„Im Jahr 2018 stellen wir fest, dass jedes von uns untersuchte Unternehmen größere Schritte macht als zuvor – wenn auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, schreibt Jayasree K. Iyer im Vorwort des „Access to Medicine Index 2018“. Sie ist die Geschäftsführerin der „Access to Medicine“-Stiftung, die das unabhängige Pharma-Ranking veröffentlicht. „Die aktuelle Bandbreite an Methoden und Initiativen umfasst viele gute Beispiele und solche, die erfolgreich ausgebaut werden, um mehr Menschen zu erreichen.“
In dem Index sind diverse Musterbeispiele in den sieben Bereichen, die für den verbesserten Zugang zu Arzneimitteln wichtig sind, genannt. In einem Interview mit DIE ZEIT erklärte Iyer dazu: „Wir veröffentlichen Berichte über diejenigen, die es besonders gut machen, damit sich andere daran orientieren.“
Forschung und Entwicklung ausrichten
Ein Beispiel: Die WHO sowie andere Organisationen haben bestimmte Medikamente, Impfungen, Diagnostika und andere Produkte identifiziert, die Menschen armer Länder besonders dringend brauchen. Sie sollten in der Forschung und Entwicklung (F&E) als „priority R&D (Research & Development)“ vorrangig behandelt werden und erstrecken sich über 45 Erkrankungen. Insgesamt schließt die „Access to Medicine“-Stiftung 77 Krankheiten in ihre Untersuchung ein. Die Unternehmen GlaxoSmithKline (GSK; im Ranking auf Platz 1) sowie Sanofi (Platz 7) richten ihre F&E-Tätigkeiten laut des aktuellen Index auf „priority R&D“-Projekte aus:
Bei ihnen zielt ein großer Anteil ihrer Entwicklungspipeline auf besonders dringend benötigte Präparate ab. In Bezug auf die insgesamt 77 untersuchten Krankheiten machen sie bei beiden Unternehmen mehr als 60 Prozent ihrer Forschungsprojekte aus. Unter den Arzneimittelkandidaten befinden sich Präparate gegen Malaria, HIV/AIDS oder auch Tuberkulose.
Freiwillige Lizenzvereinbarungen
Überhaupt: Forschung und Entwicklung ist die Grundlage dafür, dass Menschen auf der ganzen Welt heute eine immer bessere Behandlung erfahren. Beispiel HIV: Noch vor wenigen Jahren hatte nur ein kleiner Anteil der Menschen auf der Welt Zugang zu modernen Kombinationstherapien. Laut der Organisation UNAIDS erhielten im vergangenen Jahr 21,7 Millionen von den weltweit 36,9 Millionen Infizierten eine sogenannte antiretrovirale Therapie – so viele wie noch nie zuvor.
Die große Herausforderung im Bereich HIV ist: Jeden Tag müssen über 20 Millionen Menschen mit ihren Präparaten versorgt werden. Um dies überhaupt erreichen zu können, haben einige Pharmaunternehmen freiwillige Lizenzvereinbarungen getroffen. Sie ermöglichen es, dass Generika-Hersteller – zum Beispiel in Indien oder Afrika – eigentlich patentgeschützte Medikamente kostengünstig herstellen und vertreiben können. Nur so können auch die nötigen Produktionskapazitäten für die stetig wachsende Zahl an Patienten unter HIV-Therapie bereitgestellt werden. Branchenprimus GSK zum Beispiel verbessert über eine solche Lizenzvereinbarung den Zugang zu einem seiner HIV-Medikamente in 95 Prozent der in dem Index untersuchten Länder, heißt es in dem Bericht.
Die Erfolgsgeschichte von HIV soll sich nun in ähnlicher Form bei Hepatitis C wiederholen – mit dem Unterschied, dass die Erkrankung heilbar geworden ist. Auch hier wurden bereits Lizenzvereinbarungen unterzeichnet, von denen über hundert Länder profitieren können.
Hilfe zur Selbsthilfe
„Manche der größten Hürden in Bezug auf den Zugang zu Medikamenten hängen mit Lücken in örtlichen […] Gesundheitssystemen zusammen“, schreibt die „Access to Medicine“-Stiftung außerdem. Daher gilt es, die Menschen vor Ort zu stärken.
Janssen (Platz 3, Johnson & Johnson) gründete z. B. vor drei Jahren die „Uganda Academy for Health Innovation and Impact (UA)“ – unter anderem in Partnerschaft mit dem Gesundheitsministerium Ugandas. Die Akademie ist ein öffentliches Institut, welches afrikanische Wissenschaftler vor Ort schult, damit sie selbst innovative Gesundheitslösungen entwickeln können. Inzwischen führt die UA eigene Forschungsprojekte durch.
Zugang zu Therapien verbessern
Das Pharmaunternehmen Takeda liegt im Index-Ranking auf Platz 5. Im vergangenen Jahr baute es etwa die „Cancer Alliance“ für Subsahara-Afrika auf. Sie ist eine Partnerschaft bestehend aus anderen Pharmaunternehmen, staatlichen Stellen, Nichtregierungs- und gemeinnützigen Organisationen. Ihr Ziel: den Zugang zu Dienstleistungen rund um die Krebsbehandlung in der Region verbessern.
Doch wie wirken sich bestimmte Initiativen eigentlich auf die Gesundheitssysteme aus? Welchen Einfluss haben die eigenen Produkte auf die Gesellschaft? Um derartige Fragen zu beantworten, begann Novartis (Platz 2) vor zwei Jahren ein Verfahren zu entwickeln, das es dem Unternehmen erlaubt, die Auswirkungen der eigenen Aktivitäten auf die Gesellschaft aus finanzieller, ökologischer und sozialer Sicht zu messen und zu bewerten. „Dies wird auch den Zugang zu Medikamenten an den Orten, in denen Novartis tätig ist, erleichtern“, heißt es im Index 2018 dazu.
Die Situation ist fragil
Aller Fortschritte und Initiativen zum Trotz: Es hapert noch an vielen Stellen. So zeigt der diesjährige Index zum Beispiel auch, dass das Engagement der Industrie vor allem fünf Krankheiten im Fokus hat. „Die Hälfte aller Aktivitäten zielt auf die Bekämpfung von Malaria, HIV/AIDS, Tuberkulose, der Chagas-Krankheit und Leishmaniose ab“, kritisiert die „Access to Medicine“-Stiftung. Und: Die Mehrheit der „priority R&D“-Projekte wird von fünf Unternehmen durchgeführt. „Die Tatsache, dass eine Handvoll Unternehmen den Großteil hochpriorisierter Forschung und Entwicklung trägt, zeigt, wie fragil die Situation ist. Ein Rückzug von nur einem dieser Unternehmen hätte erhebliche Auswirkungen”, erklärt Iyer. „Wenn sich mehr Unternehmen dieser Gruppe anschließen, würde das zu wesentlicher Entspannung führen.”
Iyer legt dabei große Hoffnungen auf ihr Pharma-Ranking, wie sie im ZEIT-Interview verriet: „Wir wünschen uns, dass es ein Rennen darum gibt, wer mehr Gutes tut. Darüber sollten Pharmafirmen wetteifern.“ Die Branche habe sich jedoch bereits „wirklich verändert“, sagt sie. Das zeigt auch ein vergleichender Blick auf den Index aus dem Jahr 2016. Heute sind laut Pressemitteilung der Stiftung mehr Projekte in der Pipeline mit Fokus auf globale Gesundheitsprioritäten. „Seit dem Index von vor zwei Jahren sind mindestens 66 neue Produkte auf den Markt gekommen“, heißt es.