Zuletzt hat es vier Familienmitglieder aus dem französischen Montpellier erwischt. Sie erkrankten plötzlich am Chikungunya-Fieber, ohne zuvor ihren Wohnsitz durch eine Reise verlassen zu haben. Ursprünglich ist die Krankheit in Südostasien oder Afrika verbreitet. Doch die Ausbreitung der Tropenkrankheiten setzt sich offenbar fort, wie weitere Fälle in Europa, der Karibik und in den USA zeigen. Eine Tendenz zeichnet sich immer mehr ab: tropische Krankheiten schwappen insbesondere auf unseren Kontinent hinüber. Zurzeit sind vor allem südeuropäische Urlaubsländer, wie Spanien, Portugal oder Griechenland betroffen.
Sie heißen Schistosomiasis, Viszerale Leishmaniose, Echinokokkose, Dengue-Fieber und sie stehen auf der Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Alle vier stammen vor allem aus Entwicklungsländern – aber alle vier sind auch schon in Europa angekommen. Das Verbreitungsgebiet der Infektionskrankheit Leishmaniose etwa hat sich in den letzten Jahrzehnten stark ausgedehnt. Die Anzahl der Infizierten liegt bei zwölf Millionen Menschen weltweit. Übertragen wird sie durch einen Stich der Sandmücke.
Überträgertier in Deutschland nachgewiesen
Erste Exemplare des Überträgertieres wurden bereits in Deutschland gesichtet: 2014 entdeckte man sie in Hessen, das war bislang der nördlichste Fund einer Sandmücke1. Normalerweise leben die Tiere in tropischen Gebieten. Jedoch finden sie auch in mediterranen Ländern einen geeigneten Lebensraum. Dazu zählen Kroatien, Spanien, Italien, Griechenland und Frankreich. Bei den letzten drei genannten Ländern verzeichnet man in den vergangenen Jahren kontinuierlich steigende Zahlen. Bei den bisher 446 Fällen (Stand 2012) in Spanien gezählten Fällen handelte es sich um Infektionen vor Ort.
Einmal gestochen, können sich die Symptome entweder in kurzer Zeit oder schleichend einstellen. Fieber, schwarze Verfärbungen der Haut, Vergrößerungen der Leber und Milz, bis hin zu Darmgeschwüren – all dies sind typische Anzeichen einer Leishmaniose-Erkrankung. Ist das Knochenmark betroffen, kommt es zu Blutarmut und somit zu einem geschwächten Immunsystem. Dadurch besteht für die Betroffenen ein höheres Risiko, an weiteren Infekten zu erkranken. In Deutschland liegt die Anzahl der Diagnosen bei einem Dutzend pro Jahr, dabei infiziert sich jeder Achte während des Urlaubs am Mittelmeer.
Dengue-Fieber-Fälle in Europa
Ein anderes Insekt, die Tigermücke, ist Überträger des Dengue-Fiebers. Ursprünglich war sie einst in tropischen Gebieten Südostasiens oder in der Karibik beheimatet. Mittlerweile wurde die Tigermücke auch in Deutschland nachgewiesen. In Frankreich, Kroatien und Griechenland gab es 2010 schon erste Fälle, 2012 auch auf der Urlaubsinsel Madeira. Jährlich infizieren sich 50 bis 100 Millionen Menschen weltweit mit Dengue-Fieber. Die Symptome sind zunächst eher unspezifisch. Sie ähneln einer Grippe, mit Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gelenkschmerzen. Mit der Zeit aber entstehen häufig Hautausschläge und innere Blutungen.
Globalisierung mögliche Ursache für Ausbreitung
Wieso findet man die Überträger mittlerweile an Orten, die eigentlich nicht zu deren Heimatgebiet gehören? Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Experte für Dengue-Fieber und Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut, sieht in dem zunehmenden Reise- und Warenverkehr eine der Ursachen: „Der Erreger wird beispielsweies durch infizierte Mücken im Flugzeug eingeschleppt. Oder aber die Reiserückkehrer selbst bringen den Erreger mit.“ So könne es Urlaubern in Zentral-, Südamerika oder der Karibik gehen. Dort herrscht seit Monaten eine Chikungunya-Fieber-Epidemie.
