Mit „Disease Interception“ möchte man Krankheiten ganz verhindern. Wollen Sie also präventiv gesunde Menschen behandeln? Oder was versprechen Sie sich konkret von „Disease Interception“?
Dr. Christoph Bug: Lassen Sie uns zunächst klären, wie sich Disease Interception von der Prävention unterscheidet und welche Vision wir mit diesem neuartigen Ansatz verfolgen: Präventive Gesundheitsmaßnahmen sind unabhängig vom persönlichen Erkrankungsrisiko. Durch Prävention wird eine große Gruppe von Menschen vorbeugend behandelt, das kann beispielsweise der alljährliche Check beim Zahnarzt sein oder eine Impfung. Ein gutes Beispiel ist etwa die Impfung junger Mädchen gegen HPV. Durch sie soll verhindert werden, dass Gebärmutterhalskrebs entsteht. Bei Disease Interception hingegen werden Menschen mit einem sehr hohen Erkrankungsrisiko durch eine individuelle Diagnose identifiziert und medizinisch überwacht. Beispielsweise wenn Frauen mit diagnostizierter Hochrisikoinfektion therapeutisch gegen HPV geimpft werden. Eine solche Impfung könnte zukünftig den operativen Eingriff vermeiden und das Risiko für eine Krebserkrankung auf ein Niveau senken, wie es Frauen ohne Veranlagung vorweisen. Disease Interception findet im präklinischen Zeitfenster der jeweiligen Krankheit statt, d.h. bevor sich Symptome bemerkbar machen. Wenn bei einem Betroffenen aufgrund einer Veranlagung, einer Mutation oder von Umwelteinflüssen symptomfreie Veränderungen festgestellt werden können, werden Maßnahmen nötig, um den krankmachenden Prozess zu unterbrechen.
Was sind die Voraussetzungen, um „Disease Interception“ überhaupt betreiben zu können?
Bug: Entscheidend bei Disease Interception ist das sogenannte „Interception Window “, das heißt das Zeitfenster in dem wir eine Krankheit behandeln können, bevor Symptome auftreten. Um Betroffene zu identifizieren, könnten beispielsweise im Rahmen von Routinekontrollen auch mögliche Risiken mituntersucht werden. Denn je genauer wir die Erkrankung verstehen, umso genauer ist es uns möglich, das Risiko einzuschätzen und frühe Biomarker zu finden. Zudem könnten digitale Anwendungen und Big Data helfen, Menschen mit besonders erhöhtem Risiko zu erkennen und zwar ohne dass die gesamte Bevölkerung gescreent werden muss.
Datensätze könnten nach bestimmten Parametern analysiert und Betroffene identifiziert und herausgefiltert werden. Ich bin daher überzeugt, dass vor allem Big Data und die Digitalisierung das Thema Disease Interception beschleunigen werden, auch wenn wir hier noch am Anfang stehen.
Für welche Erkrankungen forschen Sie bereits an „Disease Interception“ – und mit was für Erfolgsaussichten?
Bug: Unser Fokus liegt auf den Janssen-Forschungsschwerpunkten Onkologie, Immunologie und Neuroscience, hier insbesondere auf Alzheimer. In der Onkologie konzentrieren wir uns speziell auf die Hämatologie. In diesem Bereich gibt es schon Erkenntnisse, wie man die Erkrankung verzögern oder möglicherweise verhindern kann, etwa beim Smoldering Myelom, einer Vorform des Multiplen Myeloms. Es lassen sich Hinweise auf eine Erkrankung aus dem Blut herauslesen. Unser Ziel ist, dass Betroffene möglichst schnell vom Konzept Disease Interception profitieren können, wenn die Therapien zukünftig zur Verfügung stehen. Um das zu erreichen, setzen wir auf eine frühzeitige Diskussion mit anderen Akteuren im Gesundheitsbereich und Partnerschaften in der Forschung. Denn es bedarf eines Paradigmenwechsels auf verschiedenen Ebenen, u.a. medizinisch als auch gesellschaftlich. Wenn der gelingt, kann Disease Interception unsere Gesundheit revolutionieren.