Probleme erkennen, bevor sie auftreten – darum ging es bei dem europäischen Forschungsprojekt MIP-DILI, das von der europäischen Innovative-Medicines-Initiative (IMI) initiiert und gefördert wurde. MIP-DILI steht für „Mechanism-Based Integrated Systems for the Prediction of Drug-Induced Liver Injury“ – es geht also um Systeme zur Vorhersage von Leberschäden durch einen potenziellen neuen Arzneimittel-Wirkstoff. Soviel vorweg: Es ist den beteiligten Wissenschaftlern aus 26 Partner-Organisationen tatsächlich gelungen, neue Testverfahren zu entwickeln, mit denen sich präzise vorhersagen lässt, ob ein neuer Wirkstoff die Leber schädigen wird oder nicht. Schöner Nebeneffekt: Durch diese neuen In-Vitro-Testverfahren, bei denen Reagenzgläser oder Petrischalen eingesetzt werden, lässt sich auch die Zahl der Tierversuche deutlich reduzieren.
Testverfahren analysieren und verbessern
„Als wir 2012 mit dem Projekt begannen, gab es sehr viele unterschiedliche Labortests, um die Toxizität neuer Arzneimittelmoleküle vorherzusagen“, erzählt MIP-DILI-Projektkoordinator Richard Weaver, der bei Servier in der Forschungsabteilung arbeitet, „was es nicht gab, das waren Benchmarks, klare Vergleichsmaßstäbe für diese Tests.“ Bei MIP-DILI ging es also zunächst einmal darum, die vorhandenen Testverfahren zu analysieren – erst im zweiten Schritt wollten Weaver und seine Forscherkollegen dann „sehen, ob wir diese Systeme verbessern könnten.“ Voraussetzung dafür war allerdings „zu erkennen und zu verstehen, wie verschiedene Zellsysteme funktionieren“, so Weaver. Grundsätzlich gibt es zwei Arten von DILI, also von Leberschäden, die durch Medikamenten-Wirkstoffe verursacht werden: Zum einen sind das DILIs, die durch zu hohe Dosierungen entstehen – sie können einfach und frühzeitig erkannt werden.
Weaver und seine Kollegen beschäftigten sich hingegen mit so genannten „idiosynkratischen DILI-Problemen“, die durch eine Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff entstehen, die nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Solche Reaktionen treten nur bei bestimmten Patienten auf und werden oft erst sehr spät in der Medikamentenentwicklung festgestellt. MIP-DILI verfolgte nun das Ziel, auch für diese seltenen und schwer zu prognostizierenden DILIS In-vitro-Tests bereit zu stellen, mit denen sich zuverlässig vorhersagen lässt, wie einzelne Wirkstoffmoleküle auf menschliche Zellsysteme einwirken.
Nach mehr als fünf Jahren intensiver Forschungsarbeit konnten die beteiligten Wissenschafts-Teams beeindruckende Ergebnisse vorweisen:
- Eine systematische und evidenzbasierte, also beweisgestützte, Bewertung bereits vorhandener und neu entwickelter Labortestsysteme
- Neue Erkenntnisse zur Funktionsweise menschlicher Leberzellen
- Entwicklung von Modellen, mit denen Leberschäden erfasst werden können
- Erstellung einer Roadmap, also eines grundsätzlichen Verfahrens, zur Bewertung von DILI-Testsystemen
Daneben gab es noch eine Reihe weiterer Errungenschaften, darunter zum Beispiel neue Erkenntnisse zu einem experimentellen Hepatitis B-Medikament, das sich 1993 erst in einer späten Entwicklungsphase als toxisch herausgestellt hatte.
Industrielle Anwendung bereits gestartet
Die im Rahmen von MIP-DILI verbesserten und neu entwickelten Testverfahren werden inzwischen von der Industrie verwendet. „Auch wir bei Servier nutzen diese Tests“, sagt Richard Weaver, „denn sie helfen uns dabei, schon frühzeitig darüber zu entscheiden, an welchen Molekülen wir weiterforschen wollen und welche dafür einfach nicht gut und sicher genug sind.“ Der Biochemiker betont außerdem, dass sich durch MIP-DILI in Zukunft auch die Zahl an Tierversuchen verringern lässt. Denn bestimmte Moleküle können durch die In-vitro-Tests schon frühzeitig aussortiert werden.
Nach Weavers Überzeugung waren die Erfolge von MIP-DILI nur durch Kooperation und gemeinsame Anstrengungen möglich: „Erst die Größe und Stärke des IMI-Konsortiums hat es uns ermöglicht, Fortschritte zu machen, die jedem für sich alleine nicht gelungen wären.“ Von neuen und besseren Testsystemen profitieren alle – die Zahl an Medikamentenentwicklungen, die in einer späten Studienphase abgebrochen werden müssen, dürfte künftig spürbar zurückgehen.
Die wissenschaftlichen Daten zu MIP-DILI werden in einer Datenbank gespeichert, die einstweilen nur für die Projektpartner verfügbar ist – sie soll aber schon bald frei zugänglich sein. Richard Weaver: „Ich bin wirklich begeistert von diesem Projekt, das wir als Team bewältigt haben – und ich werde gespannt verfolgen, wie unsere Tests von der Industrie und der Wissenschaft aufgenommen werden.“