In Deutschland ist die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen  so das RKI. Und doch sind wir nur europäisches „Mittelfeld“. Foto: © iStock.com/LightFieldStudios
In Deutschland ist die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen so das RKI. Und doch sind wir nur europäisches „Mittelfeld“. Foto: © iStock.com/LightFieldStudios

Grippewellen bremsen Anstieg bei Lebenserwartung aus

In den letzten Jahrzehnten ist die Lebenserwartung hierzulande „deutlich gestiegen“, heißt es in einer Untersuchung des Robert Koch-Instituts (RKI). Nichtsdestotrotz liegt Deutschland im internationalen Vergleich nur im europäischen Mittelfeld. Ein Faktor, der den Anstieg der Lebenserwartung ausbremst, sind Grippewellen, wie die Wissenschaftler feststellten: Denn da „kommt es häufig zu einem Anstieg der Zahl der Todesfälle über ein Maß hinaus, das üblicherweise zu erwarten gewesen wäre“.

In der RKI-Studie spielt die mittlere Lebenserwartung bei Geburt eine wichtige Rolle: „Sie bezeichnet die Zahl der Lebensjahre, die ein Neugeborenes unter den Sterblichkeitsverhältnissen des jeweiligen Jahres durchschnittlich leben wird“, lautet die Erklärung. Diese Zahl ist – mit kleinen Unterbrechungen – kontinuierlich gestiegen. „Zu Beginn der 1990er-Jahre (1991/1993) betrug die mittlere Lebenserwartung von Frauen 79,0 Jahre und von Männern 72,5 Jahre, für 2015/2017 war sie auf 83,2 Jahre bei den Frauen und auf 78,4 Jahre bei den Männern angestiegen“, schreiben die Wissenschaftler. Das entspricht einem Plus von 4,2 bzw. 5,9 Jahren.

Dieser Anstieg ist in den letzten Jahrzehnten vor allem einem Rückgang der Sterblichkeit „in hohen und höheren Altersjahren“ zu verdanken. Das heißt: Der Anteil alter und hochaltriger Menschen in der Bevölkerung wächst. Noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts sah das anders aus: Der Anstieg in der Lebenserwartung war v.a. auf einen Rückgang der Sterblichkeit von Säuglingen, Kindern und jungen Erwachsenen zurückzuführen.

Lebenserwartung: Unterschiede bei Geschlechtern und sozioökonomischen Gruppen

„Das lineare Anwachsen der sogenannten Rekordlebenserwartung, das heißt der weltweit höchsten Lebenserwartung in einem bestimmten Jahr, kann seit etwa 1840 beobachtet werden“. Doch auch für einzelne Regionen und Länder gilt: Die Lebenserwartung steigt. Ein „weltweites Phänomen“ ist laut RKI dabei die höhere Lebenserwartung von Frauen. Warum das so ist? Die Erklärung scheint zum einen in biologischen Unterschieden zu liegen. Zum anderen spielen aber v.a. nicht-biologische Faktoren eine Rolle: Dazu zählen etwa das Gesundheitsverhalten (Tabak-/Alkoholkonsum, Bewegung, Ernährung etc.) und die Lebensbedingungen (Arbeitsbedingungen, Erwerbsbeteiligung u. ä.).

Hinzu kommt: „Nach wie vor sind Unterschiede zwischen verschiedenen sozioökonomischen Gruppen zu beobachten.“ Frauen der höchsten Einkommensgruppe etwa haben eine um 4,4 Jahre höhere Lebenserwartung als jene der niedrigsten Einkommensgruppe. Bei Männern fällt diese Differenz mit 8,6 Jahren sogar noch gravierender aus. Ähnliche Unterschiede fanden die Wissenschaftler bei Menschen in schlechter bzw. besser gestellten Landkreisen und Städten. Immerhin: Das RKI sieht eine „zunehmende Angleichung der Lebenserwartung in den neuen an die in den alten Bundesländern“. 

Deutschland bei Lebenserwartung nur europäisches Mittelfeld

Auch wenn die Lebenserwartung in Deutschland seit Jahrzehnten gestiegen ist: Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass sie im Mittelfeld der europäischen Länder liegt. „Spitzenreiter ist gegenwärtig die Schweiz mit 83,7 Jahren, gefolgt von Spanien (83,5) und Italien (83,4)“, schreiben die Experten. Die Lücke zwischen Deutschland (81,0) und der Schweiz beträgt 2,7 Jahre; 1991 waren es 2,3 Jahre. „Deutschland hat den Rückstand seit Beginn der 1990er-Jahre also nicht wettmachen können, er hat sich im Gegenteil noch etwas vergrößert. Die Gründe hierfür sind unklar“, heißt es. 

Den Wissenschaftlern ist bewusst, dass viele Dinge Einfluss auf die Lebenserwartung haben. Dazu gehören etwa Faktoren langfristigeren Charakters wie die medizinische Versorgung, Prävention oder das Gesundheitsverhalten. Aber dazu gehören auch kurzfristiger wirkende Faktoren: „Grippewellen können die Entwicklung der Lebenserwartung in einzelnen Kalenderjahren ungünstig beeinflussen“, schreibt das RKI. 

Grippewellen verlangsamen Anstieg der Lebenserwartung

So gab es im Laufe der Zeit immer wieder Jahre, in denen der Anstieg der Lebenserwartung verlangsamt vonstattenging. Das RKI verweist auf „starke Grippewellen, so zum Beispiel in den Wintersaisons 2012/2013, 2014/2015 und 2016/2017. […] Im Rahmen von Grippewellen kommt es häufig zu einem Anstieg der Zahl der Todesfälle über ein Maß hinaus, das üblicherweise zu erwarten gewesen wäre […]. Diese Exzess-Mortalität für die genannten Wintersaisons wurde mit 20.700 (2012/2013), 21.300 (2014/2015) sowie 22.900 Todesfällen (2016/2017) berechnet. Diese zusätzlichen Todesfälle entsprechen circa 2,3 % bis 2,5 % der jährlichen Todesfälle in Deutschland der Kalenderjahre 2013, 2015 und 2017. Dies sind exakt die Jahre, in denen sich der Anstieg der Lebenserwartung verlangsamt hat.“

Das RKI appelliert daher: „Wer zu einer der Zielgruppen gehört, für die die Ständige Impfkommission die Influenzaimpfung empfiehlt, sollte sich jedes Jahr impfen lassen.“ Das sind z.B. Personen ab 60 Jahre. Denn Influenza ist nicht zu unterschätzen: Seit Beginn der Wintersaison 2018/2019 (KW 40, 29.09. bis 05.10.2018) wurden fast 175.000 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle an das RKI übermittelt. Mehr als jeder Fünfte musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Von 754 Todesfällen mit Influenzavirusinfektion ist die Rede (s. Influenza-Wochenbericht, 30.03. bis 05.04.2019).

Trotz allem sind sich die Wissenschaftler bewusst: Der Anstieg der Lebenserwartung in Deutschland ist „eine Erfolgsgeschichte“. Auch wenn Herausforderungen bestehen bleiben – das zeigt nicht zuletzt der europäische Vergleich.

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