„Mischpreise“ gibt es schon seit Jahren. Der Ausgangspunkt ist folgender: Seit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) soll sich der Preis eines jeden neuen Arzneimittels an seinem Zusatznutzen gegenüber einer bereits verfügbaren Therapie orientieren. Ein Medikament kann jedoch mehrere, ungleiche Zusatznutzen-Bewertungen vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bekommen – etwa, wenn es für verschiedene Indikationen zugelassen ist; oder wenn es innerhalb einer Indikation in unterschiedlichen Patientengruppen (Subgruppen) begutachtet wurde.
In solchen Fällen verhandeln der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie die Pharmahersteller einen Mischpreis. Er soll die verschiedenen Zusatznutzenniveaus ausgleichen und für das Arzneimittel über alle Patientengruppen hinweg gelten. Das ist praktikabel – und schützt vor überbordender Bürokratie. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat dieses Verfahren vergangenes Jahr in einem Prozess um ein Antidiabetikum in Frage gestellt: Ein Mischpreis könne zu „nicht nutzenadäquaten Preisverzerrungen“ führen – für Patientensubgruppen mit Zusatznutzen sei der Preis demnach zu niedrig; für jene ohne Zusatznutzen zu hoch.
Gebannt warten alle Akteure auf das Bundessozialgericht (BSG), das in dem Rechtsstreit die endgültige Entscheidung treffen wird. „Es ist derzeit davon auszugehen, dass die vom LSG rechtlich in Frage gestellte Mischpreisbildung frühestens mit Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) (voraussichtlich) im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2018 wieder durch den Gesetzgeber aufgegriffen werden wird“, heißt es im AMNOG-Report der DAK Gesundheit dazu. Bis dahin herrscht allgemeine Verunsicherung – gerade auch bei den Ärzten.
Jedes vierte AMNOG-Präparat hat einen Mischpreis
Bis Ende 2017 gab es insgesamt 49 nutzenbewertete Wirkstoffe, für die ein Mischpreis ausgehandelt werden musste. Das sind 26 Prozent aller AMNOG-Präparate; insgesamt 229 Patientensubgruppen liegen diesen Mischpreisen zugrunde, schreiben Prof. Dr. Wolfgang Greiner und Julian Witte (Universität Bielefeld), die Autoren des AMNOG-Reports der DAK Gesundheit.
Sie versichern: „Die derzeitige Praxis der Mischpreisbildung ist nicht alternativlos.“ Auf dem Hauptstadtkongress diskutierten mehrere Experten die zur Wahl stehenden Lösungsmöglichkeiten. „Was ich auf keinen Fall möchte, ist, dass wir zu einer Situation kommen, wo […] von Quartal zu Quartal der Mischpreis zur Disposition steht – oder wo wir ein bürokratisches Monstrum schaffen mit einer permanenten Überprüfung des Mischpreises. Also wenn, dann müsste es eine Regelung geben, die relativ einfach ist“, erklärte Andreas Storm von der DAK Gesundheit. Nur welche ist das?
Wege aus dem „Mischpreisdilemma“
Eine Möglichkeit bietet das Modell der indikationsspezifischen Preise. Der GKV-Spitzenverband hatte es bereits 2016 unter dem Titel „nutzenorientierte Erstattung“ vorgeschlagen. Demnach soll für jede Patientensubgruppe abhängig von ihrer Zusatznutzenbewertung ein eigener Erstattungsbetrag vereinbart werden. Ein Medikament hätte dann also je nach genauem Einsatzgebiet unterschiedliche Preise. „Theoretisch ist das ja ein Vorschlag, der optimal ist“, meint Storm. Seine Betonung liegt auf „theoretisch“.
Wolfgang van den Bergh, Chefredakteur der Ärzte Zeitung, weist etwa auf die Auswirkungen auf die Praxis hin: „Dann kommt es ja auf eine trennscharfe Diagnostik an. […] Ich weiß nicht, wie Sie dann noch mehr als drei Patienten pro Stunde durchkriegen wollen.“ Und auch Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), sieht einige Nachteile: „Es wäre ein gefundenes Fressen für Parallelhändler, zu dem billigsten Preis auf den Markt […] Arzneimittel hier aufzukaufen und zu exportieren.“ Greiner und Witte weisen zudem auf die Manipulationsanfälligkeit des Konzeptes hin. Offenbar sehen sie es kritisch, dass Ärzte mit ihrer Hoheit über die Wahl der Indikation bzw. Subgruppe eines Patienten letztlich den Preis des Medikaments bestimmen.