Viren und Überträgertiere passen sich an
Ein anderer Grund für den Ausbruch von Tropenkrankheiten in Europa sei die Anpassungsfähigkeit der Viren und invasiven Stechmücken. „Arboviren, wie z.B. das Dengue- oder Chikungunya-Virus verbreiten sich unglaublich schnell“, sagt Schmidt-Chanasit. Invasive Stechmückenarten, wie die Asiatische Tigermücke können auch außerhalb tropischer Gebiete gut überleben und übertragen im schlimmsten Fall sogar Arboviren auf den Menschen.
Oft sind es aber auch einfach Hunde oder andere Tiere, die Parasiten aus dem Ausland einschleppen. Ein Beispiel ist die Echinokokkose. Hier erkrankt der Mensch in der Regel nur bei Kontakt mit bereits erkrankten Tieren. In 58 Fällen infizierte man sich in Deutschland 2013 durch den Fuchsbandwurm, in 36 Fällen durch den Hundebandwurm. Symptome der Echinokokkose sind Atembeschwerden, Bauchschmerzen und Gelbsucht.
Robert-Koch-Institut setzt auf Kontrolle
Dem Robert-Koch-Institut zufolge stellen die Krankheitsfälle mit für Europa untypischen Erregern keine besorgniserregende Situation dar. Die Einschläge würden zwar näher rücken, aber wohin sich das entwickle, könne niemand vorhersehen. Generell bestehe viel Forschungsbedarf und dem werde nachgegangen. Zudem gibt es in Deutschland seit 2003 den ständigen Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für hochkontagiöse und lebensbedrohliche Erkrankungen (StAKoB), das sich für die Kontrolle und die Versorgung betroffener Personen, die sich mit exotischen Krankheiten infiziert haben, einsetzt.
WHO will Tropenkrankheiten stoppen
Die WHO versucht mit Hilfe von Programmen die Ausbreitung von tropischen Krankheiten zu verhindern, genauso wie das Deutsche Netzwerk gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs). Anfangen sollte man dabei schon bei der ärztlichen Diagnostik. „Sie muss verbessert werden. Das ist sehr wichtig, um überhaupt tätig werden zu können“, sagt Prof. Dr. Jürgen May, Sprecher des DNTDs. Wie wichtig das ist, zeigen auch die Vorfälle in England, bei denen Ärzte bei Patienten die Infektionskrankheit Lepra nicht feststellten. Sie wird durch ein Bakterium übertragen und ist gekennzeichnet durch dunkle Flecken auf der Haut sowie Gefühlsverlusten. Mehrere hunderttausend Menschen erkranken jährlich neu daran. In Bezug auf Krankheiten, die über jegliche Mückenarten übertragen werde, betont Schmidt-Chanasit: „Wir müssen wissen, welche Erreger in welchen Stechmücken zirkulieren und wo diese sich aufhalten. Nur eine Beobachtung über Jahre hilft im Kampf gegen die Ausbreitung.“
Eine andere Aufgabe sieht May in der Arbeit der Pharmaunternehmen: „Die größte Herausforderung ist, eine ausreichende Wahrnehmung zu erreichen und Medikamente zu entwickeln für Krankheiten, die fern sind beziehungsweise jetzt noch fern scheinen.“ Sei die Epidemie einmal ausgebrochen, bleibe dafür keine Zeit. Ein Durchbruch könnte der erste Impfstoff gegen Dengue-Fieber sein, welcher nächstes Jahr zur Verfügung stehen könnte. Dass die Menschen in Europa vor einer weiteren Tropenkrankheit verschont bleiben, ist der intensiven Forschung nach einem Impfmittel geschuldet. Gegen Malaria könnte der Wirkstoff RTS,S Millionen schützen.
1 Parasitology Research Volume 113, Issue 6, Seite 2295-2301