Sie stellen laut des Pharmaunternehmens Bayer bis heute über 90 Prozent der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel: Die sogenannten „Small Molecules“ – kleine, chemisch hergestellte Wirkstoffmoleküle. Doch auch wenn sie bei zahlreichen Erkrankungen zum Einsatz kommen, haben sie ihre Grenzen: Denn sie erreichen mit ihrem Wirkmechanismus nicht alle Proteine im menschlichen Körper; bis zu 80 Prozent der Proteine gelten heute als „undruggable“ – als unangreifbar.
Das sollen die PROTACs ändern. „PROTACS könnten womöglich eine Reihe an neuartigen, krankheitsrelevanten Proteinen adressieren“, heißt es dazu bei Bayer. Und Darryl B. McConnell von Boehringer Ingelheim in Wien sagt: „PROTACs sind eine revolutionäre Therapiemodalität, die Zielproteine, die zuvor als unangreifbar erachtet wurden, in Reichweite bringen“.
PROTACs: zwei Arme, eine Verbindung
PROTACs bestehen aus zwei „Armen“, die über einen „linker“ – ein Verbindungsstück – zusammenhängen: Der eine Arm bindet an das jeweilige Zielprotein; der andere an die sog. E3-Ubiquitin-Ligase. Durch das Verknüpfen dieser beiden Komponenten wird Ubiquitin auf das Zielprotein übertragen. Das ist für das Proteasom das Signal, das jeweilige Protein zu zerlegen. Das körpereigene Entsorgungssystem – die Müllabfuhr – wird gerufen. Die Idee dahinter: Proteine, die in der Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen, könnten mit Hilfe eines PROTACs einfach „entsorgt“ werden.
Ganz so einfach wie es klingt, ist es aber nicht: Schon vor 18 Jahren waren PROTACs zum ersten Mal Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Damals taugten die Kandidaten jedoch noch nicht als pharmazeutische Arzneimittel – sie waren u.a. viel zu groß, um sie als Medikamente nutzen zu können. Erst seit 2015 gibt es Fortschritte: Seitdem „wurde von mehr als 30 niedermolekularen PROTACs berichtet“, heißt es in einer Studie aus vergangenem Jahr. Die Forschung in der pharmazeutischen Industrie läuft auf Hochtouren; und für viele Menschen mit schweren Erkrankungen bieten sie die Hoffnung auf Behandlung.
PROTACs: neue Zielproteine, geringe Dosis, wenige Nebenwirkungen?
Das liegt nicht nur daran, dass sie womöglich Proteine angreifen können, an die andere Wirkstoffe bislang nicht rankamen. PROTACs können – nachdem sie das erste Protein mit Ubiquitin zum Abbau markiert haben – eine Vielzahl an weiteren, baugleichen Proteinen markieren. Die Hoffnung ist, dass nur eine geringe Dosis zur Behandlung benötigt wird und das Risiko für Nebenwirkungen niedriger ist, als etwa bei den herkömmlichen „small molecules“, die das krankheitserzeugende Zielprotein nicht abbauen, sondern lediglich temporär in seiner Funktion blockieren.
Erste Hinweise dazu, wie gut das tatsächlich funktioniert, wird wohl erst die klinische Erprobung von PROTACs mit menschlichen Probanden geben. Im Frühjahr dieses Jahres begann ein erstes Unternehmen mit einer Phase 1-Studie für einen Wirkstoff gegen Prostatakrebs. Weitere Firmen und Arzneimittelkandidaten werden folgen. Denn PROTACs könnten nicht nur im Kampf gegen Krebs neue Türen öffnen; auch andere Bereiche – wie etwa Herzkreislauf- oder neurodegenerative Erkrankungen – könnten von den Entwicklungen profitieren. Denkbar wäre es zum Beispiel, das Tau-Protein, das in der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielt, mit einem PROTAC anzugreifen.