Teilverordnungsausschlüsse: „keine Alternative“
Auch die Möglichkeit der Teilverordnungsausschlüsse ist laut Fischer „überhaupt keine Alternative“. Gemäß diesem Modell würden Verordnungen eines Arzneimittels in Subgruppen mit schlechter Zusatznutzen-Bewertung grundsätzlich ausgeschlossen. „Wir haben bei der Mehrheit der Ergebnisse keinen belegten Zusatznutzen aus formalen Gründen, weil bestimmte Daten nicht vorgelegt werden können, die gefordert werden“, erklärt die vfa-Vertreterin. Man dürfe also nicht davon ableiten, dass das jeweilige Produkt keine medizinische Relevanz habe. Greiner und Witte verdeutlichen: „Für 22 der 54 bis Ende 2017 nutzenbewerteten Onkologika wurde […] ein Mischpreis vereinbart. Würde man nun die Teilanwendungsgebiete ohne belegten Zusatznutzen aus der Verordnungsfähigkeit ausschließen, stünden diese 22 Produkte für 48 Prozent der potentiell in Frage kommenden Patienten […] nicht mehr zur Verfügung.“
Ein anderer Lösungsansatz ist die „Modifikation“ des Mischpreises. Ein Problem des aktuellen Verfahrens ist laut Julian Witte, dass oft nicht eindeutig klar ist, wie groß die einzelnen Patientensubgruppen tatsächlich sind. Diese Unsicherheit transportiert sich unweigerlich in die Kalkulation des Mischpreises. Die Gefahr: Mischpreise bilden nicht das reale Versorgungsgeschehen ab – zulasten der GKV oder des pharmazeutischen Herstellers.
Der AMNOG-Report der DAK Gesundheit schlägt daher das Abschließen von Preis-Volumen-Verträgen vor, die eine mengenbezogene Staffelung des Erstattungsbetrages vorsehen: Bei Überschreitung eines vorher festgelegten Umsatzvolumens könnten darin drastische Preissenkungen für künftige Verordnungen vereinbart sein. Eine andere Möglichkeit wäre es, reale Versorgungsdaten zu erheben, die kenntlich machen, wie viele Verordnungen in welcher Patientensubgruppe wirklich getätigt wurden. So könnte laut Storm zum Beispiel der zuvor verhandelte Mischpreis bis zu einem gewissen Zeitpunkt gelten und dann durch einen neuen Mischpreis ersetzt werden. Allerdings ist das Erheben realer Versorgungsdaten u.a. mit einem hohen Aufwand seitens der Ärzte verbunden.
Mischpreis als Behelfslösung geeignet
„Der […] Mischpreis ist als Behelfslösung […] grundsätzlich geeignet und findet auch nach dem LSG-Beschluss derzeit weiter Anwendung“, resümieren Greiner und Witte. Kurzfristig werde sich das nicht ändern, da alle Mischpreisalternativen „Konkretisierungen des Gesetzgebers“ erfordern. Storm spekuliert: Man werde „pragmatischerweise, auch wenn es nicht formschön ist“, eine Weile die Dinge so belassen wie sie sind und „möglicherweise, um Rechtssicherheit zu schaffen“, mittelfristig mit der gesetzlichen Klarstellung festschreiben. Der Gesetzgeber müsste dafür die Legitimität der Mischpreisbildung durch einen Eintrag ins Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) bestätigen.
Doch noch heißt es abwarten – bis eine Entscheidung gefallen ist. Allerdings gilt es, nicht mehr allzu lange Unklarheit walten zu lassen; schließlich sorgt dies auch für Verunsicherung bei den Ärzten. Die Gesundheitsökonomen Dieter Cassel und Volker Ulrich betonen im „AMNOG-Check 2017“ des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) deshalb: Das „LSG-Verdikt der Mischpreise muss im Interesse einer verlässlichen Preisfindung und unbestreitbaren Geltung von Erstattungsbeträgen endlich vom Tisch.“