischen Datenbanken.“ Damit stehen die bei K4DD erzeugten Daten allen Forschern frei zur Verfügung, die Vorhersagen zur Bindungskinetik möglicher Wirkstoffe treffen wollen.
Insgesamt waren an K4DD rund 40 Wissenschaftler und Doktoranden beteiligt. „Das Besondere dabei war, dass wir uns schon sehr früh darauf geeinigt haben, alle Doktoranden zweimal jährlich für ein paar Tage zusammen zu bringen“, sagt Anke Mueller-Fahrnow, „daneben gab es ein aktives Austauschprogramm – so haben zwei Mitarbeiter von anderen Partnern eine Zeitlang an einem K4DD-Projekt hier bei Bayer mitgearbeitet.“ Letztlich hätten so alle Beteiligten viel voneinander gelernt und von dem Projekt profitiert.
Gilt das auch für die Patienten? Können sie nach dem Abschluss von K4DD tatsächlich damit rechnen, dass neue und bessere Medikamente künftig schneller entwickelt werden? „Ich würde gerne sagen, ja, es gibt in dieser Hinsicht einen messbaren Einfluss“, sagt Anke Mueller-Fahrnow, „aber ganz so weit sind wir noch nicht. Was ich aber sagen kann: Die Erkenntnisse aus K4DD helfen uns bei einzelnen Projekten, besser zu entscheiden und unsere Ressourcen klüger einzusetzen.“ Insbesondere in der „frühen Phase der Wirkstoff-Findung spielt nämlich die Bindungskinetik eine wichtige Rolle und kann dabei helfen, die Substanzauswahl zu optimieren.“