Am 30. Mai ist Welt-MS-Tag. Foto: © iStock.com/Christoph Burgstedt
Am 30. Mai ist Welt-MS-Tag. Foto: © iStock.com/Christoph Burgstedt

Multiple Sklerose: Eine Krankheit im Wandel

Die Zahl der Menschen mit der Diagnose Multiple Sklerose (MS) nimmt in Industrieländern stetig zu. Allein in Deutschland sind es 240.000 – eine Verdopplung in den vergangenen 40 Jahren. Die neurologische Erkrankung ist zwar immer besser therapier-, aber immer noch nicht heilbar. Die Behandlung der MS hat sich seit den 1990er Jahren stark verändert. Die Gründe: Bessere und frühere Diagnosen und Medikamente, die den Krankheitsverlauf verändern können. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) begeht den diesjährigen Welt-MS-Tag am 30. Mai unter dem Motto „Unheilbar optimistisch“.

Eine jüngst veröffentlichte Langzeitbeobachtung aus Dänemark bestätigt einen Trend, den das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) im Dezember 2017 für Deutschland veröffentlicht hatte: Die Prävalenz,  also die Gesamtzahl der Fälle, nimmt in Industrieländern zu. Ein Teil der Zunahme dürfte auf bessere Diagnose-Möglichkeiten zurückzuführen sein. MS-Patienten werden heute früher diagnostiziert und sie leben – dank besserer Medikamente – länger. Aber die Daten aus Dänemark zeigen auch, dass die Inzidenz  steigt. Dort hat sich die Anzahl der Neuerkrankungen im Laufe von sechs Jahrzehnten fast verdoppelt. Der Anstieg war besonders ausgeprägt bei Frauen – hier verdoppelte sich die Zahl; bei älteren Frauen vervierfachte sie sich sogar. Bei Männern ist der Anstieg der Neuerkrankungen „moderat“, wie es in der Studie heißt.

Gründe für die Zunahme der MS: Viele Vermutungen

Mögliche Gründe für die Zunahme gibt es viele. Neben besserer Diagnose und Therapie dürfte die zunehmende Lebenserwartung eine Rolle spielen. Die Wissenschaftler der dänischen Langzeitbeobachtung sehen auch andere Ursachen: „Änderungen im Lebensstil der weiblichen Bevölkerung, wie beispielsweise weniger Geburten, häufigeres Auftreten von Fettleibigkeit und vermehrtes Rauchen könnten eine Rolle spielen“, schreiben sie. Es sind wiederum Daten aus Dänemark, die einen Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der Wirksamkeit von interferonhaltigen Therapien herstellen: Die Zahl der Krankheitsschübe war bei Rauchern deutlich höher – der Tabakkonsum  vermindert offenbar die Wirksamkeit der Medikamente. Auch Vitamin D-Mangel spielt eine Rolle: Daten aus einer finnischen Untersuchung deuten darauf hin, dass Frauen mit Vitamin D-Mangel 60 Prozent häufiger an MS erkranken als diejenigen, deren Werte im Normalbereich liegen.

© Jonas Glaubitz/Fotolia
© Jonas Glaubitz/Fotolia

Die MS ist eine bis heute unheilbare, chronische Erkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem Gewebe in Gehirn und Rückenmark zerstört. Sie ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Betroffene sind bei Diagnose zwischen 20 und 40 Jahre alt. Da mit dem Fortschreiten der Erkrankung der Behinderungsgrad von Menschen im noch erwerbsfähigen Alter zunimmt, ist die MS von hoher gesamtgesellschaftlicher Kostenrelevanz. Entscheidend für den Behandlungserfolg ist eine frühe Diagnose. Die Studie „Brain Health: Time Matters in MS“ bekräftigt die „zunehmende Evidenz“, dass sich eine frühe Behandlung mit so genannten krankheitsverändernden Therapien (disease modifying therapies, DMT) positiv auf den langfristigen Therapieerfolg auswirkt.

Frühe Intervention lohnt sich

Bis in die Mitte der 90er Jahre verursachten Krankenhausaufenthalte bis zu 90 Prozent der krankheitsbedingten Gesundheitsausgaben – das geht aus Daten aus Großbritannien und Schweden hervor. Dann kam die Einführung der ersten DMTs; mit den Beta-Interferonen IFN-beta-1b und IFN-beta-1a standen neue Substanzklassen zur Verfügung, die erstmals das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen konnten. Heute steht ein ganzes Arsenal an Wirkstoffen zur Verfügung – darunter auch monoklonale Antikörper. Dies und die bessere Diagnostik hat die Art und Weise, wie MS behandelt wird, stark verändert. Heute entstehen bis zu 90 Prozent der Gesundheitsausgaben im ambulanten Bereich. Ziel der Behandlung ist: das Fortschreiten der Erkrankung, die Zahl der Schübe zu verringern.

Um das zu erreichen, fordern europäische MS-Experten in der Brain Health-Untersuchung die dringende Umsetzung einer „therapeutischen Strategie, die die beste Chance bietet, Gewebe von Gehirn und Rückenmark zu erhalten“, denn: „Frühe Intervention ist überlebenswichtig.“ Aus ihrer Sicht sollte erreicht werden, dass die Patienten schnell diagnostiziert und an den entsprechenden Spezialisten (Neurologen) überwiesen werden – auch damit sie frühzeitig mit verlaufsmodulierenden Arzneimitteln behandelt werden können. Die Umsetzung dieser Strategie dürfte letztlich unter dem Gesichtspunkt der gesamtgesellschaftlichen Kosten interessant sein, wie die Grafik zeigt. Die Kosten für die Behandlung von MS-Patienten wird für ganz Europa auf 15,5 Milliarden Euro geschätzt; die jährlichen Kosten pro Patient sind höher als bei Asthma oder Diabetes. Ein Patient in einem frühen Stadium der Erkrankung (leichte MS) verursacht Kosten von insgesamt rund 31.000 Euro im Jahr. Dabei machen die Ausgaben für Medikamente den größten Teil aus (46%). Ein Patient mit einem höheren Behinderungsgrad (mittelschwere MS) schlägt bereits mit 61.000 € zu Buche. Der größte Kostenblock sind hier die indirekten Kosten – etwa durch Krankheitsausfälle und Frühverrentung. Medikamente machen in diesem Stadium etwas mehr als ein Zehntel (13%) der Kosten aus. Dies alles weist darauf hin, dass die Strategie der frühen Intervention ein sich gesamtgesellschaftlich lohnendes Ziel sein könnte.

Trotz der großen wissenschaftlichen Herausforderungen, die die Neurologie mit sich bringt, bleibt die Erforschung neuer Medikamente in diesem Bereich ein Schwerpunkt der forschenden Industrie. Laut des US-amerikanischen Verbandes PhRMA befinden sich zurzeit etwa 500 Medikamente gegen neurologische Erkrankungen in den Pipelines – davon allein 27 neue Wirkstoffkandidaten gegen MS in den klinischen Phasen I bis III.

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: