Zeitsprung in das Jahr 2040: Medizinstudenten lernen, dass die Jahre zwischen 2014 und 2017 entscheidend waren bei der Bekämpfung der Leberinfektion, die durch Hepatitis C-Viren ausgelöst wird. In schneller Folge kommt eine neue Generation von antiviral wirkenden Substanzen auf den Markt – Ergebnis von jahrelanger Forschung – und nimmt dem „stillen Killer“ seine Macht. Quasi über Nacht wird aus einer nur schlecht behandelbaren Krankheit mit geringen Heilungschancen eine Erkrankung, die sich eliminieren lässt. Ob die Medizinstudenten des Jahres 2040 auch lernen werden, dass Hepatitis C bereits eliminiert wurde, wissen wir nicht. Möglich wäre es – aber die Chancen stehen momentan nicht besonders gut.
Die neuen Medikamente schufen die pharmakologische Voraussetzung für die Eliminierung. Acht, manchmal auch zwölf Wochen eine Tablette am Tag, nebenwirkungsarm; pangenotypisch wirkend – mehr Quantensprung im Vergleich zu den bis 2014 üblichen interferon-basierten Therapien geht eigentlich nicht. Das macht das neue Regime auch in Gegenden einsetzbar, in denen Gesundheitssysteme nicht das Niveau mitteleuropäischer Länder haben. Doch bevor es ans Tabletten verteilen geht, müssen die gefunden werden, die infiziert sind. Und hier liegt das Kernproblem: Millionen von Menschen wissen gar nicht, dass sie das Virus in sich tragen. Allein bei Hepatitis C rechnet man mit weltweit 71 Millionen infizierten Menschen, von denen aber nur 20 Prozent ihren Status kennen. 400.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen einer gut behandelbaren, an einer heilbaren Krankheit. Das Wissen über die eigene Erkrankung als Voraussetzung für Heilungschancen: Deshalb lautet das Motto des diesjährigen Welt-Hepatitis-Tages am 28. Juli „Find the Missing Millions.“
Nicht mehr auf der Liste: Deutschland und Katar
Doch zurück zu Hepatitis C und der Situation in Deutschland. Auch hier ist die Dunkelziffer hoch. Schätzungen gehen von rund 250.000 Menschen aus, die hierzulande Hepatitis C infiziert sind. Und nach vielversprechenden Anfängen – Deutschland gehörte zu den Top-Ten-Ländern in Sachen Eliminierung – ist nun Ernüchterung eingetreten. Zwölf Länder gelten als „on track“, um das Eliminierungsziel 2030 zu erreichen: Australien, Ägypten, Frankreich, Georgien, Island, Japan, die Niederlande, Italien, Spanien, Schweiz, Großbritannien und die Mongolei. Deutschland ist nicht mehr dabei. Gestrichen werden Länder, die nicht ausreichend Patienten behandeln. In Deutschland ist die Zahl der behandelten Patienten unter die Sieben-Prozentmarke gefallen – genau wie in Katar, das auch nicht mehr zum erlauchten Kreis gehört.
Aber warum behandelt Deutschland immer weniger Patienten? Das liegt zunächst einmal daran, dass die meisten Menschen, die als Hepatis C-Träger identifiziert waren, bereits therapiert wurden. „Screening und Diagnose neuer Patienten ist der Schlüsselfaktor“, sagt Homie Razavi, Direktor der CDA-Stiftung, einer Non-Profit-Organisation, die sich der Bekämpfung der viralen Hepatitis verschrieben hat. „Der Rückgang der Behandlungen geht vor allem auf die zurück, die die Behandlung bereits abgeschlossen haben. Das führt dazu, dass diesen Ländern die Patienten ausgehen. Sie screenen einfach nicht genug Patienten, um ihre Behandlungsrate zu halten.“ Kurz: Deutschland drückt sich vor der Dunkelziffer.
Experte fordert mehr politischen Willen
Achim Kautz, geschäftsführender Gesellschafter der Leberhilfe Projekt und ein Experte, der auch bei Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Thema Eliminierung gerne gefragt wird, fehlt die alles zusammenfassende Klammer, um Deutschland wieder auf die Straße der Eliminierung zurück zu bringen: „Die Länder, die derzeit auf einem guten Wege sind, die Vorgaben der WHO umzusetzen, haben alle eines gemeinsam: Sie stärken die wesentlichen Akteure, die mit ‚Hochrisiko-Patienten’ im direkten Kontakt stehen – z.B. die Drogenberatungseinrichtungen. Sie binden die Hausärzte verpflichtend ein und stellen Ressourcen zur Verfügung, um besser aufzuklären und Diagnostik und Prävention zu stärken.“ Kautz vermisst die übergreifende Zusammenarbeit und Koordination: „Ein wesentlicher Faktor in diesen Ländern ist, dass andere Zuständigkeiten wie Justizministerien oder Migrantenbeauftragte ebenfalls eng und verbindlich in die Umsetzung eingebunden werden.”
„Verbindlich“ ist hier wohl ein Schlüsselwort. Denn es gibt ja auch in Deutschland einen Strategieplan „zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen“ (BIS 2030). Aber die Umsetzung, so Kautz, „ist in Deutschland komplexer als in anderen Ländern.“ Doch er bleibt Optimist: Wenn alle, die in Sachen Hepatitis C in Deutschland etwas bewegen, ihre Entscheidungen an die Vorgaben des Strategieplans anpassen – also gemeinsam an einem Strick und in die gleiche Richtung ziehen – „können die Diagnoseraten erhöht werden und somit auch wieder mehr Behandlung stattfinden. Damit würde Deutschland auch wieder zu den Top 10 gehören.“