7 Millionen sollen es in Deutschland sein, weltweit rund 425 Millionen: Diabetes ist auf dem Vormarsch. Allein in Europa, wo die Zahl der Erkrankten nach Angaben des Diabetes-Atlas auf rund 58 Millionen geschätzt wird, rechnen Epidemiologen mit einem Zuwachs von 16 Prozent bis zum Jahr 2045. Längst wird im Zusammenhang mit der Krankheit von einer Pandemie gesprochen. Seit 1980 hat sich die Zahl der Diabetes-Patienten vervierfacht, teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit. „Die Welt ist zuckerkrank“, schrieb der Spiegel.
Diabetes mellitus, auch als Zuckerkrankheit bekannt, ist eine Stoffwechselerkrankung, die zu einem chronisch erhöhten Blutzuckerspiegel führt. Sie beruht auf einer Insulinresistenz der Körperzellen (Typ 2-Diabetes) oder einem Insulinmangel (Typ 1-Diabetes; bzw. bei Typ 2 in fortgeschrittenem Stadium). Insulin ist ein Hormon, das in den Stoffwechsel eingreift und den Blutzuckerspiegel senkt. Funktioniert das nicht, wird der Zucker mit dem Urin ausgeschieden. Typ 1 ist Folge einer Autoimmunreaktion, die die insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört – sie macht rund 10 bis 15 Prozent aller Diabetes-Fälle aus und entsteht meist schon im Kindesalter. Typ 2 ist eher eine Folge des Lebensstils: Neben einer erblichen Veranlagung und dem Alter spielen falsche und ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel und Übergewicht bei der Entstehung der Krankheit eine große Rolle.
Diabetes kann schwere Folgeerkrankungen mit sich bringen
Das Problem: Diabetes löst über die Jahre eine ganze Kaskade von Folgeerkrankungen aus, denn es schädigt Nerven, Nieren, Netzhaut und Blutgefäße. Diabetiker haben ein deutlich höheres Risiko für eine koronare Herzkrankheit, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Ihr Risiko, an einer Demenz zu erkranken, ist um den Faktor 2,5 höher als bei gesunden Menschen. Jüngste Daten zeigen, dass die diabetesbedingten Todesfälle in Deutschland höher sein dürften als bisher angenommen; demnach sind circa 21 Prozent aller Todesfälle in Deutschland auf die Zuckerkrankheit zurückzuführen.
Zur Behandlung des Diabetes kommen sowohl chemisch-synthetische Medikamente wie Metformin aber auch Biopharmazeutika zum Einsatz. Der Biotech-Report „Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2018“, von Boston Consulting Group und dem vfa bio gemeinsam herausgegeben, zählt insgesamt 27 zugelassene biotechnologisch hergestellte Medikamente auf. Der Report macht aber auch darauf aufmerksam, dass seit Einführung des Zusatznutzenbewertungsverfahrens (AMNOG-Verfahren) im Jahr 2011 viele neue Medikamente gegen Diabetes in Deutschland nicht oder nicht mehr verfügbar sind. Ein Fakt, der auch durch den Blick in den AMNOG-Report 2018 der Krankenkasse DAK Gesundheit bestätigt wird: „Auffällig ist […] nach wie vor der vergleichsweise hohe Anteil an Marktrücknahmen von Wirkstoffen zur Behandlung von Stoffwechselkrankheiten, insbesondere Typ 2-Diabetes“, heißt es darin.
Marktrücknahmen in Deutschland: Oft aus methodischen Streitigkeiten
Für Marktrücknahmen durch den Hersteller kann es verschiedene Gründe geben. Ein wichtiger Grund ist dabei die Nichtanerkennung eines Zusatznutzens. Aus Sicht der Hersteller erfolgt dieser bei den neuen Klassen der Antidiabetika vor allem aus methodischen, aus formellen Gründen. Hinzu kommt die Wahl der „zweckmäßigen Vergleichstherapie“, gegen das das neue Medikament auch im preislichen Vergleich antreten muss. Wenn die Fortschritte einer medikamentösen Innovation von den entscheidenden Organen wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht anerkannt werden und das Vergleichspräparat ein jahrzehntealtes Generikum ist, liegen zwischen den Preisvorstellungen der Krankenkassen und der Pharmaunternehmen Welten.
Marktrücknahmen kommen mittlerweile gar nicht mehr so selten vor: Jedes fünfte neue Medikament ist davon betroffen. Geradezu eine „AMNOG-Blüte“ ist in diesem Zusammenhang, dass ein Antidiabetikum aus der Klasse der SGLT-2-Inhibitoren bei getrennter Gabe von Metformin ein gewisser Zusatznutzen zugesprochen, in der Fixkombination aber verweigert wurde. Dazu der AMNOG-Report: „Es macht in der Arzneimittelwirkung keinen Unterschied, ob man die Wirkkomponenten zeitgleich getrennt oder en bloc herunterschluckt, wenn die Dosis identisch ist“. Was oft vergessen wird: Ein nicht belegter Zusatznutzen kann auch erfolgen, weil es zu der Fragestellung einfach keine Studie gibt. Und: Einen amtlich bestätigten Patientennutzen haben diese Medikamente auf jeden Fall – andernfalls wären sie nicht zugelassen worden.
Nicht zuletzt medizinische Fachgesellschaften hatten den Umgang von Diabetes im Rahmen der Nutzenbewertung kritisiert. Eine Kritik, die wohl langsam ankommt. Man wolle in Zukunft „nicht nur auf die Kurzzeiteffekte sehen, sondern vor allem darauf achten, was für die Patienten in der längeren Entwicklung der Erkrankung relevant ist. Wenn wir durch moderne Arzneimittel die Lebensqualität der Patienten erhöhen oder Folgeerkrankungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt verhindern, dann sind das absolut gute und richtige Investitionen“, war aus dem G-BA zu hören.
Richtig teuer: Die Folgeerkrankungen von Diabetes
Stichwort Investition: Nicht nur unbehandelte, auch schlecht eingestellte Diabetiker haben ein höheres Risiko für Folgeerkrankungen. Ein Fakt, der für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungsträger richtig teuer ist, wie die Grafik am Beispiel eines Mannes zwischen 60 und 69 Jahren zeigt. Während die Therapie mit rund 700 Euro zu Buche schlägt, entstehen allein im ersten Quartal nach dem Auftreten eines Schlaganfalles Kosten in Höhe von 9.800 Euro. Für einen nicht-tödlichen Herzinfarkt sind es 8.000 Euro. Versagen die Nieren und wird die Dialyse fällig, sind es Kosten in Höhen von 23.000 Euro. Fazit: Nicht und nicht ausreichende Behandlung von Diabetes ist richtig teuer. Die gesellschaftlichen Kosten für Diabetes werden schon heute auf rund 35 Milliarden Euro geschätzt. Dabei entfallen rund 20 Prozent auf die Therapie selbst.
Die Autoren des Biotechreports betonen deshalb: Die therapeutische Vielfalt ist Grundvoraussetzung für eine gute Versorgung. Auch angesichts der Prävalenz von Diabetes darf sie nicht die „Verlierer-Indikation“ des AMNOG bleiben, wie sie bereits bezeichnet wurde. Denn sonst verlieren die Patienten.