Der eine oder andere Neurologe könnte sich in den vergangenen Jahren gedacht haben: „Wäre ich mal Onkologe geworden.“ Denn während Gehirnspezialisten seit Jahrzehnten nach neuen Medikamenten gegen Alzheimer suchen (das letzte wurde 2003 zugelassen), ist der Innovationsschub im Bereich von Krebserkrankungen geradezu atemberaubend. Erst im vergangenen Jahr gab es mit der Zulassung der ersten Vertreter aus dem Bereich der CAR-T-Technologie eine Premiere. CAR-T ist eine „neue Ära im Kampf gegen Krebs“. Für Patienten, die bestimmte, seltene Formen von Leukämien haben, ist es viel mehr. Denn CAR-T bringt ihnen eine Chance auf Leben, wo vorher keine war.
Und auch in diesem Jahr dürfen Onkologen mit einer Premiere rechnen: Vor der Zulassung steht in Europa erstmals ein Medikament, dessen Zulassung vom Ort des Tumors unabhängig ist. Das immer bessere Verständnis von genetischen Prozessen macht eine gezieltere Charakterisierung möglich. Die Hoffnung: so genannte tumoragnostische Wirkstoffe. Aus der Frage: „Wo ist der Tumor entstanden?“ wird „Wie entsteht er?“ bzw. „Was lässt ihn wachsen?“ Auch hier gilt: Es entstehen Therapiemöglichkeiten, wo vorher keine waren – die Präzisionsonkologie schreitet in großen Schritten voran (s. Pharma Fakten).
Krebs fordert jährlich fast 10 Millionen Tote
Fast zehn Millionen Menschen (9,6 Mio., s. Grafik) sterben pro Jahr an den Folgen ihrer Krebserkrankung. Darauf machen die Organisatoren des Weltkrebstages aufmerksam, der jedes Jahr am 4. Februar begangen wird. Ein Drittel der weltweiten Krebsfälle könnte verhindert werden – 27 Prozent sind auf die Folgen von Tabak- und Alkoholkonsum zurückzuführen. Ein weiteres Drittel könnte geheilt werden, wenn der Krebs frühzeitig entdeckt und entsprechend behandelt würde: „Heute wissen wir mehr über Krebs als jemals zuvor. Durch Investitionen in Forschung und Innovation sind wir Zeugen geworden von außerordentlichen Durchbrüchen in der Medizin, Diagnostik und wissenschaftlicher Expertise.“
Der Weltkrebstag wird von der Internationalen Vereinigung gegen Krebs (UICC) getragen, der weltweit über 1.000 Mitgliedsorganisationen angehören. In Deutschland sind beispielsweise die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum beteiligt. Eine Zukunft ohne Krebs, so lautet das ehrgeizige Ziel des Aktionstages, der auch von zahlreichen Pharmaunternehmen unterstützt wird.
Um 28 Prozent sind die Krebsfälle zwischen 2006 und 2016 gestiegen. Das hat ein Wissenschaftlerteam um die Medizinerin Christina Fitzmaurice, Universität Washington, herausgefunden. Sie ist in ihrer in der Fachzeitschrift JAMA Oncology veröffentlichten Studie der Frage nachgegangen, wie sehr sich die weltweite Krankheitslast verändert hat. Dazu wurden Daten für 29 Krebsarten aus 195 Ländern zusammengetragen. Für einen hohen Anteil des Anstiegs der Krebsfälle machen die Wissenschaftler das Altern (17%) bzw. den Bevölkerungszuwachs (12%) verantwortlich. Sie kommen auf ähnliche Zahlen wie die Unterstützer des Weltkrebstages: Für das Jahr 2016 zählten sie insgesamt 17,2 Millionen Krebsfälle und 8,9 Millionen Krebstote. Zwischen 2006 und 2016 sind die Inzidenz-Raten in 130 der 195 Länder gestiegen. „Die steigende Krankheitslast in Folge von Krebs und anderer nicht übertragbarer Krankheiten ist eine Bedrohung für die menschliche Entwicklung.“
Für die Zukunft erwarten die Autoren der JAMA-Studie nicht nur weiter steigende Fallzahlen. Sie erwarten auch, dass sich die Zahlen gerade in Ländern mit geringerem Einkommen weiter erhöhen werden – und dort deshalb einen besonders negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung haben werden.
Krebs: Hemmschuh für die menschliche Entwicklung
Denn eine Krebsdiagnose ist nicht nur ein schweres persönliches Schicksal. Krebs ist auch ökonomisch betrachtet teuer. Die Gesamtkosten durch Produktivitätsverluste, Gesundheitskosten, Einkommensverluste, durch schlechtere Lebensqualität, Behinderung und vorzeitigem Tod schätzt man bei der Weltgesundheitsorganisation auf rund 1,16 Billionen US-Dollar. Eine Billion – das ist eine 1, gefolgt von 12 Nullen. Davon könnte sich der US-Präsident 232 Mauern leisten, wie er sie an der Grenze von Mexiko bauen will.
Nicht nur deshalb fordern Fitzmaurice und Co. mehr „strategisches Investment“ im Kampf gegen Krebs. Dabei geht es nicht nur um besseren Zugang zu medizinischen Leistungen, sondern auch um effektive Präventionsprogramme. Die Experten des WordCancerDay gehen davon aus, dass sich solche Programme auch finanziell lohnen (s. Grafik): Am Beispiel von Ländern mit niedrigem oder mittleren Einkommen rechnen sie vor, dass mit rund 11 Milliarden in Präventionsprogramme gesteckte Dollar ungefähr 100 Milliarden an Gesundheitskosten eingespart werden könnten: „Saving lives saves money“, so heißt das dort.
DKFZ: Das Potenzial der Krebsprävention bleibt ungenutzt
Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum macht auf das Potenzial von Prävention aufmerksam (s. Pharma Fakten): „Wir könnten weit über ein Drittel aller Krebsneuerkrankungen vermeiden, würden wir das Potenzial der Krebsprävention voll ausschöpfen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Michael Baumann. „Das würde nicht nur Zehntausenden das Leben retten, sondern darüber hinaus noch deutlich mehr Menschen das Schicksal einer schweren Erkrankung und die damit verbundenen Belastungen ersparen.” Ein Fakt, der offenbar auch für frühe Diagnosen gilt: Eine Untersuchung des britischen Cancer Research UK hat herausgefunden, dass die Überlebensrate der Patienten bei bestimmen Krebsarten dreimal höher ist, wenn sie früh diagnostiziert werden.